Michael Bobik von der FH Joanneum.

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"Selbst eine schlecht gedämmte Stadtwohnung verbraucht weniger Energie als ein durchschnittliches Haus auf dem Land." Das sagt Michael Bobik, Leiter des Departments für Bauen, Energie & Gesellschaft der FH Joanneum. Es sind nicht nur die bedeutend geringere Zahl an Außenwänden und der damit verbundene niedrigere Heizaufwand, die städtisches Wohnen energiesparender machen, sondern vor allem auch der Luxus, ohne Komforteinbußen auf viele Fahrten im eigenen Pkw verzichten zu können. Sofern die städtische Infrastruktur das in der Nähe bietet, was die Menschen täglich brauchen: Geschäfte, Schulen, Haltestellen, Grünflächen.

Lebenswerte Städte entstehen nicht von allein, sondern bedürfen einer komplexen Planung. In der Praxis ist diese allerdings oft relativ eindimensional: Entweder man konzentriert sich auf das Flächenmanagement oder auf die Energieeffizienz oder auf soziale Aspekte.

Forscher der FH Joanneum in Graz zeigen in einem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG mitfinanzierten Projekt, wie man diese unterschiedlichen Bereiche miteinander koppelt und so die Voraussetzungen für eine ganzheitliche Stadtplanung im Sinne der Nachhaltigkeit schafft.

Zu diesem Zweck wurden von einem Wissenschafterteam sieben sehr unterschiedliche Grazer Stadtteile einer genauen Analyse unterzogen. Dabei stellte sich beispielsweise heraus, dass die Bewohner einer der grünsten und teuersten Regionen von Graz, dem Ruckerlberg, ihre Autos am seltensten in der Garage stehen lassen. Warum? "Das Problem ist hier nicht mangelndes Bewusstsein, sondern eine schlechte Versorgung mit Infrastruktur", erläutert Projektleiter Bernhard Plé. 75 Prozent der Menschen greifen demnach auf den eigenen Pkw zurück, um ihre Einkäufe zu erledigen und zum Arzt zu fahren. Zu Fuß gehen nicht einmal sieben Prozent, mit dem Rad fahren elf Prozent.

Ganz anders sieht die Situation in Gries aus, einem Bezirk mit hohem Migrantenanteil und durchschnittlich eher gering qualifizierten Bewohnern. Dort erledigen 78 Prozent ihre täglichen Wege zu Fuß, nur 14 Prozent brauchen das Auto. Eine Ursache dafür ist zum einen die bessere Versorgungslage, "zum anderen aber auch die fehlenden Mittel für einen eigenen Pkw", sagt der Soziologe. Diese Erkenntnis gewannen die Forscher aus den rund 70 Haushaltsbefragungen in jedem untersuchten Stadtteil und durch den Vergleich der verschiedenen Wohnregionen.

Die Fahrt zu Nahversorgern

So hat zum Beispiel der Bezirk Geidorf eine ähnliche bauliche Struktur wie Gries und ist auch mit Ärzten, Geschäften, Schulen und Kultureinrichtungen gut versorgt. Die nachbarschaftlichen Beziehungen der Bewohner sind ausgezeichnet, sie fühlen sich sicher und leben ausgesprochen gerne in ihrem Bezirk. Dennoch erledigen nur 54 Prozent von ihnen ihre täglichen Wege zu Fuß.

Ein Viertel benutzt dafür das Auto, obwohl die meisten Einrichtungen auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar wären. "Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass hier, wo die Infrastruktur und auch die Nachbarschaftsbeziehungen gut sind und ausreichend Grünflächen zur Verfügung stehen, das Auto eine geringere Rollen spielen würde", berichtet Plé.

"Wir stellten fest, dass quer durch alle Wohngebiete mit einem hohen Haushaltseinkommen auch der Einsatz des privaten Pkw steigt". Und zwar bei allen Unterschieden im Bildungsniveau, in der Infrastruktur und im Grünflächenanteil in der Wohnumgebung. "Offenbar wird das an Bildung gekoppelte Umweltbewusstsein bei einem hohen Einkommen neutralisiert".

Auf dem Weg zu einem "Ökotopia" müssen dessen Planer solche Zusammenhänge kennen, um an den richtigen Stellen auch die richtigen Instrumente einzusetzen. Neben einer durchdachten (Um-)Gestaltung der Städte dürfte noch viel Bewusstseinsarbeit nötig sein. "Diese muss kleinräumig ansetzen und für die verschiedenen Zielgruppen maßgeschneidert werden", sagt Plé. "Die Leute vom Ruckerlberg sind anders anzusprechen als die von Gries oder Geidorf."

Ebenso wie ein hohes Haushaltseinkommen birgt auch ein sehr geringes nicht nur sozialen, sondern auch ökologischen Sprengstoff. Denn wenn allein die Miete über ein Viertel der Einkünfte verschlingt, ist zwar an ein Auto meist nicht zu denken, wohl aber an die Strom- und Heizkosten. Und diese sind hoch, wenn die Wohnungen schlecht ausgestattet sind. " Diese Menschen können sich energiesparende Wohnungen einfach nicht leisten", weiß der Soziologe. (grido, DER STANDARD, 15.5.2013)