Benno Stieber von den deutschen "Freischreibern".

Foto: Freischreiber

75 Euro für eine Buchrezension, 200 Euro für eine Reportage, 20 Euro für zwei Fotos. Das sind Beispiele von Honoraren, die deutsche Medien an freie Journalisten zahlen, gesammelt auf der Plattform "Was Journalisten verdienen". Benno Stieber, Mitinitiator des Portals und Mitgründer von "Freischreiber", einer Organisation, die für höhere Honorare und mehr Rechte für freie Journalisten kämpft, erklärt im Interview mit derStandard.at, was in der Branche falsch läuft und wieso er trotzdem keine Festanstellung anstrebt. Stieber war vergangene Woche im Rahmen einer Initiative für Freie, organisiert von fjum - forum journalismus und medien, in Wien.

derStandard.at: Warum wurde "Freischreiber" gegründet?

Stieber: Die Freien sollten die Bedeutung in der Branche erhalten, die ihnen längst zusteht. Ein großer Teil der Presseerzeugnisse funktioniert mit freien Journalisten, aber in Organisationen oder in Redaktionen findet man sie nur unter ferner liefen. Das Ziel war es, die Honorare zu verbessern und dass die Redaktionen uns so behandeln, wie man mit Leuten umgeht, die notwendige Produkte liefern - nämlich das Kernmaterial für Zeitungen und Zeitschriften. Wir wollten die Verlage auch an der Ehre packen. In den Sonntagsreden wird von Qualitätsjournalismus gesprochen, dafür wird aber zu wenig bezahlt.

derStandard.at: Sie wollen Medien, die schlecht zahlen, beim Namen nennen und an den Pranger stellen?

Stieber: An den Pranger stellen ist zu hart. Wir haben einen Positiv- und einen Negativpreis ausgelobt, den Himmel- und den Höllepreis für die beste und die aus unserer Sicht schlechteste Redaktion in Bezug auf die Arbeitsbedingungen für freie Journalisten. Zuckerbrot und Peitsche also. So wollen wir mit Verlagen ins Gespräch kommen.

derStandard.at: Mit Erfolg?

Stieber: In einem Jahr wurden zum Beispiel "Spiegel Online", "Neon" und "Für Sie" für den Höllepreis nominiert. Bei "Spiegel Online" ist es uns gelungen, Einfluss auf die neuen AGB zu nehmen. Das zeigt, dass wir ernst genommen werden. Wir sind ja nicht übrig geblieben, sondern wir arbeiten gerne als Freie, weil wir uns etwa die Zeit selbst einteilen können und gewisse Themen bearbeiten wollen. Meine letzte Festanstellung hatte ich vor zehn Jahren. Unser Leitbild ist auf der einen Seite eine unternehmerische Herangehensweise an den Beruf und auf der anderen Seite, unseren Idealismus nicht zu vergessen.

derStandard.at: Wie viele sind bei Ihnen freiwillig frei und wie viele ringen um eine Anstellung?

Stieber: Laut einer Untersuchung von vor zwei Jahren sind 60 Prozent unserer Mitglieder gewollt als freie Journalisten tätig. Jenen, die es nicht freiwillig sind, wollen wir auch die Vorteile aufzeigen.

derStandard.at: Mit welchen Vorteilen argumentieren Sie?

Stieber: Zum Beispiel, mitbestimmen zu können, welche Themen man wo platziert. Vielfältig arbeiten zu können. Ich muss ja nicht nur Auftragsjournalismus machen, ich kann Bücher schreiben, crossmedial arbeiten. Das ist auf der einen Seite eine Notstrategie, um das Honorar aufzubessern, andererseits aber eine Chance auf vielfältiges Arbeiten. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass viele Freie, sobald sie die Vorteile sehen, keine Festanstellung mehr annehmen wollen. Als ich mich entschloss, als Freier zu arbeiten, hat eine Kollegin gesagt: "Pass auf, wenn du das zu lange machst, bist du nicht mehr resozialisierbar." Das stimmt schon auch.

derStandard.at: Um das zu realisieren, muss Ihre Grundforderung erfüllt werden? Nämlich jene nach höheren Honoraren?

