Natália Kelly tritt mit ihrem Song "Shine" beim ersten Semifinale in Malmö an.

Foto: ORF/Milenko Badzic

"Euphoria" - ein Eurovision-Song-Contest-Siegerlied eroberte die Charts und machte damit wohl die größte denkbare Werbung für den Bewerb. Also eröffnet Loreen samt Kinderchor die Saison 2013. Eines darf man aber schon jetzt vermuten: Die Edition 2013 wird keinen solchen Welthit schaffen. Da sind sich hier nahezu alle einig. Es gibt zwar einige gute Beiträge, aber vermutlich eher keinen, der ein Hitpotenzial à la "Fairytale" (2009), "Satellite" (2010) oder eben "Euphoria" hat.

Die ersten 16 Lieder kämpfen heute Abend um einen Finalplatz: Sechs werden hinausfliegen, zehn werden wir am Samstag wiedersehen. Welche? Das können Österreicher und Österreicherinnen heute mitbestimmen. Vorhersagen lässt es sich aber schwer: Werden sich gleich vier ex-jugoslawische Staaten und gleich sechs ehemalige Sowjetrepubliken ins Finale voten oder sich eher kannibalisieren?

Nach den 16 Beiträgen gibt es übrigens einen kleinen historischen Rückblick auf die ESC-Geschichte, inklusive Udo Jürgens.

Jetzt schreiben wir allerdings nicht 1966, sondern 2013. Und das erwartet euch heute Abend:

1. Österreich: Natália Kelly - "Shine"

Für die Leuchtobjekte im Hintergrund hat sich in Malmö der Begriff Kondome durchgesetzt. Wir allen kennen das Lied. Viele raunzen, viele lieben den Song, vielen ist er schlicht egal. Wie auch immer: Österreich schickt ein junges Mädchen, die eines sicher kann: fantastisch singen. Ich drücke ihr alle Daumen!

Chancen fürs Finale: Die Buchmacher sagen Ja. Zitterpartie, aber gut möglich

2. Estland: Birgit - "Et uus saaks alguse"

Eine klassische ESC-Ballade in Landessprache mit einem Kleid, das von irgendeinem früheren griechischen Beitrag geklaut worden sein dürfte. Euer Fernseher ist übrigens nicht kaputt. Die Esten wollen das anfangs so schwarz-weiß, warum auch immer. Wer so was mag, wird Gänsehaut bekommen. Wer so was nicht mag, kann sich getrost ein Bier holen gehen.

Chancen fürs Finale: Wird eher schwierig

3. Slowenien: Hannah Mancini - "Straight Into Love"

Ja, die Lack-und-Leder-Fraktion darf nie fehlen und kommt immer gern vom Balkan (sofern man Slowenien noch dazuzählen mag). Schuppen trägt sie auch noch! Futuristische Masken stellen uns Hannah vor. Ziemlich austauschbare Uptempo-Nummer, die ziemlich ratlos zurücklässt. Die Chance des Liedes: Man freut sich, dass endlich mal etwas die Post abgeht. Das war's dann aber auch schon.

Chancen fürs Finale: Eher raus

4. Kroatien: Klapa s mora - "Mižerja"

Man kennt so was von Zehn Tenören, Adoro oder wie solche Acts auch heißen. Pop mit Klassik-Touch wurde beim ESC immer wieder probiert - und hatte selten Erfolg. Die fünf Tenöre aus Kroatien fanden für ihren Song historistische Mäntel aus irgendeinem Theaterfundus. Die Komposition ist sogar recht eingängig, mögen muss man so was halt. Die eine oder andere Oma wird wohl dafür anrufen.

Chancen fürs Finale: Intakt, aber nicht sicher

Und dann kommen die drei Favoritinnen gleich im Block:

5. Dänemark: Emmelie de Forest - "Only Teardrops"

Sie wird den Song Contest 2013 gewinnen! Das behaupten zumindest alle Buchmacher. Shakira-Feeling, wenn sie da anfangs am Boden sitzt, keltische Flöte, eingängige Melodie, Steigerungen, wo es passt. Alles perfekt! Aber gerade dadurch wirkt der Song ein bisschen wie am Reißbrett entworfen: Was tut in Europa niemandem weh? Was kann man von Ost bis West, von Nord bis Süd gut finden? Trotzdem bleibt sie Favoritin. Nicht nur für heute Abend.

Chancen fürs Finale: Eine Bank

6. Russland: Dina Garipova - "What If"

Russland hat dieses Jahr wieder alle Trümpfe in der Hand: Die Punkte der Nachbarn und diesmal sogar ein recht gefälliges Pop-Liedchen, Ballons auf der Bühne, eine hübsche Sängerin, die für eine osteuropäische Song-Contest-Teilnehmerin sogar erstaunlich sittsam gekleidet ist. Es ist wohl nicht eine Siegesfavoritin, aber Top-Platzierung wohl mehr als wahrscheinlich.

Chancen fürs Finale: Geht sich locker aus

7. Ukraine: Zlata Ognevich - "Gravitiy"

Der größte Mann der USA misst ganze 2,43 Meter und wurde in der Ukraine geboren. Er hat seinen buchstäblich großen Auftritt und darf die Sängerin auf die Bühne tragen. Warum, weiß allerdings niemand. Das Lied würde nämlich auch ohne den Gag funktionieren: ein kraftvoller Song, der leise beginnt und am Ende auftrumpft, sehr authentisch vorgetragen. Wird auch am Samstag ganz, ganz weit vorne landen!

