Er darf sich "Botschafter der Tracht" nennen. Zum Gespräch erschien Miguel Herz-Kestranek nicht in der der Krachledernen. Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer trug einen Ausseer Janker.

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STANDARD: Frau Wallnöfer, Sie tragen heute Tracht, allerdings eine bunt zusammen gewürfelte...

Wallnöfer: Das ist ein Ausseer-Janker aus den 1970er-Jahren, inklusive Rosshaareinlagen. Ich kombiniere ihn meistens mit Jeans und etwas von Susanne Bisovsky.

STANDARD: Im Ausseerland würde man über diese Kombination die Nase rümpfen, oder?

Wallnöfer: Die Traditionalisten, die Volkstanzvereine: ja! Aber das ist der Vorteil der Demokratisierung von Kultur: dass wir mit ihr spielen können.

STANDARD: Herr Kestranek, warum tragen Sie heute keine Tracht?

Herz-Kestranek: Ich trage zu Hause in Sankt Gilgen meine zwei Lederhosen, beide ca. 100 Jahre alt – Lederhosennarren wie ich kaufen die zum Preis eines gebrauchten Kleinwagens – dazu T-Shirt und Segelschuhe.

STANDARD: Ist es ein bewusster Akt, die Lederhose nicht mit herkömmlichen, traditionellen Kleidungsstücken zu kombinieren?

Herz-Kestranek: Ach, herkömmlich! Was wir so tragen, ist eh keine Tracht, das ist trachtig. Tracht – da wäre die Hose knöchellang, dazu ein weißes Leinenhemd, Federkielranzen, schwarze Weste mit bestimmten Knöpfen, ein langer schwarzer Rock, weiße Socken, halbhohe Schnürschuhe und so weiter.

STANDARD: Darf eine spezielle Tracht nur tragen, wer aus einem bestimmten Landstrich kommt?

Herz-Kestranek: Tracht soll tragen, wer mag. Auch in der Stadt wurden früher Dirndl und Lederhose getragen. Der der Volkstümelei wohl unverdächtige Arik Brauer schreibt, er hat als Bub in Ottakring Lederhosen getragen, der Arbeiterdichter Theodor Kramer ist darin gewandert und so weiter.

STANDARD: Redet man über Tracht, denken viele an etwas Heimattümelndes und nicht an Arik Brauer. Warum?

Herz-Kestranek: Das hat mit historischem Unwissen österreichischer Gesinnungsparvenüs und Antifa-Monopolisten zu tun. Die leben halt ihren kleinen Antifaschismus an der Tracht aus. Die Geschichte der Tracht im 20. Jahrhundert ist in mehrfacher Hinsicht eine jüdische geprägte Geschichte. Eines der ersten Gesetze 1938 war das Trachtenverbot für Juden.

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"Ich wehre mich dagegen, zu sagen, die Tracht wurde missbraucht". Elsbeth Wallnöfer

STANDARD: Ist das Kleidungsstück nicht in der Tat missbraucht worden?

Wallnöfer: Ich wehre mich dagegen, zu sagen, die Tracht wurde missbraucht. Die Nazis haben 1938 ganz bewusst die Tracht erneuert. Der frühere geschnürte, unkomfortable und figürlich wenig vorteilhafte Stil wurde überarbeitet. Das wurde dann als rassische Delimitation genutzt: Für die deutsche Frau wurde ein deutsches Dirndl entworfen! Das war kein Missbrauch, das war ein bewusster Akt! Und Trachtengeschäfte, die diese Vorlagen noch immer verkaufen, die schreiben das fort.

STANDARD: Federführend dabei war Gertraud Pesendorfer, die "Reichsbeauftragte für das Trachtenwesen" .

Wallnöfer: Ja, sie hat programmatisch die Form von Dirndln verändert. Das wurde "erneuerte Tracht" genannt. Trachtenvereine halten sich bis heute an diese Vorlagen. Eine tragische Tradierung.

STANDARD: War das Kleidungsstück nicht schon zuvor mit einer volkstümelnden Ideologie aufgeladen?

Wallnöfer: Die ersten Trachtenvereine in Tirol entstanden 1893. In dieser Zeit sind die deutschen Sprachinseln erstarkt, und es stellte sich die Frage, wie man das Deutschtum stärken konnte. Am besten, indem man sich auf Brauchtum konzentriert. So bekam die Tracht einen bewusst politischen Charakter.

Herz-Kestranek: Hitler hat ein gemachtes Bett vorgefunden! Schon 1914 stand im Salzburger Volksblatt, das Dirndlkostüm ist die schlimmste Variante der Kleidung jüdischer Sommergäste. Immer wieder haben Städter die Natur, das Landleben entdeckt. Vor der Jahrhundertwende ist man dann dem Kaiser nach Bad Ischl nachgereist – auch viele Juden. Als Attitude hat man sich dann so ähnlich angezogen wie die Bauern am Feld oder am Sonntag in der Kirche. Die Trachtenvereine wieder waren Auffanglager für die durch die Industrialisierung verlorenen Stände. Im Trachtenverein war man wieder wer!

STANDARD: Wenn es diese Kultur der Tracht auch gibt: Warum hat man in der Nachkriegszeit das Kleidungsstück den Konservativen überlassen?

