Es ist gut, dass der 8. Mai neulich als Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus begangen wurde und nicht als versteckte Trauerkundgebung über die Niederlage Hitlerdeutschlands. Aber "Fest der Freude" in Anlehnung an die Befreiungsfeiern in anderen Ländern Europas? Wir wollen auch so feiern wie die Völker, die den Krieg gegen die Nazis gewonnen haben, hieß es in einer Rede. Nun ja. Aber ganz wohl war einem bei der ganzen Sache nicht.

Wer sich an jene Tage im Jahre 1945 erinnern kann, weiß, dass alle froh waren, dass der Krieg zu Ende war und man hoffen konnte, dass die eingerückten Soldaten, wenn sie das große Schlachten überlebt hatten, nach Hause kommen würden. Nazigegner fühlten sich befreit. Aber für viele stand eine gewisse Benommenheit im Vordergrund. Das Land war besetzt. Man fürchtete sich vor den Russen. Dass "wir" (die Antinazis) gewonnen haben, dachten die wenigsten. Das vorherrschende Gefühl bei der Mehrheit war: Wir haben verloren und müssen jetzt dafür bezahlen. Auf den Straßen getanzt, wie es Bilder aus vielen anderen europäischen Hauptstädten zeigen, wurde in Österreich nicht.

Achtundsechzig Jahre nach dem Ende des Naziregimes erleben wir auf einmal eine neue Welle des Antifaschismus. In Salzburg wurde mit großem Aufwand der Bücherverbrennung im Jahr des Anschlusses gedacht. Es gibt eine Bewegung, die dafür eintritt, auf dem barocken Residenzplatz ein Denkmal zu diesem Ereignis aufzustellen. Eine Erinnerungstafel genDerügt nicht. Straßen werden umbenannt oder sollen umbenannt werden. Keine dubiose Figur soll eine Straße haben. Kein Karl-Lueger-Ring mehr? Dann bitte auch kein Karl-Renner-Ring! Jede historische Persönlichkeit wird penibel auf etwaige antisemitische Bemerkungen in der fernen Vergangenheit untersucht. So, wie wir uns seinerzeit gar nicht einkriegen konnten vor Nazibegeisterung, können wir uns offenbar jetzt nicht einkriegen vor lauter Antinazismus.

Das Migrantenmagazin Biber brachte in einer seiner letzten Nummern ein Cover über "Mischlinge". Untertitel: "Erkennst du den Mix?" Junge Leute mit Eltern aus verschiedenen Nationen berichteten munter über ihre Erfahrungen und nannten sich selber stolz und selbstbewusst Mischlinge. Die Folge war ein großes Rauschen im Blätterwald. Der Vorwurf: Rassismus und Nazidiktion. Auch das Wort "Mädel" geriet vor kurzem unter Naziverdacht, weil die entsprechende NS-Organisation einst "Bund deutscher Mädel" hieß.

Ist das alles gut und längst fällig oder doch ein bisschen überzogen ?

Wer an die Stürmer-Karikaturen in einer FPÖ-Publikation mit den hakennasigen Bankern denkt, muss einräumen, dass die ewig Gestrigen offenbar nicht aussterben. Und zu viel Antifaschismus ist auf jeden Fall besser als zu wenig. Aber wir können auch ruhig feststellen, dass das Thema Antisemitismus bei der überwältigenden Mehrheit der Österreicher kein Thema mehr ist. Wirklicher Rassismus spielt sich heutzutage auf anderen Gebieten ab. Und was die Beschäftigung mit der Nazizeit angeht, so könnten wir uns indessen ein bisschen Gelassenheit leisten. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 16.5.2013)