Francesco Bandarin will "Dialog über Unterschiede hinweg fördern".

Foto: Unesco World Heritage Centre

STANDARD:  Warum hat die Unesco, die Uno-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, einen Tag der kulturellen Vielfalt ausgerufen, der am 21. Mai begangen wird?

Bandarin: Jeder internationale Tag bietet einen Rahmen, das heißt eine Gelegenheit, um an ein Anliegen im internationalen Interesse zu erinnern oder es voranzubringen. Die kulturelle Vielfalt für Dialog und Entwicklung, von der Uno-Generalversammlung beschlossen, ist für die Unesco ein ethischer Imperativ. Sie wird deshalb in der universellen Deklaration der Organisation zum "gemeinsamen Welterbe" gezählt.

STANDARD:  Und was soll dieser Tag bewirken?

Bandarin:  Der ihr gewidmete Tag soll uns veranlassen, vertieft über die Bedeutung dieser Vielfalt nachzudenken. Wir müssen lernen, besser miteinander zu leben. Die Welt ist derzeit voller Spannungen, Konflikte und Verständigungsprobleme. Deshalb ist es bitter nötig, den Dialog über die Unterschiede hinweg zu fördern. Im Mittelpunkt dieses Tages steht letztlich die Solidarität, mit der Kultur als Vehikel.

STANDARD:  Das sind schöne Worte, doch welche konkrete Wirkung kann ein solcher Tag auf die weltweite Entwicklung haben?

Bandarin:  Die gleiche, für die sich die Unesco seit Jahren einsetzt: Ein solcher Tag kann die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung und eine Globalisierung im guten Sinn unterstreichen. Dieser Tag kann ein Bewusstsein schaffen, damit Politiker und Sozialakteure nach dem Prinzip der Vielfalt handeln, damit Regierungen die Kultur in ihre Entwicklungspolitik einbeziehen.

STANDARD:  Tragen die verschiedenen Religionen - oder die Religion als solches - zur kulturellen Vielfalt bei?

Bandarin:  Die zahllosen Weltreligionen und spirituellen Traditionen bereichern eindeutig die kulturelle Vielfalt unserer Welt. Multikonfessionelle Gesellschaften bringen viele Vorteile mit sich. Aber sie können auch, wie vielerorts zu sehen ist, Misstrauen schaffen und zum Rückzug auf die eigene Identität führen.

STANDARD:  Und was kann die Politik gegen solche Entwicklungen machen?

Bandarin:  Unerlässlich ist vor allem der Einsatz der religiösen Führer für Frieden, Versöhnung und Vermittlung. Jüngere Generationen müssen mit "interkulturellen Kompetenzen", das heißt über die Grenzen der einzelnen Kulturen hinweg, ausgestattet werden. So lernen sie, zusammenzuleben und die Vielfalt der Gesellschaften in all ihren Ausprägungen zu bewahren. Aus diesem Grund bemüht sich die Unesco zum Beispiel im kriegsversehrten Südosteuropa, den gegenseitigen Respekt, die Wertschätzung des Kulturerbes sowie die Traditionen der verschiedenen Gemeinschaften zu stärken.

STANDARD:  Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf kulturelle Vielfalt? Ist sie eine Chance oder vielleicht auch Bedrohung?

Bandarin:  Dank der neuen Technologien und einer verstärkten Urbanisierung eröffnet die Globalisierung neue Möglichkeiten für den kulturellen Austausch. Die Kulturen können zusammenfinden wie nie zuvor, und das kann eine Quelle der Bereicherung sein - aber es kann auch zur Vereinheitlichung und zu Missverständnissen, damit zu politischer und sozialer Instabilität führen. Deshalb legt die Unesco so viel Wert auf die Vermittlung der kulturellen Vielfalt. Ich bin überzeugt, dass unser Einsatz mithelfen kann, der Globalisierung ein humanistisches und demokratisches Gesicht zu geben.

STANDARD: Und wie können die einzelnen Künstlerinnen und Künstler zu diesem globalen Dialog einen Beitrag leisten?

Bandarin:  Kunst ist an sich schon eine universelle, grenzüberschreitende Sprache, allen Schriftstellern, Musikern, Tänzern oder anderen Kreateuren eigen. Um zur Vielfalt unserer Welt beitragen zu können, müssen die Künstlerinnen und Künstler aber auch in der Lage sein, ihren Beruf frei auszuüben. Sie müssen sich engagieren können, und zwar nicht zuletzt für den Dialog der Kulturen. Alle sind eingeladen, am Welttag nach ihren Möglichkeiten, Ressourcen und Prioritäten mitzumachen.     (Stefan Braendle, DER STANDARD, 18./19.5.2013)