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Stillose Annäherungsversuche an die Freiheitsstatue: "Stilvolles Reisen sollte stets einem selbst und seinem Zielort, so gut es eben geht, die Würde lassen", sagt Tex Rubinowitz.

Foto: Scott Barrow/Corbis

Reisende sollten aufhören, so verdammt passiv zu sein. Eine Anleitung.

 

Als ich einmal auf den Färöern war, anlässlich des Spiels der österreichischen Nationalmannschaft gegen "die Inselkicker" (Christian Hackl, DER STANDARD), fragte mich, der ich mir ein bisschen meine alten Beine im pittoresken Hauptstädtchen Tórshavn vertrat, ein junger Mann mit gehetztem Blick und Dentalruine, ob ich wisse, wo er sein Hotel finden könne, er nannte den Namen, ich beschrieb ihm den Weg, und er fragte zum Abschied, ob ich auch Groundhopper sei? Ich wusste nicht recht, was er meinte, also recherchierte ich in den allwissenden Katakomben des Internets. "Groundhopping ist eine Sammelleidenschaft von Fußballfans (Groundhoppern), bei der es darum geht, Spiele in möglichst vielen verschiedenen Stadien zu besuchen. Die Szene ist weitgehend unorganisiert, einheitliche Regeln gibt es kaum. Für viele Fans ist Groundhopping weit mehr als nur ein Hobby. Nicht wenige ordnen ihm ihr ganzes Leben unter. Sie haben keine anderen Hobbys, keinen Lebenspartner, keinen festen Job und wohnen bei den Eltern, um Geld zu sparen. Manche nehmen Kredite auf, um die aufwändigen Touren finanzieren zu können."

Der Kauz interessierte sich, wie ich, also nicht wirklich für Fußball. Während ich nur Österreich verlieren sehen wollte, sammelte er Punkte in irgendwelchen Internetforen für besonders exotische Spielplätze und -paarungen. Eine faszinierende Parallelgesellschaft, ein für mich durchaus nachvollziehbarer Grund des Reisens, manisches Abklappern, und nicht mal ansatzweise so zu tun, als interessiere man sich für Land, Leute, Kultur und, wie im Färöerfall, für die exquisite Nationalspeise, mit Kuchenteig ausgestopfter und zugenähter Papageientaucher, der in Grindwaltran ausgebacken wird, weil man sich vermutlich an dem Proviant, den einem die gute Mutter mitgegeben hat, labt.

Nicht zum ersten Mal stellte ich mir damals die Frage und tue es noch: Gibt es so etwas wie richtiges, würdevolles Reisen? Und was wäre das? Der deutsche Autor Max Goldt meinte mal: "In Österreich ist mir gar nichts peinlich", das ist doch schon mal eine ehrliche Ansage, die von Geschmack und Stil zeugt, und Radiomann Fritz Ostermayer sehnt sich, wie er mir mal gestand, nach weißen Stränden, Palmen und türkisem Wasser, für ihn der Inbegriff des Paradieses, auch wenn er vermutlich ahnt, dass diese Orte Chimären sind, der Sand so heiß wie eine Herdplatte und das Wasser so lau wie Abwaschwasser ist. Und wenn man Glück hat, dann kommt, wie unvermeidlich in diesen Gegenden, ein fieses Darmgebrechen dazu, dann kann man wenigstens was erzählen, wenn man wieder zurück ist, wie tapfer man war, wie trügerisch und heimtückisch die Idylle sein kann.

Untoten nicht unähnlich

Weil ich keine richtige Arbeit, aber trotzdem immer die Taschen voller Geld habe, kann ich es mir leisten, ununterbrochen unterwegs zu sein (in diesem Moment übrigens mit dem Mofa nach Estland), und da fallen einem natürlich auch Reisende auf, wie sie überall herumstehen, starren, hässlich aussehen und Fotos machen, die sie danach nie wieder ansehen werden, geschweige denn von anderen Menschen, das macht niemand, jeder weiß, Flickr und ähnliche Fotomüllhalden sind die hässlichen Schwestern der lähmenden Diaabende vergangener Zeiten. Fotografieren ist zu so etwas wie Atmen geworden, eine kleine digitale Lunge, durch die die Bilder wandern, ja regelrecht gejagt werden, eingesogen und ausgepustet. Es ist ihr Problem, wenn sie ihren Augen und ihrer Erinnerung inzwischen dermaßen misstrauen, dass sie ihre kleine Prothese entscheiden lassen müssen, was sehens- und speichernswert ist.

Kein Problem indes ist, dass sie, weil sie ihre Augen nicht mehr benutzen, wie fremdgesteuert herumtorkeln, Untoten nicht unähnlich, abrupt stehen bleiben, natürlich gewachsene Fließrichtungen rücksichtslos ignorieren und egoistisch blockieren, sie sind das, was Max Goldt in dem Verdikt über sein Verhalten in Österreich meinte: Im Ausland ist ihnen nichts peinlich.

