Plakat einer Medienkampagne in Estland mit einem Menschenhändler, der mit einem profitablen Job im Ausland wirbt.

Foto: redcross estonia

Frau O., 33, verdiente als Lehrerin in der Ukraine 20 Euro im Monat. Die Schule wurde geschlossen und Frau O. arbeitslos. Sie interessierte sich für eine Arbeit in Italien, wovon Frauen in der Stadt erzählten. Eine Nachbarin vermittelte ihr einen Pflegejob in Rom. Per Visum reiste Frau O. nach Polen, von dort illegal nach Rom. Die Versprechungen in ihrer Heimat, sie würde einen Pflegejob für 400 Euro plus Kost und Logis ausüben, stellten sich als Lüge heraus; aus ihrer finanziellen Not heraus und wegen Problemen mit der Aufenthaltsgenehmigung vertraute sie sich einem Mann aus Moldawien an, der ihr einen Job als Serviererin vermittelte. Wiederum wurde sie getäuscht. Durch sexuelle, körperliche und psychische Gewalt wurde Frau O. zur Prostitution gezwungen. Nach mehreren Monaten gelang ihr der Kauf eines Bahntickets nach Wien und sie trat ihre Flucht nach Hause an. Sie wurde in Kärnten im Zug aufgegriffen und kam in Schubhaft.*

"Frauenhandel ist eine Verletzung der Menschen- und Frauenrechte. Als solche muss er endlich anerkannt werden", sagt Evelyn Probst. Seit 1998 leitet sie die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (IBF) des Vereins LEFÖ. Die anerkannte Opferschutzeinrichtung ist bundesweit tätig. Ihre Zielgruppe sind Migrantinnen, die durch Gewalt, Drohung, Ausnützung ihrer Abhängigkeit oder Täuschung nach oder innerhalb von Österreich gehandelt werden, um in der Prostitution, Ehe, im Haushalt oder anderen Bereichen ausgebeutet zu werden. Die Formen des Handels hätten sich seit Beginn ihrer Arbeit kaum geändert, sagt Probst. "Am Anfang des Handels steht eine Form von Täuschung und Betrug. Dann folgt der Transport und dann die Ausbeutung", so die Expertin. "Die Anwerbung kann ganz divers sein - vom klassischen Inserat bis hin zu Familienangehörigen, die involviert sind."

"80 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen"

Die Herkunftsländer der Frauen haben sich seit den 1990er Jahre ebenso  kaum geändert: Sie kommen häufig aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Nigeria, Äthiopien, Kenia oder Indonesien. Es gibt nur Schätzungen darüber, wie viele Opfer es in Österreich wirklich gibt, da nur jene bekannt werden, die mit Opferschutzeinrichtungen und der Polizei in Kontakt treten.

Auch Hannah-Isabella Gasser engagiert sich im Kampf gegen Frauenhandel. Die 25-jährige Afrikanistin gründete im Jahr 2011 den Verein Footprint. "Wir bekommen sehr häufig zu hören: Die machen das eh alle, weil es ihnen Spaß macht. Fakt ist aber: 80 Prozent der Sexarbeiterinnen - und wahrscheinlich noch mehr - sind Migrantinnen. Da muss man sich schon fragen, warum das so ist."

Eine, die die Mechanismen der TäterInnen hautnah miterlebt hat, ist Joana Adesuwa Reiterer. Die gebürtige Nigerianerin kam mit ihrem damaligen Ehemann nach Österreich. "Ich glaubte, er hat ein Restaurant. In Wirklichkeit aber kamen viele junge Frauen in unsere Wohnung, und ich wusste nicht, warum." Nach einiger Zeit kam sie drauf, dass er die Frauen nach Österreich geschleppt hatte, um sie weiterzuverkaufen. "Manche hat er auch selber behalten. Die haben dann am Straßenstrich gearbeitet", erzählt sie. "Ich war 21 und wusste nicht, was Menschenhandel ist. Ich habe es aber geschafft, meinen Kopf dort herauszubekommen." Im Jahr 2006 gründete Adesuwa Reiterer schließlich Exit, einen Verein zur Bekämpfung von Menschenhandel aus Afrika. 

Ausbeutung passiert in vielen Bereichen

Frauenhandel bedeute aber nicht nur Handel in die Prostitution. "Bei Frauenhandel geht es um Ausbeutung, Gewalt, Täuschung. Das kann in vielen Arbeitsbereichen passieren", sagt Evelyn Probst. Der Fokus auf die Sexarbeit verschleiere andere Ausbeutungsverhältnisse. Eines dieser ungeschützten Arbeitsverhältnisse rückt nun vermehrt in den Blickpunkt: Hausarbeit. Dadurch, dass betroffene Frauen hier sehr isoliert sind, sei es besonders schwer, an sie heranzukommen, sagt Probst. Aus dem IBF-LEFÖ-Tätigkeitsbericht 2011 geht hervor, dass ein Großteil der Fälle im Bereich der Hausarbeit aus diplomatischen Haushalten kommt.

"Korruption gehört zum Geschäft"

Die kriminellen Netzwerke, die Frauenhandel begünstigen, sind weitreichend. "Menschenhandel würde nicht funktionieren, wenn nicht auch staatliche Beamte und Beamtinnen involviert wären", sagt die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer. Es wäre naiv zu denken, dass alles nur in der dunklen Unterwelt passiere. "Korruption gehört zu diesem Geschäft dazu. Das fängt in den Passbehörden der Herkunftsländer an und endet bei Polizeibeamten im Aufnahmeland. Manch einer verschließt gegen Geld die Augen."

Auch das restriktive österreichische Einwanderungssystem begünstige Frauenhandel. "Österreich ist durch seine Lage in Zentraleuropa ein wichtiges Land bei der Bekämpfung des Menschenhandels", sagt Sauer. "Der restriktive Ansatz, der versucht, Migrantinnen loszuwerden oder draußen zu halten, spielt den Kriminellen in die Hände."

Politischer Handlungsbedarf

Opfer von Menschenhandel müssen sich als solche deklarieren und Anzeige erstatten, um Anspruch auf Aufenthalt für die Dauer des Verfahrens zu bekommen, sagt Evelyn Probst. "Wenn sie es in diesem Zeitraum schaffen, die Integrationsvereinbarung zu erfüllen, sprich Deutsch zu lernen und eine Arbeit zu finden, bekommen sie erst einen dauerhaften Aufenthalt."

Dass zuerst ein Verfahren aufgenommen werden muss, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, kritisieren gleich mehrere Vereine. "Es sollte um den Schutz der Opfer gehen. So, wie es jetzt ist, geht es eher auf Kosten der Opfer", sagt Joana Adesuwa Reiterer. "Wenn eine Frau aussteigen will, verlangt der Staat zu viel von ihr, bietet aber nichts an. Um ein Trauma aufzuarbeiten, braucht man Zeit und einen sicheren Aufenthalt."

"Die österreichische Gesellschaft ist mitschuldig"

In diesem Kreislauf werden auch Frauen zu Täterinnen. "Die Realität ist komplexer als die Schwarz-Weiß-Malerei von Frauen als Opfern und Männern als Tätern", meint Birgit Sauer. Auch Joana Adesuwa Reiterer kennt solche Fälle: "Leider sind die Mehrheit der Menschenhändler eigentlich Menschenhändlerinnen, die in diesem Kreislauf selbst einmal Opfer waren." Die fehlenden Ausstiegsmöglichkeiten und geringen sozialen Kontakte nach außen ließen sie nicht aus dem System ausbrechen.

Eine Ursache ortet Adesuwa Reiterer in rassistischer Diskriminierung. "Die gibt es überall: auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene.  Die Händler nutzen das für sich: Sie sagen den Frauen, dass die Menschen in Österreich rassistisch sind, dass es Politiker wie Strache gibt. Dann gehen die Frauen auf die Straße und erleben diesen Rassismus, werden abwertend behandelt. Die österreichische Gesellschaft ist in diesem Sinn mitschuldig." Den Frauen würde es so noch schwerer fallen, aus dem Teufelskreis auszubrechen.

LEFÖ-Mitarbeiterin Evelyn Probst kritisiert hier auch mangelndes Handeln der Politik: "Es ist die ideologische Haltung unserer Gesellschaft, die problematisch ist: Diese Migrantinnen sollten ja froh sein, weil es ihnen hier besser geht. Wenn man so denkt, wird Ausbeutung nicht wahrgenommen. Diese Haltung wird aber nicht als ungerecht empfunden, es wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen." Das führe zu einer Schuldumkehr, bei der die Opfer für die ihnen zugefügte Gewalt verantwortlich gemacht werden. "Plötzlich fragt man nach der Motivation der Opfer anstatt nach jener der Täterinnen und Täter." Ihr Resümee: "Insgesamt fehlt auch deshalb der politische Wille, das Thema ins Zentrum zu rücken." (Jelena Gučanin, daStandard.at, 16.5.2013)