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Christian Tetzlaff über Soloauftritte: "Ohren und Herz werden auf Feineinstellung justiert, es stellt sich eine spezielle Art von Konzentration her, eine Unbedingtheit." 

Foto: Archiv

Wien - Ungewöhnliche Einstiegsfrage, aber warum nicht: Wenn man die Musikgeschichte auf eine Werkgruppe reduzieren müsste, wäre es dann vielleicht die der Solosonaten und -partiten für Violine von Johann Sebastian Bach? Könnte man diese Stücke, größte Fülle in schlichtestem Rahmen, als Angelpunkt des menschlichen Musikschaffens empfinden?

"Also, wenn ich jetzt nur noch ein Werk oder eine Werkgruppe spielen dürfte, könnte es sein, dass ich mich für die Solosonaten und -partiten entscheiden würde", stimmt Christian Tetzlaff zu. "Bach versucht darin in unterschiedlichsten Spieltechniken alles auszudrücken von größter Trauer bis zu größter Ekstase. Die Vielfalt ist riesig, aber die Ansprache an den Zuhörer erfolgt auf so einfache Art und Weise."

Tetzlaff, auf die Minute pünktlich zum Gespräch erschienen, antwortet konzentriert und sachorientiert; seine kräftigen Hände scheinen im Nachhinein wie ein optischer Vorgriff zu seiner zupackenden Interpretation des Zyklus. Denn im Wiener Konzerthaus wird der deutsche Geiger sieben Stunden nach dem Gespräch in einem knapp dreistündigen Konzert alle sechs Werke aufführen.

Vitalität, Farb- und Stimmungsreichtum: Lange mussten die Werke Bachs dieser Interpretationscharakteristika entbehren. Als "stinklangweilig" hat Tetzlaff mal in einem Interview das Gros der bis in die 1980er unternommenen Interpretationsversuche bezeichnet - erst genaues Quellenstudium hätte den Reichtum der Werke erschlossen. "Man hat im Geigenspiel lange vergessen, dass wir Affekte darstellen, dass wir erzählen, dass sich Instrumentalmusik aus der Sprache, aus dem Gesang entwickelt hat", erläutert der 47-Jährige. "Man sollte einfach so strahlend und schön wie möglich spielen. Es gibt Aufnahmen der größten Geiger, wo nicht ein Takt eine Sprachmelodie hat."

Detailliertes von Bach

Oder was zeitweise an Strichen verändert worden sei! "Wir haben das schönste aller Manuskripte von Bach - mit detaillierten Bogeneinzeichnungen. Die sind oft extrem: Da folgt auf eine lange Bindung eine kurze Einzelnote, dadurch entstehen Akzente auf gewissen Zählzeiten, entstehen rhythmische Bewegungen. Das wurde alles rausgebügelt, damit alle Noten gleich klingen!"

Gleich klingt bei Tetzlaffs Soloabend tatsächlich nicht viel. Die Wiederholungen der Werkteile sind selbstverständlich unterschiedlich gestaltet, und Passagen energischen Zugriffs - wie etwa der Beginn der berühmten d-Moll-Chaconne - wechseln mit kraftlosen, anämischen Abschnitten: Wie ein alter, gebrechlicher Mann tastet, schleppt er sich etwa zum Ende der Sarabande der 2. Partita. Der Virtuose Tetzlaff schwächelt bei der Marathonunternehmung kaum, Unsauberkeiten bleiben im marginalen Bereich.

Wenn er einzelne Teile daraus vortrage, wie kommende Woche beim Festival " Musik im Riesen" in Wattens, so spiele er immer die d-Moll-Partita und die C-Dur-Sonate. "Die beiden Stücke stellen den Höhepunkt des Zyklus dar und sind gleichzeitig auch eng miteinander verwoben." Und die Bartók-Solosonate beziehe sich wiederum auf diese beiden Stücke von Bach: Der erste Satz, