Eine Verjüngungskur zum 40. Geburtstag: Das plant Justizministerin Beatrix Karl für das österreichische Strafgesetzbuch, das seit dem 1. Jänner 1975 nicht mehr umfassend reformiert wurde. "StGB 2015" nennt die Ministerin ihr Projekt, das von den einen "ehrgeizig", von anderen hingegen als "Hudelei" bezeichnet wird: Noch bis Ende dieses Jahres soll eine Expertengruppe eine umfassende Neugestaltung des österreichischen Strafrechts vorlegen.

Der Zeitrahmen ist mehr als eng: Seit Februar hat es zwei Treffen der Reformgruppe gegeben, acht Treffen sind noch vorgesehen, dann soll ein Endbericht vorliegen. Die Ziele sind jedoch hoch gesteckt: Man wolle nicht nur Teile reformieren, sondern gleich einen gänzlich überarbeiteten Strafrechtskatalog "aus einem Guss" schaffen  - ganz nach dem Vorbild des 1975er-StGB.

"Bürger haben ungutes Gefühl"

Ein wesentlicher Reformpunkt sind die stark voneinander abweichenden Strafhöhen bei Vermögensdelikten einerseits und bei Straftaten gegen Leib und Leben andererseits. "Viele Bürger haben ein ungutes Gefühl, was die Strafenrelation betrifft", sagte Beatrix Karl anlässlich einer Enquete zur Strafrechtsreform am Montag. Laut einer Umfrage im Auftrag des Ministeriums würden 55 Prozent der ÖsterreicherInnen die Strafbemessung bei Körperverletzungen oder Tötungsdelikten als zu niedrig ansehen – und jene für Vermögensdelikte wie Diebstahl oder Raub hingegen als zu hoch. Karl sieht dies als Auftrag an die Politik, die Rechtslage zu ändern. Wie diese Reform aussehen könnte, darüber soll nun ein 18-köpfiges Expertenteam mit VertreterInnen aus Rechtswissenschaft, Richterschaft und Staatsanwaltschaft beraten.

Hohe Inhaftierungszahlen

Wobei die Meinungen hier stark divergieren. ExpertInnen warnen davor, Strafen weiter hinaufzusetzen: Einerseits sind die Haftzahlen in Österreich ohnehin vergleichsweise hoch. Andererseits zeigen Studien, dass hohe Haftstrafen nicht vor Straftaten zurückschrecken lassen – viel mehr Einfluss haben etwa die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden und die Rate der tatsächlichen Verurteilungen.

Auch das Argument, dass Opfer insgesamt an höheren Strafen für die Täter interessiert seien, weisen ExpertInnen zurück: "Was Opfer wirklich wollen ist Schadensersatz", sagt Lyane Sautner, Strafrechtsprofessorin an der Johannes Kepler Universität Linz. "Betroffene wünschen sich nicht so sehr hohe Strafen, sondern, dass die Taten überhaupt verfolgt werden", meint auch Andrea Brem vom Verein Wiener Frauenhäuser. Aber genau daran kranke es zurzeit: Viele Verfahren würden eingestellt, bevor es noch zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung komme. "Gewalt in der Ehe ist nahezu totes Recht", meint Brem. Daran würden auch höhere Strafrahmen nichts ändern.

Paragrafen-Entrümpelung

Im Rahmen der Strafrechtsreform soll das Gesetzbuch zudem entrümpelt werden, kündigt Susanne Reindl-Krauskopf, Strafrechtsprofessorin an der Uni Wien und Mitglied des StGB-Expertenteams, an.  Als Beispiel nennt sie den Paragrafen 200, die "Unterschiebung eines Kindes" – ein Delikt, das mit bis zu einem Jahr Haft zu bestrafen ist.

"Die Grundzüge des StGB stammen zum Teil aus den Fünfzigerjahren oder sind noch älter", so Reindl-Krauskopf. "Aber die technischen Möglichkeiten haben sich seither stark verändert."

