Miesmuschel-Riff in der Kieler Förde: Ist genug Nahrung vorhanden, vertragen junge Muscheln den sinkenden pH-Wert der Meere ohne sichtbare Probleme

Foto: Frank Melzner, GEOMAR

Immer mehr Kohlendioxid löst sich im Wasser der Ozeane. Die Folge ist eine Abnahme des pH-Wertes  - die Meere versauern zusehends. Für zahlreiche Tierarten stellt diese Entwicklung eine Bedrohung dar, weil sie sich nicht schnell genug an die geänderten Bedingungen anpassen können. Doch nicht alle Spezies machen sinkende pH-Werte etwas aus: Die Miesmuschel Mytilus edulis, bereits jetzt der westlichen Ostsee weit verbreitet, könnte auch unter zukünftigen Bedingungen eine vorherrschende Stellung im marinen Nahrungsnetz einnehmen. Ein mehrwöchiges Labor- und Freilandexperiment deutscher Forscher zeigt, dass die Tiere auch dann wachsen und Kalkschalen bilden, wenn der Anteil an gelöstem Kohlendioxid im Wasser aktuelle Werte deutlich übersteigt. Wichtiges Kriterium für das Gedeihen der Art ist die Verfügbarkeit von ausreichender Nahrung.

Unter welchen Bedingungen können heute verbreitete Arten im Ozean der Zukunft existieren? Mit Hilfe von Labor- und Freilandexperimenten untersuchen Meeresbiologen und Meereschemikern des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, inwieweit marine Organismen der Ozeanversauerung standhalten können. Diese chemische Veränderung wird ausgelöst, wenn das Meer Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre aufnimmt. Im Wasser reagiert das Kohlendioxid zu Kohlensäure, und die Konzentration der Karbonat-Ionen sinkt. Da kalkbildende Lebewesen wie Muscheln, Schnecken, Korallen und Plankton diese Moleküle benötigen, um ihre Schalen und Skelette zu bilden, galten sie bisher als erste mögliche Opfer dieses "anderen CO2-Problems".

Für die Miesmuschel Mytilus edulis bewiesen Wissenschafter des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel jetzt jedoch: Unter bestimmten Bedingungen verkraften frisch gesiedelte junge Tiere die Ozeanversauerung gut. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten die Forscher in der April-Ausgabe des Fachmagazins Global Change Biology.

Labor- und Feldversuche

"Für unser Laborexperiment haben wir Besiedlungsplatten für Miesmuscheln in der Kieler Förde aufgehängt und die darauf siedelnden Tiere anschließend in Aquarien überführt", erklärt Jörn Thomsen, Erstautor der Studie. Über sieben Wochen beobachteten er und seine Kollegen, wie sich die Kalkbildner unter zwölf verschiedenen Versuchsbedingungen entwickelten: "Die Tiere wurden heutigen CO2-Konzentrationen und solchen, die wir für das Jahr 2100 erwarten, ausgesetzt." Parallel dazu lief ein viermonatiger Feldversuch.

Am Ende des Experiments ergaben die Beobachtung, dass die jungen Miesmuscheln selbst unter Hoch-CO2-Bedingungen ihre Kalkschalen aufbauen, wenn ihnen genügend Futter zur Verfügung stand. Erst bei Extremwerten von 3350 Mikroatmosphären wuchsen sie deutlich schlechter. Die Studie belegt, dass einige negative Auswirkungen der Ozeanversauerung wie verringertes Wachstum bei filtrierenden Organismen in einigen Küstengebieten durch hohe Futterverfügbarkeit ausgeglichen werden könnten.

Empfindliche Larven

Allerdings zeigen aktuelle Arbeiten, dass  freischwimmenden Larven der Miesmuschel deutlich empfindlicher auf steigende CO2-Mengen reagieren als die späteren, bodenlebenden Stadien. "Dies könnte möglicherweise dazu führen, dass die sensible Entwicklung der Larven in Zukunft durch die höheren CO2-Konzentrationen gestört wird. Inwieweit sich die Larven durch Evolution an diese Bedingungen anpassen können, lässt sich gegenwärtig noch nicht beurteilen", so Thomsen. Untersuchungen hierzu laufen bereits. "Wir halten verschiedene Muschelfamilien über mehrere Generationen unter erhöhten CO2-Konzentrationen im Labor. Wenn die Larven der zweiten Generation ihre Entwicklung im Sommer abgeschlossen haben, wissen wir wieder ein wenig mehr." (red, derStandard.at, 12.05.2013)