Michael Spindelegger ist, was manchmal vergessen wird, auch Außenminister. Als solcher sagte er kürzlich im Standard, der ungarische Premierminister Viktor Orbán sei mit seinen Verfassungsänderungen "am Rande des Erträglichen angekommen".

Orbáns schleichendes, aber unbeirrtes Hinübergleiten in einen autori­tären Staat wurde damit endlich von einem wichtigen österreichischen Regierungsmitglied und Parteifreund klar kritisiert.

Es war höchste Zeit. Denn bis jetzt haben die ÖVP, Spindelegger – und im Hintergrund der frühere Kanzler Wolfgang Schüssel – die demokratiefeindlichen Tendenzen im EU-Mitgliedsland unter Orbán verharmlost. Eine Initiative, um Orbáns Partei Fidesz aus der Fraktion Europäische Volkspartei im EU-Parlament hin­auszuschmeißen, blieb bisher erfolglos.

Seit dem vergangenen Wochenende gibt es für Österreich und die Konservativen in Europa einen Grund mehr, hart gegen Orbáns Kurs vorzugehen. Der ungarische Premier hat immer schon mit antisemitischen Tendenzen in seinem Umfeld gespielt und hat vor allem nichts dagegen unternommen, dass die antisemitische und neonazistische Partei Jobbik immer dreister auftritt. Als nun der World Jewish Con­gress (WJC) in Budapest tagte (Präsident ist Ronald Lauder, Mitte der Achtzigerjahre US-Botschafter in Wien), rotteten sich die Neonazis zu einem Marsch auf den Straßen zusammen und brüllten "Juden raus" -Parolen. Die Regierung hatte diese Ungeheuerlichkeit nicht verhindern können und/oder wollen; in einem EU-Mitgliedsland ein Megaskandal angesichts der Tatsache, dass die Europäische Union letztlich gegründet wurde, um Krieg und Holocaust zu überwinden.

Beim (bewusst in Ungarn angesetzten) WJC-Kongress hielt Orbán eine Rede, bei der er seinen national-christlichen Mythenschwulst aus dem 19. Jahrhundert abließ, aber gleichzeitig versicherte, Antisemitismus sei "nicht akzeptabel und nicht tolerierbar". Doch Orbán akzeptiert und toleriert den eklatanten Antisemitismus der ungarischen Rechtsextremen, weil er sie für seine politischen Machinationen braucht.

Ungarn unter Orbán widerspricht vollkommen den Werten der EU. Er betreibt eine nationalistische "Nachbarschafts"-Politik, die immer wieder die Ungarn in der Slowakei und Rumänien einbeziehen will; die Opposition und die wenigen freien Medien in Ungarn werden systematisch mundtot gemacht. Und jetzt auch noch die unverhohlene Duldung von Antisemitismus.

Die Methode Orbáns und seiner Funktionäre besteht darin, vor europäischen Gremien und Partnern alles zu bagatellisieren, sich als verfolgte Unschuld darzustellen, von "Missverständnissen"  zu sprechen und Besserung zu versprechen. Das hat bisher gereicht, um die Europäer davon abzuhalten, die Konsequenzen zu ziehen. Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding, eine Christdemokratin, die Orbán scharf kritisiert, wird von ihren konservativen Parteifreunden eher im Stich gelassen. Aber Orbán ist un­belehrbar auf einem Kurs, der in der EU nicht geduldet werden darf.   (DER STANDARD, 8.5.2013)