Chancen fürs Finale: Top

8. Niederlande: Anouk - "Birds"

Mein persönlicher Favorit ist natürlich nicht immer der Favorit Europas. Wie in diesem Fall. Aus meiner Sicht: packend, fesselnd, ein Meisterwerk von Anouk, die in ihrer Heimat (und nicht nur dort) Superstar ist und in Malmö über tote Vögel singt. Es wäre wohl eine nationale Katastrophe in den Niederlanden, wenn sogar Anouk es nicht ins Finale schaffen würde. Bei den Proben hinterließ sie leider manchmal den Eindruck, als mache ihr der ESC-Zirkus überhaupt keinen Spaß. Das letzte Mal waren die Niederlande 2004 im Finale. Ich bin mal so frech: Liebe Österreicher und Österreicherinnen, ruft für Anouk an!

Chancen fürs Finale: Leider knapp, könnte vielen zu depressiv sein

9. Montenegro: Who See feat. Nina Žižić - "Igranka"

Astronauten betreten die Bühne! Eine Rap-Nummer mit Dubstep und Sängerin mit Sauerstoffrucksack. Es wird einige geben, die diesen Act tatsächlich auf den Mond schießen wollen. Es wird auch einigen sehr gefallen. Ich vermute aber, das werden nicht genug sein. Es ist schon eine recht chaotische Sache, was uns Montenegro bietet. Aber Publikum verwirrt zurücklassen ist natürlich auch eine legitime Strategie.

Chancen fürs Finale: Schwer einzuschätzen, ich gehe eher nicht davon aus

10. Litauen: Andrius Pojavis - "Something"

Die eindrucksvollste Augenbrauenchoreografie der ESC-Geschichte hätte uns erwartet, wenn man ihm diese Macke nicht von Probe zu Probe ausgetrieben hätte. Ich protestiere hiermit offiziell bei der litauischen Delegation dagegen! Andrius wirkt, als ob er gerade von der Straße gecastet worden sei und mal eben auf die ESC-Bühne gestellt worden wäre. Girtarrenpop der eher langweiligen Sorte.

Chancen fürs Finale: Eher raus

11. Weißrussland: Alyona Lanskaya - "Solayoh"

Aus politischer Sicht wäre ja ein Song Contest in Minsk mal herrlich provokant. So die Meinung vieler hier. Erstaunlicherweise die einzige Ethno-Uptempo-Nummer der Saison 2013, denn normalerweise wimmelt es nur von solchen Songs. Die größte Discokugel in der ESC-Geschichte darf auf die Bühne. Also Party pur aus der Diktatur.

Chancen fürs Finale: Eher ja

12. Moldawien: Aliona Moon - "O mie"

Solche Songs gibt es seit Beginn des ESC, und sie gehören nun mal dazu. Und da Balladen dieses Jahr gerne in der Landessprache gesungen werden, dürfen wir uns auch hier über schönes Rumänisch freuen. Der viele Stoff am Kleid, schön drapiert, weiß zu beeindrucken und ergibt dann auch einen choreografischen Sinn, wenn sie langsam in die Höhe steigt. Und von den vielen Balladen dieses Jahr ist das eine der besseren.

Chancen fürs Finale: Eher ja

13. Irland: Ryan Dolan - "Only Loves Survives"

Die größte Überraschung: keine hyperventilierenden Zwillinge aus Irland mehr, sondern ein junger Sänger, den man aber getrost ignorieren darf. Denn aufgepasst alle, die auf knackige Männerkörper abfahren: auf die Kerle im Hintergrund achten! Uptempo-Nummer, die sich sogar recht nett anhört, aber schnell wieder vergessen ist. Und die Stimme ist auch eher Geschmackssache.

Chancen fürs Finale: Zitterpartie

14. Zypern: Despina Olympiou - "An me thimase"

Was Anouk in den Niederlanden und Bonnie Tyler in Großbritannien ist, ist Despina in Griechenland und Zypern: ein Superstar. Doch leider ist das Lied ein bisschen gar ruhig und bescheiden. Zudem traut sie sich etwas zu tun, was zwar mutig, zugleich aber auch gefährlich ist: Sie steht ganz alleine auf der Bühne. Keine Tänzer, keine Backgroundsänger, einfach nichts. Nur sie. Schlicht. Zu schlicht?

Chancen fürs Finale: Schade, wenn's nichts wird, aber ich fürchte, so wird's kommen

15. Belgien: Roberto Bellarosa - "Love Kills"

Als das Lied im Herbst 2012 auf Youtube gestellt wurde, waren alle ziemlich entsetzt. Eine schief sitzende Stimme stolperte durch ein Lied. Doch der jüngste Teilnehmer des diesjährigen Contests hat offenbar noch ein wenig geübt. Er singt "Love Kills", aber es bleibt der Eindruck, dass der Junge eigentlich keine Ahnung hat, worüber er da singt. Ein spitzzüngiger deutscher Sitznachbar im Pressezentrum meinte "Jungfrauenalarm".

Chancen fürs Finale: Eher raus

16. Serbien: Moje 3 - "Ljubav je svuda"

Der Barbara-Dex-Award für das schrecklichste Outfit wird alljährlich zu Ehren der Belgierin, die 1993 auf ihre Art zu beeindrucken wusste, vergeben. Den Serbinnen ist der Award wohl nicht mehr zu nehmen. Die hässlichen zuckerlfarbenen Kostümchen passen allerdings zum Beitrag und zur albernsten Choreografie des diesjährigen Song Contests. Die drei Sängerinnen inszenieren einen Zickenkrieg und streiten sich über irgendwas. Nicht Pop, nicht Comedy, irgendwie gar nichts.

Chancen fürs Finale: Einmal sehen reicht. (Marco Schreuder, derStandard.at, 14.5.2013)