Stieber: Am Ende können Sie das darauf reduzieren, wir haben aber viel mehr Forderungen. Zum Beispiel einen "Code of Fairness". Das sind zehn Punkte, die an unsere Auftraggeber gerichtet sind. Dazu gehören so banale Dinge wie das Einfordern einer Reaktion, wenn man ein ausgearbeitetes Thema anbietet, oder dass man das Recht auf den letzten Blick hat, bevor der Text gedruckt wird oder online geht. Und dass zügig und angemessen bezahlt wird.

Es geht also um mehr als nur um das Honorar, nämlich um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Wegen des "Codes of Fairness" verhandeln wir gerade mit Redaktionen, dass sie ihn unterschrieben und es eine Art Gütesiegel wird. Bei ein, zwei Redaktionen könnte das in Kürze klappen. Interessanterweise sind das eher kleine Redaktionen. Die sind auf Freie angewiesen und haben erkannt, dass sie ordentliche Honorare zahlen müssen, um vernünftige Texte zu bekommen.

derStandard.at: Wie kommt man überhaupt zu den "Freischreibern"?

Stieber: Aufnahmekriterium bei uns ist, dass es sich um hauptberufliche freie Journalisten handelt. Ein weiterer Punkt ist, dass es eine Trennung zwischen Journalismus und PR-Tätigkeiten gibt. Dass man sich nicht von zwei Seiten bezahlen lässt, dass man nicht Artikel lanciert. PR-Aufträge können wir unseren Mitgliedern nicht verbieten, weil es viele brauchen, um überleben zu können.

derStandard.at: Sind PR-Texte so viel besser bezahlt?

Stieber: Ja, um einiges. Wenn man von Tagessätzen in Deutschland redet, ist man mit 300 Euro bei einem Magazin sehr gut bedient. Bei der PR fängt es überhaupt erst bei der Summe an und geht dann deutlich höher.

derStandard.at: Das heißt, PR ist bei vielen der Brotjob und Journalismus mehr Idealismus?

Stieber: Unsere Mitglieder definieren sich schon als Journalisten, müssen aber PR machen, weil die Honorare nicht reichen. Ich mache zum Beispiel zweimal im Jahr ein Unternehmensmagazin für ein Ingenieursbüro in Karlsruhe. Wenn ich für sie schreibe, kann ich nie über sie schreiben, das ist klar. Das bringt mir ein fixes Honorar, mit dem ich rechnen kann. Eine Form von Risikostreuung und Absicherung.

derStandard.at: Gibt es ein großes Honorargefälle zwischen den Mediengattungen? Zum Beispiel zwischen Tages- und Wochenzeitungen?

Stieber: Grundsätzlich ist es so, dass die Lokalzeitungen am schlechtesten zahlen. Von Tageszeitungsjournalismus bei einer Lokalzeitung kann man als hauptberuflicher freier Journalist nicht mehr leben.

derStandard.at: Wie steht es in Deutschland um den Onlinebereich?

Stieber: Der dürfte vergleichbar mit dem lokalen Tageszeitungsjournalismus sein, also ähnlich schlecht. Was große Aufmerksamkeit erregt hat, auch in Österreich, ist unser Übersichtsportal "Was Journalisten verdienen", ein Blog mit bereits rund 300 Erfahrungsberichten: Wer zahlt wie viel? Wir wollen das auch systematisch auswerten, aber als Faustregel gilt: Online ist schlecht bezahlt. "Spiegel Online" zahlt beispielsweise für eine einfache Meldung, was immer das auch ist, 100 Euro. Und "Spiegel Online" ist nach der "Bild"-Zeitung das reichweitenstärkste Portal in Deutschland.

derStandard.at: "Einfache Meldung" heißt ...?

