Genau wie beim ersten israelischen Angriff auf Syrien im Jänner lag etwas in der Luft: Wenn Israel signalisiert, dass eine seiner roten Linien erreicht ist, dann sollte man nicht mit Passivität und Abwarten rechnen. Wenn die Indikatoren anzeigen, dass ein vorher definiertes unerwünschtes Szenario eintreffen könnte, dann treten Aktionspläne in Kraft. Sie werden meist perfekt umgesetzt - so sieht es jedenfalls von außen aus. Hin und wieder bringen die Aktionen aber auch paradoxe Resultate hervor, die sich erst später zeigen.

Der aktuelle Anlass war offenbar ein Aufrüstungssprung, vor dem die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah stand. Hier ist die Einschränkung nötig, dass der mediale Informationsstand denkbar niedrig ist. Dass es um die Hisbollah ging, erschließt sich aus der israelischen Rhetorik der letzten Zeit und aus der US-Reaktion auf die Angriffe. Dass das syrische Regime, das sich militärisch immer mehr auf die Hisbollah stützt, dieser ein Raketen-Upgrade durch die Iraner vergönnt - die neue Fateh 110 -, ergibt Sinn. Das würde einen israelischen Angriff wie den im Jänner, der angeblich einer Lieferung Flugabwehrraketen gegolten hat, oder den von Freitagnacht durchaus erklären. Ob es aber auch als Hintergrund dafür ausreicht, dass Israel in der Nacht zum Sonntag über längere Zeit mehrere Ziele bei Damaskus bombardiert, bleibt offen.

Das war eine andere Kategorie als die üblichen israelischen Nacht-und-Nebel-Angriffe, über die beide Seiten nachher nicht viel reden - wie etwa auf eine Rüstungsfabrik in Khartum im Oktober des Vorjahres oder auf einen mutmaßlichen Reaktorbau in Syrien im Herbst 2007. Dass die letzte israelische Aktion als "Angriff auf Syrien" wahrgenommen wird, zeigt allein die Reaktion der Arabischen Liga, in welcher der syrische Sitz nicht mehr vom Assad-Regime besetzt ist.

Es liegt auf der Hand, dass Israel die Fähigkeit der Hisbollah, Israel anzugreifen, herabsetzen will. Über konkrete lokale Sicherheitsziele hinaus sitzt der Adressat der Botschaft jedoch in Teheran, auf den sich die ganze "Rote Linien" -Diskussion, in die auch US-Präsident Barack Obama geraten ist, ja eigentlich bezieht. Offenbar nimmt Israel als Paradoxon in Kauf, dass die Kapazität des Assad-Regimes zugunsten der Rebellen degradiert werden, unter denen extremistische israelfeindliche Kräfte militärisch am erfolgreichsten sind. Oder es gibt einen Plan. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 6.5.2013)