Weitgehende Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass es im Bereich Privatsphäre im Netz neue Regeln braucht. "Wenn jemand unerlaubt die Nachbarin nackt filmt und das Video ins Netz stellt, hat das keinen Strafsatz", sagt etwa der Salzburger Strafrechtsprofessor Hubert Hinterhofer,  "wenn er hingegen einen Kaugummi stiehlt, wird er bestraft." Einwände, dass die betroffene Person sich ja auf dem Zivilrechtsweg wehren könne, lässt Rechtsanwalt Helmut Graupner nicht gelten: "Was, wenn man nicht weiß, wer das Video ins Netz gestellt hat?", gibt Hinterhofer zu bedenken.  Unterstützung von den Kriminalbehörden bei der Ausforschung des Täters erhalte man ja nicht, da es keinen Straftatbestand gebe.

Änderungsbedarf sehen die ExpertInnen auch bei der Gewerbsmäßigkeit von Vermögensdelikten: So wird beispielsweise bei mittellosen Menschen, die einen Diebstahl begehen, vor Gericht oftmals davon ausgegangen, dass es sich um einen gewerbsmäßiges Vorgehen handeln müsse, da der oder die Betroffene sich durch regelmäßiges Stehlen eine Existenzgrundlage verschaffe. Das sei eine unzulässige Annahme, meinen viele: Es brauche objektive Kriterien für die Beurteilung, ob Gewerbsmäßigkeit vorliege oder nicht. Sollte jemand beispielsweise beim dritten oder vierten Mal erwischt werden, könnte der Tatbestand erfüllt sein – beim ersten Mal aber jedenfalls nicht, fordert beispielsweise Roland Miklau, Präsident der Österreichischen Juristenkommission und bis 2006 Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium.

Kritik an harten Strafen

Mildere Strafen fordert Miklau auch bei den Vermögensdelikten insgesamt: Auch dann, wenn hohe Vermögenswerte im Spiel sind, sollte die Strafe fünf Jahre nicht übersteigen, so der Jurist. Derzeit gelte das Prinzip: Je höher der Wert des Gestohlenen, desto höher die Strafen. Das sei ungerecht, so Miklau: Wer nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt und keine strafgerichtliche Vergangenheit vorzuweisen habe, solle keinesfalls die Höchststrafe erhalten. Bei einem Gegenstand im Wert von knapp über 50.000 Euro liegt diese bei zehn Jahren Freiheitsstrafe. Miklau fordert zudem die Abschaffung von Strafuntergrenzen bei leichten bis mittelschweren Delikten.

Kritik an der Strafrechtspraxis bei Diskriminierungen übt Volker Frey vom Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern: Zwar sehe das Strafrecht eindeutig vor, bestimmte Delikte härter zu bestrafen, wenn sie aus einer rassistischen oder "sonst verwerflichen" Motivation begangen wurden. "Aber das passiert in der Praxis kaum", so Frey. "Wir wünschen uns, dass da mehr hingeschaut wird."

Ob es der Expertengruppe des Justizministeriums gelingen wird, bis Dezember einen großen Wurf aus dem Hut zu zaubern, ist zweifelhaft. Einerseits wird die mangelnde Einbeziehung von Wissenschaft und Praxis kritisiert, andererseits der enge Zeitrahmen. "Ihnen wird ganz einfach die Zeit davonlaufen", warnt Walter Hammerschick, Geschäftsführer des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie die anwesenden Mitglieder des Reformteams. Doch Sektionschef Pilnacek  beruhigt: Wenn die Zeit zu knapp werde, dann müsse man eben "Mut zur Lücke" beweisen. Die Ministerin lasse der Strafrechts-Reformgruppe nämlich in allen Belangen völlig freie Hand, bis auf einen: den Zeitplan.  (Maria Sterkl, derStandard.at, 6.5.2013)