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Bérénice Bejo und Ali Mosaffa in "Le Passé" ("The Past") von Asghar Farhadi.

Foto: apa / EPA/CAROLE BETHUEL

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"Tian zhu ding" ("A Touch of Sin") von Jia Zhangke.

Foto: apa / EPA/CANNES FILM FESTIVAL

Schlechtes Wetter, heißt es, sei gut für das Kino. Drei Tage Filmfestival sind vorüber, und immer wieder sorgen Regengüsse für Überraschungsangriffe, während man auf Einlass ins Kino wartet. In Cannes erinnert man die Besucher beim Anstehen gerne an die Wirklichkeit.

Besser, es regnet gleich im Kino, wie im neuen Film des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi, Le passé. Da liefert das Schlechtwetter einen schönen Kontrast zu der Anspannung, die in den wohlig braun dekorierten Innenräumen einer französischen Patchworkfamilie kontinuierlich steigt. Ahmad (Ali Mosaffa), der persische Ehemann von Marie (Bérénice Bejo), kommt nach vier Jahren nach Frankreich zurück, um sich scheiden zu lassen. Schon auf der Fahrt vom Flughafen landet in den Gesprächen des Paares schnell jedes Wort auf der Waagschale; dennoch bleibt oft das Wesentliche unausgesprochen - dass seine Frau schon länger mit Samir (Tahar Ramin) zusammenlebt, Ahmad aber trotzdem im selben Haus untergebracht werden soll, trägt auch nicht gerade zu Gelassenheit unter den Anwesenden bei.

Nach Nader und Simin - eine Trennung, für den er 2012 einen Oscar erhielt, ist Le passé ein weiteres bürgerliches Kammerspiel Farhadis, in dem es weniger um von außen erwirkte, als um innerfamiliäre Konflikte geht. Die scharfe Beobachtungsgabe des Iraners, sein Talent für Dialoge zeichnet auch seinen ersten in Frankreich realisierten Film aus. Alltagssituationen kippen schlagartig in Auseinandersetzungen um, in denen sich Marie als etwas überforderte Mutter einer renitenten Jugendlichen erweist, Ahmad dagegen als gefasster Vermittler. Seine umsichtige Art hat jedoch auch eine paternalistische Seite - keine Figur lässt sich hier vorschnell auf einen Charakterzug reduzieren.

Le passé liefert sehr achtbares, versiert inszeniertes Qualitätskino, das sich im letzten Drittel in einem überkonstruierten Plot ein wenig verheddert. Freier, stilistisch beweglicher präsentiert sich Jia Zhangke mit seinem episch angelegten Film A Touch of Sin. Der derzeit wichtigste chinesische Filmemacher führt die Chronik der Verwandlung seines Landes nach Still Life oder 24 City weiter, legt den Film jedoch episodischer an, ohne mutwillige Überschneidungen der einzelnen Teile zu suchen: ein misslauniger Arbeiter, der den Ausverkauf seines Dorfes nicht länger tolerieren will; ein schießwütiger Wanderarbeiter, der zum Geburtstag seiner Mutter nach Chongqing heimkehrt; eine Sauna-Rezeptionistin mit heimlicher Affäre sowie ein jugendlicher Jobwechsler, der sich verausgabt, formen das Personal des Films.

Hypermoderne Verrohung

Vehementer, fantastischer und (genre-)gewaltorientierter als in der Vergangenheit beschreibt Jia die Verrohung einer Gesellschaft, die sich an neuen Kapitalverhältnissen und deren Krisen orientiert. Yu Likwais Kamera bewegt sich durch horizontal ausgerichtete Bilder, in denen hypermoderne Fabriksräume, Luxushotels und Hochgeschwindigkeitszüge mit Einsprengseln des alten China kontrastieren, die bereits wie Jahrmarktsattraktionen wirken. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, DER STANDARD, 18./19./20.5.2013)