Stieber: Wir hatten eine Diskussion mit "Spiegel Online", in der argumentiert wurde, dass solche Artikel nicht mehr als zwei Stunden in Anspruch nehmen. Wie soll das gehen? Sie müssen ja ein Thema vorschlagen, mit Leuten telefonieren et cetera. Für das Umschreiben einer dpa-Meldung brauchen die keine freien Journalisten, das machen sie selbst. Für große Reportagen ist "Spiegel Online" aber ohnehin nicht der richtige Ansprechpartner, da müssen Sie etwa "Brand eins" oder andere fragen. Nach Online kommt die überregionale Zeitung, die auch schlecht bezahlt, da hat man Sätze von 80 Cent bis 1,20 Euro pro Zeile. Wochenmagazine zahlen verhältnismäßig gut. Auf ähnlichem Level sind Monatsmagazine wie "Brand eins" und "Cicero". So ist die Hierarchie in Deutschland.

derStandard.at: Fürchten Verlage nicht um ihr Renommee, wenn auf einem Portal wie "Was Journalisten verdienen" steht, wie wenig sie Freien bezahlen?

Stieber: Die Verlage schweigen dazu. Wenn man die Verantwortlichen direkt damit konfrontiert, etwa bei Podiumsdiskussionen, haben sie ein unheimlich schlechtes Gewissen. Zumindest jene, die innerhalb des Verlages als Journalisten arbeiten. Bei den Verlagsmanagern ist das wiederum anders, da steckt ja Methode dahinter. Man muss sich vor Augen halten, dass deutsche Verlage in den letzten Jahren Umsatzrenditen von 20 Prozent hatten. Zum Teil haben sie noch welche, von denen andere Branchen nur träumen können. Allerdings sind freie Journalisten noch nie an den Erfolgen ihrer Verlage beteiligt worden.

derStandard.at: Auf dem Portal steht etwa, dass die "Süddeutsche Zeitung" für eine Reportage mit 6.000 Zeichen 280 Euro zahlt. Qualität ist also kein Kriterium, wenn es um Ausbeutung geht?

Stieber: Unsere Empfehlung ist, dass Journalisten in solchen Fällen ihre Recherche so knapp wie möglich halten. Natürlich sollen sie keinen Mist abliefern, sie müssen aber den Redaktionen klarmachen, dass sie so nicht arbeiten können. Man muss auch öfters Nein sagen. Das erste "Dossier" bei der "Zeit" würden viele für fast jedes Honorar machen, aber das zweite dann halt nicht mehr. Das ist die einzige Chance, denn wenn junge Kollegen, die von Journalistenschulen kommen, sagen: "Ich schreibe zu jedem Preis für jedes Magazin", machen sie die Preise kaputt. Mein Appell ist, dass sie sich nicht zu billig verkaufen sollen.

derStandard.at: Solidarität und Boykott als Strategie?

Stieber: Ja, einfach zu sagen, dass es um diesen Preis nicht geht. Prinzipiell sind brennende Mülltonnen und Streikposten aber nicht unser Stil. Unser Ziel ist es, mit den Chefetagen ins Gespräch zu kommen. Das erreicht man nicht, wenn man sie von Anfang an beschimpft. Wir verstehen ja, dass Verlage umfassende Rechte an Texten wollen, um alle ihre Kanäle bespielen zu können. Was wir nicht verstehen, ist, warum diese Texte so schlecht bezahlt werden.

derStandard.at: Wie argumentieren das Medien wie die "Zeit", deren Honorare auch kritisiert werden? Immerhin schreiben viele noch Gewinne?

Stieber: Bei einem Gespräch mit einem Chef einer großen deutschen Zeitung wurde relativ deutlich, dass viele noch das Bild haben, dass jemand, der mit 40 Jahren noch freier Journalist ist, es einfach nicht geschafft hat. So eine Hochnäsigkeit werden sich meiner Meinung nach Medien irgendwann nicht mehr leisten können.

Bei deutschen Verlagen kann man grob zwei Strategien erkennen. Einerseits die "Spiegel"-Strategie, also mit möglichst vielen Festangestellten zu agieren. Andererseits gibt es ein Heft wie "Brand eins" mit einer sehr kleinen Redaktion und vielen Autoren. Möglicherweise werden auch beim "Spiegel" Korrespondentenstellen gestrichen werden, und dann wird man vielleicht verstärkt auf Freie zurückgreifen. Unsere Hypothese ist, dass Freie immer wichtiger werden, je knapper die Ressourcen sind.

derStandard.at: Die Freien als Profiteure der Medienkrise?

Stieber: Das könnte sein, wir hoffen es mal. (Oliver Mark, derStandard.at, 15.5.2013)