Dass an ihnen hinten auch noch ein Rollkoffer hängt, bzw. sie an ihm, unterstreicht nur ihre erschütternde Unselbstständigkeit, mir ist immer ein Rätsel, wie man sich freiwillig zum traurigen Sklaven eines Gepäckstücks machen kann, in Abhängigkeit eines regelrechten Möbelstücks begibt, warum überhaupt Gepäck mitnehmen? Der Journalist Wolfgang Büscher ist zu Fuß von Berlin nach Moskau gegangen, mit nur einem Hemd zum Wechseln, so geht's doch auch, das ist würdevolles Unterwegssein. Nicht mit einem rumpelnden Rollkoffer oder, noch schlimmer, einem Rucksack, damit sieht man aus wie ein Säugling mit vollen Windeln und bewegt sich auch so, schmeißt alles um und rempelt jeden an.

Aber ich will nicht nur destruktiv sein, es geht ja auch anders, wie etwa Wolfgang Büscher bewiesen hat.

Stilvolles Reisen sollte einem stets selbst und seinem Zielort, so gut es eben geht, die Würde lassen. Ich nenne es das unsichtbare Reisen, in ein Land diffundieren. Natürlich können wir alle nicht Urdu, Dingling und Qapla' für unsere Urlaube lernen, um uns besser zu assimilieren, aber wir können Rücksicht nehmen, einfach indem wir aufhören, so hässlich herumzustehen, wie bestellt und nicht abgeholt, so als müsse das Land etwas für uns tun. Wir sollten etwas für es tun, bei der Ernte helfen, beim Abwasch, Brunnen graben, uns nützlich machen, nur so geht man richtig im Land auf. Sich einfach mal Gedanken machen, sein Gehirn einschalten, aufhören, so verdammt passiv zu sein. Passiv sein und entspannen kann man zu Hause, im Büro und in der Badeanstalt.

Im Nachtkästchen keine Bibel

Mein Freund Farin Urlaub, Mitglied der Rockgruppe Die Ärzte, der gerade seit fünf Monaten mit dem Motorrad in Afrika unterwegs ist, schickte mir kürzlich eine Mail, er wusste nicht, dass ich gerade mit dem Mofa nach Estland gurke: "Großartig abseitige Idee! Ich mag das ja grundsätzlich, wenn man total weit Hergeholtes ganz ernsthaft betreibt. Das sind keine leeren Worte: Ich geh im Herbst wieder nach Taiwan, um Mandarin zu lernen, WEIL ES SO SCHÖN SCHWIERIG IST."

Auch er fotografiert, aber hat auch immer einen Drucker im Gepäck, um den Leuten etwas zurückzugeben, wenn man sie schon in ihrer Welt fotografiert, er denkt eben mit.

Es geht nicht um Distinktionsgewinn, also etwas total Ausgefallenes zu machen, es geht darum, dass man sich so manche vorprogrammierte Enttäuschung erspart, wenn man nicht das macht, was einem bevormundende Reiseführer wie Lonely Planet oder TripAdvisor nahelegen, das ist mit Sicherheit der schlechteste Weg, man trifft dort nur materialisierte Unselbstständigkeit, alle erwarten, dass etwas passiert, aber es passiert nichts, frustriert reist man wieder ab, die Ehe, die man zu kitten vorgehabt hat, liegt noch mehr in Scherben. Da kann man gleich mit einem Kreuzfahrtschiff drei Wochen durch die Karibik schippern und sich auf dem Schiff jeweils jemand anderen anlachen.

Vielleicht ist die ganze Krux, dass die Menschen unselbstständig sein WOLLEN, es ihnen ganz recht ist, dass ihnen alles abgenommen wird, sie nicht denken müssen, sie den Zeiten im Uterus oder Kindergarten nachtrauern, sie Angst haben, anders zu sein, mal NICHT mit einer Plastikwasserflasche herumzustehen, wie alle, mal NICHT den Eiffelturm zu fotografieren, mal NICHT bei TripAdvisor zu schreiben, dass im Bad des Hotelzimmers Silberfischchen herumliefen und im Nachtkästchen keine Bibel war.

Einen Groundhopper interessiert das nicht, er beschwert sich nicht, ihn interessiert nur, wie viel Punkte er gutgeschrieben bekommt, für irgendwelche bizarren Spiele, in seltsamen Gegenden, die nur schwer zu erreichen sind, ein immaterielles Guthaben, das nach einem komplizierten Schlüssel berechnet wird. Auch wenn mir ihre Welt seltsam und fern ist, sind mir Groundhopper um so viel sympathischer als die sogenannten Individualreisenden, die wie gefräßige Mutanten über den Globus krabbeln, in jeden Winkel, in jede Ritze, der Rucksack ist ihr Panzer, und statt der Hände ist ihnen dort inzwischen der Lonely Planet und die Plastikwasserflasche angewachsen, und sie sehen nichts, denn ihre Kameras sehen inzwischen für sie. (Tex Rubinowitz, Album, DER STANDARD, 11./12.5.2013)