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Proteste vor dem Kulturpalast in Sofia in der Wahlnacht. F.: EPA/Licovski

Foto: EPA/GEORGI LICOVSKI

Sofia/Istanbul - "Mafia, Mafia!", rufen sie wütend, rütteln an den Absperrgittern, wo die Polizisten stehen, und schwenken Fackeln. Nach den Protesten ist vor den Protesten: Die spontanen Wutausbrüche in der Wahlnacht vor dem Kulturzentrum in Sofia, der Betonburg aus sozialistischer Zeit im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt, haben einen Vorgeschmack auf die Zeit nach der Parlamentswahl vom Sonntag gegeben. Bulgarien hat gewählt, aber es glaubt weder an den fairen Ablauf der Wahlen noch an eine Lösung der sozialen Krise.

Das Ergebnis hat die Diskutanten in den Talkshowrunden ratlos zurückgelassen. Erst gegen Montagmittag, als mehr als 90 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, zeichnete sich eine denkbare Lösung ab: Die Sozialisten der BSP unter Führung des früheren Premiers Sergej Stanischew können eine Koalition mit ihrem alten Bündnispartner, der Partei der türkischstämmigen Bulgaren (DPS, Bewegung der Freiheit und der Rechte), eingehen. Doch dann fehlen wohl immer noch zwei Sitze zur Mehrheit im Parlament.

"Expertenregierung", Regierung der "nationalen Rettung", "möglichst breite Regierung" waren die Formeln, mit denen Parteipolitiker hantierten, um aus dem knappen Ergebnis der Wahl eine Perspektive herbeizureden: Eine "kleine" Koalition oder gar eine Minderheitsregierung sähe viel zu schwach aus angesichts der Größe der Aufgabe. "Das Land ist am Rande des Zusammenbruchs. Die Geldreserven der Unternehmen und der Haushalte sind aufgebraucht", erklärte Plamen Orescharski, ein Exfinanzminister, den Stanischew zum Kandidaten für das Amt des Premiers vorgeschlagen hat.

Straßenproteste

Wochenlange Straßenproteste wegen der Armut im Land hatten die konservative Regierung von Boiko Borissow im Februar zum Rücktritt gezwungen. Mit knapp über 30 Prozent ist seine Partei Gerb erneut zur stärksten Kraft geworden - für sich genommen, ein beachtlicher Erfolg. Doch niemand mehr will Borissow im Parlament unterstützen. "Die Regierung Borissow ist gestürzt, sie wird nicht mehr wiederkommen", erklärte in der Wahlnacht ein selbstsicherer Stanischew.

Auch Wolen Siderow, der Chef der rechtsextremen Ataka, die als vierte Kraft wieder ins Parlament einzieht, beendete schnell Spekulationen, seine Partei könnte - wie fallweise in den vergangenen Jahren - Borissow Stimmen leihen. Borissow habe ihm Schaden zugefügt, ihn "betrogen", die Ataka-Fraktion verunglimpft, beschwerte sich Siderow. Er hatte als Erster das Thema der hohen Strompreise auf die Straße gebracht und die zerstrittene Partei damit wieder aus dem Tief geholt. Der Hinauswurf der ausländischen Stromversorger aus Bulgarien - auch der österreichischen EVN - gehört zu den Forderungen des rechtsextremen Führers. Dass er nun aber eine Koalition unterstützen könnte, die von den Sozialisten und der Partei der Türkischstämmigen, die er stets bekämpft hat, gebildet wird, scheint sehr gewagt.

Chaos am Wahltag

Mira Janowa, eine Soziologin und Wahlforscherin, zweifelt deshalb an der Zukunft eines solchen Bündnisses. "Sie können eine Koalition machen und das als eine Art Regierung der nationalen Einheit verkaufen - aber werden die Leute daran glauben?", sagte sie dem Standard. Gelingt eine Regierungsbildung, dann wird die Koalition nur kurze Zeit halten, glauben viele politische Beobachter in Sofia.

So chaotisch wie der Wahltag begonnen hatte, endete er auch. In den Wahlbüros ging der Toner bei den Druckern aus, die Justiz ermittelte weiter wegen der 350.000 aufgetauchten zusätzlichen Wahlzettel. Das Wiener Institut Sora, das von der Opposition mit der Parallelauszählung der Stimmen beauftragt war, konnte erst spät beginnen: Die Webseite war gehackt worden. (Markus Bernath, DER STANDARD, 14.5.2013)