Frei finanzierte Passivhäuser sind in Wien rar gesät. In der Jungstraße 14 im 2. Bezirk ...

Foto: Raiffeisen evolution

... entstand 2009 das erste frei finanzierte Passivwohnhaus des Landes.

Foto: Raiffeisen evolution

Das Passivhaus ist vielerorts mittlerweile zum Baustandard geworden. In Passivhaus-Kreisen wird der "Marktanteil" des Passivhauses im Neubau österreichweit auf 15 bis 27 Prozent geschätzt, was vor allem an den strengen Wohnbauförder-Regimen in den westlichen Bundesländern liegt. Doch auch im geförderten Wiener Wohnbau wird man schnell fündig, wenn man nach Passivhäusern sucht: Auf den ehemaligen Aspanggründen im dritten Bezirk wird derzeit noch am Projekt  "Eurogate" gebaut, das als "Europas größte Passivhaussiedlung" beworben wird (dies aber wohl nicht allzu lange bleiben dürfte).

15 Kilowattstunden als Obergrenze

Ein frei finanziertes Eigenheim in Passivhausbauweise ist in der Bundeshauptstadt hingegen schwer zu finden. Vorreiter auf diesem Gebiet ist das Passivwohnhaus in der Jungstraße 14 im zweiten Bezirk. Das 2009 errichtete Gebäude mit 58 Wohnungen ist ein Projekt von Raiffeisen evolution und Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und nicht nur das erste frei finanzierte (und zertifizierte) Passivwohnhaus Wiens, sondern ganz Österreichs.

Doch warum sind frei finanzierte Passivhäuser in Wien so rar gesät? Die energetischen Standards der Passivhausbauweise verlangen den Planern und Professionisten jedenfalls einiges an Geschick ab. "Eine gute Dämmung der Gebäudehülle, Passivhausfenster, eine luftdichte und wärmebrückenfreie Ausführung und eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass der Heizwärmebedarf 15 kWh/m² pro Jahr und die Heizlast 10 W/m² nicht übersteigen. Durch die permanente Frischluftzufuhr der Lüftungsanlage ist die Luftqualität in den Räumen dann aber auch konstant gut und es kann kein Schimmel entstehen", erklärt Architektin Alexandra Bauer, Leiterin Bauen, Wohnen und Energie von "die umweltberatung" Wien.

Präzise Umgesetzung

Beim Passivhaus muss präziser als im herkömmlichen Wohnbau gearbeitet werden. "Die Luftdichtheit und die Wärmedämmung von Passivhäusern sind eine große Herausforderung und müssen exakt geplant werden", sagt auch Klaus Wolfinger, Bauträgersprecher des Österreichischen Verbands der Immobilienwirtschaft (ÖVI). Dies sei aber nicht tragisch. Das eigentliche Problem: "In der Ausführung darf nichts schiefgehen."

Das bestätigt auch die Expertin der umweltberatung: "Das System ist sensibel, deshalb müssen Planer und Professionisten eng und gut zusammenarbeiten." In (Ost-)Österreich gebe es leider zu wenige Planer und Professionisten, die ausreichend Erfahrung mit der Umsetzung von Passivhäusern haben. "Oft fehlen Zeit und Ressourcen für Weiterbildungen. Es wäre daher sinnvoll und gut, vermehrt Ausbildungen und Weiterbildungen in diesem Bereich zu fördern. Das würde die Marktchancen der Betriebe und der Passivhaus-Technologie verbessern."

Darüber hinaus werde nur selten darüber berichtet, wenn Passivhäuser gut funktionieren und sich die Bewohner wohl fühlen, sagt Bauer. Es habe in der Vergangenheit zu viele Negativberichte über Passivhäuser gegeben, weshalb sich High-End-Projektentwickler vermutlich gerne für eine altbewährte Umsetzungsvariante entscheiden würden.

Auto-Entscheidung

Durch die hohen Standards sind Passivhäuser natürlich auch teurer. Laut IG Passivhaus liegen die Mehrkosten bei zwei bis fünf Prozent im Vergleich zum herkömmlichen Gebäudestandard (nach gültiger Bauordnung), dafür können bei den Betriebskosten 50 bis 80 Prozent eingespart werden. "Durch die geringen Betriebskosten amortisieren sich die Mehrkosten relativ schnell. Gute Architektur und energieeffizientes Bauen müssen nicht teuer sein", so Bauer.

Für Johannes Kislinger, Obmann der IG Passivhaus Ost, rechnet sich das Passivhaus durch die verlässliche Ausführung, die garantierte Qualität und den hohen Komfort von Anfang an: "Fassen wir die Betriebskosten und die Investitionskosten zusammen, haben wir die logische Kaufentscheidung getroffen." Bei Autos sei dies schon lange die ganz normale Entscheidung zur Anschaffung, was sich auch bei Haus und Wohnung durchsetzen werde, ist er überzeugt.

