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Regisseur Brillante Mendoza ...

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... und seine "hervorragende Mitstreiterin" Isabelle Huppert, die in "Captive" als Missionarin in die Hände von Entführern fällt.

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STANDARD: "Captive" erzählt eine Geiselnahme durch Abu-Sayyaf-Separatisten, 2001 auf der philippinischen Insel Mindanao. Ging es Ihnen mit dem Film um eine gegenwärtige, lokale Gefahr oder doch mehr um die globale Situation?

Mendoza:  Eigentlich um beides. Diese Form von Gruppenterrorismus ist ein typisch philippinisches Problem, mit dem wir uns schon lange herumschlagen. Früher waren es vor allem Ausländer, die gekidnappt wurden; mittlerweile passiert es auch Filipinos selbst. Es ist wirklich alarmierend, niemand scheint mehr sicher zu sein - unabhängig davon, ob jemand reich oder ein gewöhnlicher Zivilist ist. Es ist so etwas wie ein Geschäftsmodell geworden.

STANDARD: Das sieht man im Film auch daran, wie um die Menschen am Telefon gefeilscht wird.

Mendoza:  Ja, es sollte klar werden, dass das Leben an sich keinen Wert hat. Es wird einfach in diese Ökonomie eingegliedert.

STANDARD: Wie haben Sie den Fall recherchiert?

Mendoza:  Wir haben verschiedene Fälle ausgiebig recherchiert. Selbst beim Dreh kamen noch Passagen nach. Ich wusste von den Entführungen zunächst auch nur aus den Nachrichten - ich wollte mehr darüber erfahren, wie es sich anfühlt, eine Geisel zu sein. Auch noch nach Jahren ist es für Opfer schwierig, über ihre Erfahrung zu sprechen. Es ist, als würden sie es noch einmal durchleben.

STANDARD: Es gibt eine besonders eindringliche Szene, wenn Täter und Geiseln von den Ereignissen von 9/11 erfahren. Wollten Sie damit auch diese Zäsur markieren?

Mendoza:  Ich wollte zeigen, dass es solche Gefahrenherde überall gibt. Wenn man, wie im Film, auf den Philippinen eine Geisel in der Hand hat, geschehen plötzlich anderswo Dinge in viel größerem Maßstab. Die islamistischen Täter haben ihre Freude daran, was in New York passiert - sie betrachten 9/11 als einen Sieg. Man kann dadurch auch ein wenig verstehen, wie sie die Welt wahrnehmen.

STANDARD: Im Hollywoodfilm werden Täter meist dämonisiert. Bei Ihnen rücken sie eigentlich ein wenig in den Hintergrund ...

Mendoza:  Als Filmemacher soll man wie ein Journalist vorgehen und so viele Seiten zeigen, wie man kann - auch jene, die der eigenen Auffassung, dem eigenen Glauben nicht entsprechen. Ein Filmemacher ist kein Priester, kein Richter - er sollte vielmehr jemand sein, der sich an der Wahrheit der Tatsachen orientiert. Die Terroristen sind letztlich auch nur menschliche Wesen. Sie haben Ängste, Leidenschaften, sie können sich dumm aufführen - man sollte zeigen, dass sie ein Teil der Menschheit sind. Sie haben eine Überzeugung, welche die meisten nicht teilen; doch wenn wir sie aus diesem Grund verurteilen, sind wir nicht anders als sie.

STANDARD: Der Film setzt weniger auf Spannungsdramaturgie als auf die Beschreibung der Geiselsituation. Wie haben Sie den erzählerischen Aufbau gefunden?

Mendoza:  Meine früheren Filme "Serbis", "Kinatay" und "Lola" konzentrieren sich auf sehr enge zeitliche Rahmen. In "Captive" geht es um 18 Monate - also fokussierte ich auf für mich wichtige Ereignisse innerhalb dieses Zeitraums. Wie 9/11, das ein bezeichnender, fast surrealer Einschnitt war. Die Enthauptung, die ich ja nicht explizit zeige, geschieht hingegen am philippinischen Unabhängigkeitstag - ein Geschenk an den Präsidenten. Umgekehrt gibt es ruhigere Momente, in denen der Zuschauer überlegen kann, um was für Menschen es sich handelt.

STANDARD: Es ist auch nicht immer klar, ob sich etwas in den Verhandlungen zum Guten oder Schlechten geändert hat.

Mendoza:  Genau. Auch den Schießereien schenke ich insgesamt nicht allzu viel Beachtung. Wenn solche Dinge jeden Tag passieren, werden sie bedeutungslos, Teil des Alltags. Sie werden gejagt, fliehen - das ist ihre Art zu leben.

STANDARD: Sie haben erstmals mit einem europäischen Star, Isabelle Huppert, zusammengearbeitet. Wie lief das denn aus Ihrer Sicht?

Mendoza:  Isabelle ist eine der wichtigsten Schauspielerinnen Europas. Manch einer war skeptisch, weil bei mir ja die gängigen Stufen des Figurenaufbaus, der Proben und Workshops fehlen. Das allein ist eine Herausforderung, aber sie hat mir völlig vertraut. So wurde es am Set für uns beide eine fruchtbare Lernerfahrung. Isabelle ist eben auch eine hervorragende Mitstreiterin - das ist bei meiner Art des Filmemachens sehr wichtig. Wir arbeiten äußerst instinktiv, je nachdem, was sich am Set entscheidet. Bei mir ist Spontaneität gefragt.

STANDARD: Sie haben die Szenen erst am Set entwickelt?

Mendoza:  Viel öfter, als dass wir uns an ein Drehbuch hielten. Isabelle hatte stets eine Idee davon, was als Nächstes gedreht wird. Sie kannte aber keine Dialoge. Sie wusste nicht, wo und was wir drehen werden. Manchmal habe ich den Darstellern nicht einmal gesagt, dass es zu Schießereien kommen würde. Auf diese Weise haben sie sehr glaubwürdig darauf reagieren können.

STANDARD: Das spiegelt die Situation des Geiseldaseins wider.

Mendoza: Ja, obwohl es natürlich keine echten Kugeln waren. Die Charaktere wussten nicht, was mit ihnen geschieht würde - ich habe ihnen immer gesagt, alles könne ihnen zustoßen, während sie hier sind. Das führt auch zu einem gewissen Stressfaktor unter den Figuren: Werde ich meinen Kopf verlieren, werde ich vergewaltigt werden - oder werde ich jemanden heiraten?    (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 17.5.2013)