Bild nicht mehr verfügbar.

Die Grundlagen des Lebens neu zusammensetzen wollen Bio-Ingenieure. Dazu zählt auch die Synthese von Erbgut - wie es in Chromosomen enthalten ist.

Foto: Reuters

Die Vision ist nicht wirklich neu: künstliches Leben, kreiert von Menschenhand. Der Legende nach schuf der Prager Rabbiner Loew Ende des 16. Jahrhunderts einen Golem aus unbelebter Materie. Ähnlich dienstbare, wenn auch viel kleinere Kreaturen wollen heutige Wissenschafter zur Welt bringen. Künstliche Bakterien sollen Treibstoff oder neuartige Medikamente produzieren. Ihre Schaffung würde nach den Prinzipien der Ingenieurskunst erfolgen - mittels vielseitig verwendbarer Komponenten, wie aus einem Baukasten.

Die Perspektiven und Chancen solcher Technologien waren das Thema des Symposiums "Synthetische Biologie" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das Dienstag in Wien stattfand. Dabei ging es auch um die Frage nach der möglichen Zielsetzung. Kann der Mensch mit seinem Wirken die Natur und die Evolution übertreffen?

Es kommt darauf an, was gemeint ist, erklärt Symposiumsreferent Peter Schuster im Gespräch mit dem Standard. Wenn "besser" heißt, dass ein bestimmtes natürliches Enzym funktionell optimiert wird, dann sind Verbesserungen durchaus möglich, meint der an der Universität Wien tätige Chemiker und ehemalige ÖAW-Präsident.

Solche Neuerungen würden sich auf einzelne wichtige Kriterien wie Stabilität oder Produktivität beziehen. "In der Natur gibt es aber viele Kriterien", betont Schuster. Für einen Organismus zählt zum Beispiel nicht nur die Effektivität eines Wirkstoffes, sondern auch der Aufwand, der für seine Produktion erforderlich ist. Die Lebewesen müssen hier eine Art Interessenausgleich wahren - ganz anders als der Wissenschafter im Labor.

Das sehr weite Feld der synthetischen Biologie wird momentan noch nicht von einer speziellen Technik dominiert, erläutert Peter Schuster. Ein solcher Durchbruch stehe jedoch bevor: das Einschleusen kompletter, künstlich hergestellter Genome in lebendige Zellen. Dem US-Biochemiker Craig Venter sind diesbezüglich bereits mehrere entscheidende Schritte gelungen. 2010 sorgte seine Schaffung der ersten Zelle mit künstlichem Erbgut für heftige Reaktionen.

Der Entwicklungsprozess wird durch massive Fortschritte in der Produktion von maßgeschneidertem Erbgut begünstigt. "Die DNA-Synthese ist bereits billig, und sie wird in Zukunft noch billiger werden", meint Schuster. Die Technik braucht allerdings noch eine größere Genauigkeit, der genetische Code muss fehlerfrei übertragbar sein. "Das ist für 10. 000 Basenpaare kein Problem, aber für zehn Millionen schon."

Es gibt allerdings auch noch ganz andere Aspekte. Eine Entwicklung wie die synthetische Biologie birgt einiges an Konfliktpotenzial. Fragen nach möglichen Risiken oder gar ethische Bedenken könnten schnell auftauchen und heftige gesellschaftliche Debatten auslösen.

Akzeptanz und Image

Dies ist das Spezialgebiet von Helge Torgersen, Forscher am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW in Wien. "Gerade Naturwissenschafter können sich oft nicht vorstellen, dass man zu einem Thema unterschiedliche Ansichten hat", sagt Torgersen. Die Experten betrachten die Materie, den Forschungsgegenstand, an sich. Aus einer solchen Perspektive findet normalerweise keine Wertung nach Kategorien wie gut oder schlecht statt.

Laut Torgersen haben vor allem Vergleiche einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf öffentlicher Diskurse. Ob die synthetische Biologie zukünftig eher mit der (genetischen) Biotechnologie, der Nanotechnologie oder dem IT-Bereich verglichen wird, dürfte für ihre Akzeptanz entscheidend sein.

Die drei genannten Innovationsfelder haben schließlich ganz unterschiedliche Images erhalten. Während der Biotechnologie mit ihren genetischen Manipulationen nach wie vor ein schlechter Ruf anhaftet, wurde die Computertechnik von den allermeisten Menschen gerne angenommen. IT ist eben "cool". Die Begeisterung für neue Produkte nimmt hier bisweilen geradezu religiöse Züge an. In Bezug auf die Nanotechnologie scheint die Gesellschaft weitgehend den Fachleuten und staatlichen Kontrollmechanismen zu vertrauen. Sie sollen potenzielle Gefahren dieser Technik bannen.

Der Vergleich synthetischer Biologie mit Biotechnologie mag naheliegend erscheinen, muss aber nicht unbedingt zur vorherrschenden Sichtweise werden. Zurzeit wird das Feld stark von Informationstechnikern mitgeprägt, erklärt Helge Torgersen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung und Interpretation der Grundlagendaten sowie bei der Entwicklung neuer Systeme.

Dementsprechend haben sich auch das Fachjargon und die optimistische Wissenschaftskultur der IT-Branche in der synthetische Biologie ausgebreitet. Für die öffentliche Wahrnehmung könnte dies deutliche Folgen haben, meint Torgersen. "Es ist letzten Endes auch eine Verkaufsstrategie." Eine bewusste Instrumentalisierung der IT-Euphorie zur Propagierung der synthetischen Biologie findet jedoch nicht per se statt, betont der ÖAW-Forscher. Die meisten der beteiligten Wissenschafter seien aufrichtig vom Nutzpotenzial ihrer Arbeit überzeugt.

Torgersen selbst erwartet vorerst keine großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. "Ich glaube nicht, dass es eine breite öffentliche Debatte zum Thema synthetische Biologie geben wird, weil die Leute andere Sorgen haben." Solange keine Eklats wie zum Beispiel Lebensmittelskandale auftreten, die mit den neuen Technologien in Verbindung gebracht werden, dürfte es ruhig bleiben.

Peter Schuster plädiert für Offenheit gegenüber neuen Technologien: " Europa hat seit dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung abgenommen und ist nicht mehr der unumstrittene Mittelpunkt der Welt, insbesondere auch in der Wissenschaft nicht mehr. Wenn die Bürger hier meinen, dass sie einzelne Entwicklungen der Naturwissenschaft aus unsachlichen Gründen nicht zulassen wollen, dann werden diese anderswo passieren und die Wertschöpfung - nicht nur in finanzieller Hinsicht - passiert dann eben auch nur dort." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 15.5.2013)