Nachfrage gegeben

Wie sieht es mit der Nachfrage nach frei finanzierten Passivwohnbauten in Wien aus? "Die Nachfrage für Passivhäuser ist gegeben. Doch wer unbedingt in ein Passivhaus ziehen möchte, findet vor allem im geförderten Bereich ein Angebot", sagt Wolfinger.

In jüngster Vergangenheit seien allerdings eher die privaten Bauträger bereit gewesen, den Passivhausstandard zu übernehmen, hört man von der IG Passivhaus: "Der geförderte Wohnbau bietet keine Extrazuckerln mehr für das Passivhaus in Wien. Daher stürzen sich die Gemeinnützigen auf andere Themen wie 'leistbares Wohnen', was einem Trugschluss gleichkommt: Wir sparen scheinbar bei den Investitionskosten, die Betriebskosten sind uns egal. Das verstehen dann eher die Privaten", so Kislinger.

Alternative Niedrigenergiehaus

Alexandra Bauer von "die umweltberatung" vermutet, "dass sich Bauträger und Objektentwickler leichter tun, Wohnungen zu verkaufen, wo man die Mehrkosten neben der Lage hauptsächlich an den Oberflächen und an der Ausstattung sieht. Für eine energieeffiziente Gebäudehülle mit entsprechenden Bauteilaufbauten und Fenstern, unter Verwendung ökologischer Baumaterialien, ist der Kunde im Hochpreissegment eher selten bereit, mehr Geld zu bezahlen", sagt sie.  Energiekosten sparen und ein ökologisch nachhaltiger Lebensstil seien meist nicht die zentralen Kaufmotive für freifinanzierte Objekte.

Für Wolfinger ist das Passivhaus jedenfalls "auf den letzten Metern recht teuer". Vom Kosten-Nutzen-Faktor spreche einiges dafür, mit einem Niedrigstenergiehaus mit einem Heizwärmebedarf von 20 kWh/m²/Jahr zufrieden zu sein. "Das sind ohnehin Rechenwerte, die nur dann zutreffen, wenn der Nutzer es idealtypisch nutzt." Beispiel Lüften: "Natürlich kann man im Passivhaus das Fenster aufmachen, aber wenn es einmal abgekühlt ist, dauert es länger als in einem normalen Wohnbau, bis es sich wieder erwärmt", sagt er.

Passivhausqualität ohne Lüftungsanlage

Manchmal heißen die Alternativen aber auch nicht einfach nur "Passivhaus - Ja oder Nein". Es gibt Möglichkeiten des Kompromisses: WKÖ-Bauträgersprecher Hans Jörg Ulreich (siehe auch Interview) hat bei seinen jüngsten Dachgeschoßprojekten die interessante Variante erprobt, die Außenhülle als Passivhaus zu realisieren, aber dann die einzelnen Nutzer entscheiden zu lassen, ob sie auch die Komfortlüftung haben wollen - und damit ein "richtiges" Passivhaus. "Jeder Dachausbau bei mir kann eine Passivhaus-Wohnung werden", sagt er im Gespräch mit derStandard.at. "Etwa 20 Prozent wollen dann auch die kontrollierte Lüftung, die Wohnung kostet dann eben um 12.000 Euro mehr."

Wer die Wohnraumlüftung nicht dazunimmt, muss natürlich regelmäßig Lüften - was die Bewohner seiner Erfahrung nach aber ohnehin tun würden. "Viele Leute wollen das Passivhaus ja deshalb nicht, weil sie immer noch glauben, da kann man das Fenster nicht aufmachen." Angst vor Schimmel muss man seiner Ansicht nach nur dann haben, wenn es Baufehler gibt. "Die Dichtheit der Fenster und das dichte hochtechnische Bauen, wie wir es heute haben, verzeiht keine Fehler", weiß auch er. "Fehlerloses Bauen ist aber fast nicht möglich." Deshalb komme es wesentlich auf die Ausführung an: "Bei uns wird jede Wohnung mit Wärmebildkamera abgenommen, und außerdem gibt's bei jeder Wohnung einen Blower-Door-Test" - also eine Luftdichtheitsprüfung.

Flächenverlust durch Dämmung

Bei innerstädtischen Neubauten von gewerblichen Bauträgern kommt es laut Ulreich außerdem vor allem wegen des Flächenverlusts durch die notwendige dickere Dämmung selten zur Passivhaus-Ausführung. Er hat sich selbst schon einmal ausgerechnet, dass er bei einem Projekt mit insgesamt nur 2.000 Quadratmetern Nutzfläche alleine 100 Quadratmeter wegen der Dämmung verlieren würde - also eine ganze Wohnung. "Bei einem Verkaufspreis von 2.000 Euro je Quadratmeter sind das 200.000 Euro. Und da muss man dann die potenziellen Käufer auch noch bequasseln, ob sie nicht ein Passivhaus haben wollen."

