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Beten für Imran Khan: In Pakistan gingen Anhänger des derzeit erfolgreichsten Oppositionspolitikers nach dessen Unfall bei einer Wahlveranstaltung auf die Straße.

Foto: EPA/BILAWAL ARBAB

Islamabad - Vor dem Krankenhaus in Lahore türmen sich Blumen. "Wir lieben dich!" steht auf Karten. Drinnen liegt Imran Khan. Er hat sich drei Wirbel und eine Rippe gebrochen. Aufgeben kommt für einen wie ihn nicht infrage. Nicht jetzt auf der Zielgeraden, kurz vor der Wahl. Nur Stunden nach seinem Unfall wendet sich der 60-Jährige, den Hals geschient, vom Krankenbett ans Volk. "Wählt den Wandel, wählt den Kricketschläger", sagt er. Der Kricketschläger ist das Symbol seiner Partei PTI.

Die Wahlen 2008 waren von der Ermordung Benazir Bhuttos überschattet. Nun hat Khans schwerer Unfall das Land geschockt. "Pakistan betet für Imran Khan", schreibt die Daily Times. Fassungslos verfolgten seine Fans mit, wie ihr Hoffnungsträger am Dienstag bei einem Auftritt in Lahore von einem Stapler, der ihn auf die Bühne heben sollte, viereinhalb Meter in die Tiefe stürzte.

Der Exkricketstar hat Glück gehabt. Er werde wieder gesund, sagen die Ärzte. Das Rückenmark sei intakt, er könne Arme und Beine bewegen. Nun kämpft er weiter. Donnerstag wollte er per Video auf einer Kundgebung in Islamabad sprechen. Jede Stimme zählt.

Samstag steht der Atomstaat vor historischen Wahlen. Erstmals wird es demokratischen Wechsel geben, ohne dass das Militär interveniert. Als Favorit galt bisher Nawaz Sharif. Bei den Wahlen 2008 hatte seine PML-N gegen die PPP verloren, die nach dem Tod ihrer Ikone Benazir Bhutto auf einer Sympathiewelle schwamm.

Doch die PPP hat derart miserabel regiert, dass sie diesmal chancenlos scheint. Oppositionschef Sharif, auch "Tiger" oder "Löwe" des Punjab genannt, wähnt nach 14 Jahren den Sieg nahe. "Am 11. Mai wird der Löwe brüllen, und alle anderen werden fliehen", donnert der 63-Jährige.

Doch Khan hat eine rasante Aufholjagd hingelegt. Alles scheint möglich. Eine Enttäuschung ebenso wie ein Überraschungscoup. In Umfragen liegt Khan nur noch knapp hinter Sharif. Khan ist ein Nationalheld, seit er 1992 als Kapitän für den Außenseiter Pakistan den Kricket-Weltcup holte. Der Unfall könnte ihm nun weitere Sympathiepunkte bringen. Pakistan liebt Kämpfer.

Bisher war Politik in Pakistan überschaubar: Wenn nicht gerade das Militär regierte, was es fast die Hälfte der 66-jährigen Geschichte tat, wechselten sich die Bhutto-Partei PPP und die Sharif-Partei PML-N an der Regierung ab. Doch nun wirbelt Khan, der Exsportler und Playboy, alles durcheinander, seine PTI erstarkt zur dritten Kraft. "Der kometenhafte Aufstieg der PTI hat die Szene komplett verändert", schreibt Dawn.

Seine Fans feiern ihn wie einen Erlöser. Zehntausende jubeln ihm zu, wenn er "politischen Tsunami", "soziale Revolution" und "Wandel" verheißt. Seine Auftritte gleichen einer Mischung aus Moscheebesuch und Rockkonzert. Einmal betet er, dann heizt Musik der Menge ein. Geschickt stilisiert sich der 60-jährige als Hoffnungsträger der Jugend, der Mittelschicht, der Enttäuschten.

Religiöse bis Hausfrauen

Zu seinen Anhängern zählen Jugendliche wie Religiöse, Militärs wie Hausfrauen. Er will Schluss machen mit Korruption, er will die Wirtschaft reformieren, die Frauenrechte stärken. Doch er biedert sich auch bei den Religiösen an. Er will aus dem Antiterrorkrieg des Westens aussteigen, mit den Taliban Frieden machen.

Er verspricht ein neues Pakistan und grenzt sich ab von den Sharifs und Bhuttos, die für die alte Feudalelite stehen, die das Land seit Jahrzehnten ausbeutet. Das kommt an. Die Menschen sehnen sich nach Neubeginn. "Niemals habe ich eine solche Hoffnung in dem Land gesehen", sagt die Designerin Zarlasht Faisal. "Es geht nicht um den Kampf zwischen Parteien. Hier kämpft das junge Pakistan gegen den Status quo."

Doch die neue Khan-Manie mutet auch wunderlich an. 17 Jahre krebste seine Partei PTI bei wenigen Mandaten herum, bevor er nun binnen nur 18 Monaten zum politischen Popstar aufstieg. Seine Partei scheint in Geld zu schwimmen. Hinter dem Aufstieg werden Gönner vermutet: Angeblich zieht das Militär die Strippen, das Khan als dritte Kraft aufbaut, um Platzhirsche zu schwächen.

Auch Sharif scheint alarmiert. Wie ernst er den Herausforderer nimmt, lässt sich daran ablesen, dass er kräftig Khans Wahlslogans fladert. Auch wenn Sharif wohl den Sieg holt, könnte Khan Königsmacher spielen. Experten glauben, dass eine schwache Koalitionsregierung, vielleicht sogar Neuwahlen drohen.

Von freien und fairen Wahlen kann ohnehin kaum die Rede sein. Die Taliban machen Politik mit Bomben. Systematisch überziehen sie seit Wochen die "säkularen" Parteien mit einer Gewaltwelle. Seit Beginn des Wahlkampfes Mitte April starben mehr als 110 Menschen. Donnerstag traf es den Sohn des Exregierungschefs Yousuf Raza Gilani. Bewaffnete kidnappten Ali Haider Gilani auf einer Kundgebung in Multan, sein Sekretär wurde erschossen. (Möllhof Christine, DER STANDARD, 10.5.2013)