Herz-Kestranek: Weil es auch mit Werthaltungen zu tun hat. Nachdem man die Geschichte in diesem Land nicht bearbeitet, sondern weggeschoben hat, waren sicherheitshalber Worte wie Heimat, Ehre oder Treue tabu. "Meine Ehre heißt Treue" ist an sich ein guter Spruch. Aber der Schritt von volkstümlich zu volkstümelnd, von Heimat zu Blut und Boden ist ein kleiner, der Abstand zwischen Ehre und Treue und dem assoziierten SS-Wahlspruch nach wie vor hauchdünn. Wenn ich allerdings Lederhosen und Ehre und Treue und Heimat und das Dirndl ihrer Besudelung und ihrem Missbrauch nicht entreiße, dann gebe ich nachträglich denen recht, die besudelt haben, und denen, die es heute unter ähnlichen Vorzeichen wieder oder noch immer tun.

STANDARD: Der Dr.-Karl-Lueger-Ring wurde umbenannt. Aber Dirndl und Tracht trägt man so, als ob nichts gewesen wäre?

Herz-Kestranek: Auch braune Güterwagons gibt's, obwohl damit Millionen Juden ins Gas transportiert wurden. Ich trage Tracht, weil ich damit aufgewachsen bin, weil sie kleidet und weil ich heute wieder darf. Und nicht zuletzt, weil Eigenverantwortlichkeit eine Lebensauffassung sein kann.

Wallnöfer: Die Distanzierung kritischer, linker Menschen vom Dirndl nach 1945 hat mit dem Diktat der Tradition zu tun. Dieses Diktat funktioniert deswegen, weil Trachtenvereine und Trachtenhändler darauf pochen, wann und wo und wie Tracht getragen werden darf. Dieses Diktat nimmt aufgeschlossenen und kreativen Menschen die Möglichkeit, mit der Tracht zu spielen. Im Übrigen wäre ich dafür gewesen, dass man auch den Dr.-Karl-Lueger-Ring beibehält, allerdings mit einer Zusatztafel. Abschaffen muss man Dinge wie den Tobi-Reiser-Preis. Reiser war ein Nationalsozialist, durch den noch im Grab braunes Blut fließt.

Herz-Kestranek: Volkskultur an sich wird ja nach wie vor verraten. Zum Beispiel indem es im Leitmedium ORF Grandprix der Volksmusik anstatt der volkstümlichen Musik heißt. Das eine Großartige hat mit dem anderen musikalischen Schmarrn nichts zu tun.

Wallnöfer: Das sehe ich anders. Jemand wie Karl Moik ist ein Beispiel dafür, wie sich eine Gesellschaft Traditionen aneignet und sie verfremdet!

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Tracht kann in ihrer Vielfältigkeit Ausdruck von Individualität sein. M. Herz-Kestranek

STANDARD: Ausseer Dirndln bei Hofer, die Konjunktur von Landhausmode: Dreht sich Ihnen da nicht der Magen um?

Wallnöfer: Was wir Edelbürger hier betreiben, ist Geschmacksdistinktion. Als Demokratin muss ich das aushalten, ich bin dafür, dass es DJ Ötzi, Hansi Hinterseer und die Landhausmode gibt. Ich sage ja nicht, dass ich das gut finde, aber es muss möglich sein.

Herz-Kestranek: Tracht ist eben keine Uniform. Das grässliche Oktoberfest, der Hofer, die Tostmann, das Ausseer Dirndl, der Trachtenverein, das soundsofarbige soundso gebundene Tüchl: Tracht kann in ihrer Vielfältigkeit Ausdruck höchster Individualität sein.

STANDARD: In den vergangenen Jahren kam es zu einer Konjunktur des Trachtigen: Womit hat dieses Phänomen zu tun?

Herz-Kestranek: Wie jeder Boom ist es erst einmal ein Geschäft. Aber Tracht kleidet einfach. Die kleinste unscheinbare Japanerin ist im Dirndl schöner, der blade Bochumer Tourist in einem Janker statt in Trevira-Shorts und weißen Socken in Sandalen.

Wallnöfer: Ich glaube, dieser Trend hat mit einer entpolitisierten Gesellschaft zu tun. Wir sind zu der oft beschriebenen Spaßgesellschaft geworden. Das Dirndl wird nicht mehr an seine politische Geschichte gekoppelt.

STANDARD: Die Hinwendung zum Ländlichen als Gegenbewegung zur Globalisierung?

Herz-Kestranek: Als leidenschaftlicher Europäer verstehe ich die Sehnsucht nach dem Regionalen, nach Werten oder nach der Natur.

Wallnöfer: Die Hinwendung zum eigenen Kleinen hat mit Bedrohungsszenarien und innenpolitischen Kleingeistereien zu tun. Man schaut wieder stärker auf das Eigene! Genau deswegen bin ich dafür, dass es das Dirndl bei Hofer, dass es Landhausmode gibt: weil das eine Demokratisierung des Kleidungsstücks ist. Unabhängig vom Einkommen ist das Dirndl für alle zugänglich. Auch wenn man keine 5000 Euro für eine Tracht zur Verfügung hat. (Stephan Hilpold, 18.05.2013)