Ganz ahnlich denkt man auch bei Raiffeisen evolution nach der Realisierung des Pionierprojekts in der Jungstraße. Man habe es mittlerweile sorgfältig evaluiert, berichtet Ernst Kovacs, Bereichsleiter Projektentwicklung. Als größtes Problem seien dabei nicht die Mehrkosten, sondern der Flächenverlust "aufgrund der 30 Zentimeter starken Dämmung" erkannt worden. "Das verliert man innen an Nutzfläche."

Man habe dann entschieden, weitere Projekte nur im Niedrigenergiestandard zu realisieren, da hier dennoch Kosten eingespart und Ressourcen geschont werden. Aus der Sicht der Bauträger stehen die erhöhten Baukosten und die Kosten des Flächenverlustes in keinem vernünftigen Verhältnis zur geringen Ersparnis bei den Heizkosten. "Der Verbrauch von circa 24 bis 30 kWh/m² im Jahr bei unseren Niedrigenergiehäusern liegt bereits sehr knapp beim Verbrauch eines Passivhauses von unter 15 kWh/m² im Jahr."

Brauchen wir die dicke Dämmung?

Auch Jakob Dunkl, der mit seinem Architekturbüro querkraft architekten für das (gefördert errichtete) Passivwohnhaus U31 kürzlich den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit geholt hat, hat keine Freude an der dicken Dämmung: "Wir können uns ja gar nichts anderes vorstellen, als Gebäude in feste, dicke Daunenjacken einzukleiden. Doch die dicke Styropordämmung, die meist die einzig erschwingliche Variante ist, ist hässlich. Die notwendigen, hochwärmedämmenden Verglasungen mit dicken Fensterprofilen sind nicht so elegant."

In Deutschland gebe es zudem Diskussionen darüber, ob es überhaupt vernünftig sei, so dick zu dämmen. "Einerseits wegen der Brandgefahr, da Styropor brennen kann. Andererseits ist Styropor ein Erdölprodukt und somit nicht nachhaltig." Die graue Energie bei der Produktion der Dämmstoffe könne extrem hoch sein, werde beim Passivhausstandard aber nicht berücksichtigt.

"Nearly Zero Emission" ab 2020

Johannes Kislinger weist darauf hin, dass die EU ab 2020 den "Nearly Zero Emission Buildings"-Standard beschlossen habe. "Das lässt sich durch den Passivhaus-Standard besonders elegant ausführen", so der IG-Passivhaus-Obmann.

Dunkl bevorzugt aber eine alternative Sicht auf nachhaltige Gebäude: "Ich persönlich hoffe, dass das Passivhaus nicht die einzige Option für die Zukunft ist. Ludger Hovestadt von der ETH Zürich vertritt die These, dass erneuerbare Energien in zehn Jahren sehr günstig werden, weshalb wir unsere Häuser nicht länger in dicke Daunenjacken hüllen müssten. Sein Kollege an der Schweizer Universität, Hansjürg Leibundgut, sagt zudem, dass es das Einfachste sei, die sommerliche Hitze 300 Meter in die Tiefe zu schicken und zu speichern, um sie im Winter wieder raufzuholen. Das ist von der Idee her simpel und extrem ökologisch."

Energieverbrauch "nicht überbewerten"

Es sei im Übrigen "ein Mythos, zu glauben, wenn man ein Passivhaus außerhalb der Stadt baue, habe man etwas für den Planeten getan", so ÖVI-Bauträgersprecher Wolfinger. Ein vernünftiges Mobilitätsverhalten bewirke viel mehr. Derselben Meinung ist auch Dunkl: "Ein Passivhaus mit zwei Autos vor der Türe ist von der Gesamtbilanz her schwachsinnig. Man sollte den Verbrauch eines einzelnen Objekts nicht überbewerten. Statt freistehenden Einfamilienhäusern vor der Ortstafel sollten leerstehende Gebäude im Ortskern forciert werden, die nahe an Bus- und Bahnstation sind."

Zudem verstehe Dunkl die gesamtgesellschaftliche Logik nicht: "Wir, die in der Baubranche arbeiten, müssen uns enorm anstrengen, um mustergültige Gebäude zu bauen, die keine Energie verbrauchen. Beim Verkehr ist das nicht der Fall. Pkws, die viel Sprit verbrauchen, sind nicht verboten. Häuser, die viel Energie verbrauchen, hingegen schon. Wir müssen somit mit hohem Aufwand Klimaschutz umsetzen, den sich die Leute finanziell nicht leisten können." (Sonja Tautermann, derStandard.at, 22.5.2013)