Kommunikation auf Augenhöhe: Pianist Marino Formenti.

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Am Sonntag lädt er wieder ins Wiener Konzerthaus.

Wien - Die starren Strukturen des Musikbetriebs aufbrechen, die dazugehörigen Rituale umgehen und zu neuer Unmittelbarkeit finden - das ist für Marino Formenti die zentrale Triebfeder seines Tuns. Gleich ob als Pianist, Performer oder Programmmacher.

Seit zwei Saisonen macht der gebürtige Mailänder im Wiener Konzerthaus mit "Formentis Vorwort" vor Abenden mit zeitgenössischer Musik dem Publikum Lust auf das folgende Programm. So auch am morgigen Sonntag, wenn er gemeinsam mit dem Kammerorchester Avanti! auftritt. Dabei war er zunächst selbst skeptisch: "Früher dachte ich, dass sich die Musik eher von selbst mitteilen soll. Gerade auf der Bühne ist es schwer, die Ebene des Sprechens und des Musizierens zu vereinen. Als aber das Konzerthaus an mich herangetreten ist, wollte ich versuchen, die Worte des Musikers zu finden, um die Musik zu besprechen, denn erklären kann man sie ja nie ganz."

Dass man dennoch über Musik sprechen muss, ist jedenfalls klar: "Wir sind ja keine Affen, die Klänge nur über Vibrationen wahrnehmen, sondern komplexere Wesen, die auch nachdenken, wissen, reflektieren wollen. Ich merke immer wieder, dass die Leute gerade bei Neuer Musik das Gefühl haben, über wenige Tools zu verfügen, um sie zu verstehen. Ich versuche immer, mich an Kenner und Liebhaber zu wenden: Ich muss ja dabei nichts beweisen und kann es mir leisten, auch mal einfacher und direkt zu sprechen."

"Einfach und direkt" passt auch zu jenem Film, den Formenti gerade mit dem Schweizer Dokumentarfilmer Bruno Moll erarbeitet hat: "Ich habe mit fünf normalen Wiener Menschen mit allen möglichen Backgrounds Schubert-Lieder erarbeitet und dann musiziert. Da geht es niemandem darum, seine Gesangskunst zu beweisen, sondern ausschließlich um die Lieder selbst. Daher waren das sehr spannende musikalische und menschliche Begegnungen."

Und um Begegnungen geht es auch bei jener Performance Formentis, die erstmals bei Art Basel gezeigt wird: "Hier wird es darum gehen, jeweils eine Person für 45 Minuten in meinen Raum einzulassen. Natürlich wird ein Klavier darin sein, aber ich möchte mit diesen Menschen auf Augenhöhe sprechen, eine Beziehung etablieren und wirklich eine gemeinsame Performance versuchen. Es ist im Grunde ein weiterer Versuch, die Musik auf ihre Kommunikationsfähigkeit zu überprüfen, jenseits von den Strukturen, die Konformismus beweisen und Konformismus verbreiten."

Uneheliche Verwandtschaften

Dabei betätigt sich Formenti daneben auch immer als "Nur"-Pianist auf einem seinesgleichen suchenden Niveau, allerdings als einer, der in seinen eigenen Programmen stets das Ungewöhnliche sucht: "In meiner neuen CD, die beim Label Kairos erscheint, habe ich versucht, die Modernität von Franz Liszt durch ihre Zusammenstellung mit zeitgenössischer Musik zu erforschen. Im Moment aber interessieren mich vor allem auch noch extremere Dialoge, wie in Merate in der Nähe von Mailand, wo ich ein Festival gegründet habe, oder in Lunz am See, wo ich eingeladen wurde, eine Festivalwoche zu kuratieren."

Dort übt sich Formenti in originellen Zusammenstellungen, auf die kaum jemand sonst kommen würde, die aber in der direkten Wahrnehmung Verbindungen erkennen lassen sollen: "Am liebsten spiele ich oder lasse Dinge gemeinsam spielen, die angeblich nicht zusammengehören dürfen, z. B. Metal und Ustwolskaja. Ich nenne sie ,uneheliche Verwandtschaften'. Statt des schrecklichen Worts Crossover könnte man auch sagen: Crossunder." (Daniel Ender, DER STANDARD, 11./12.5.2013)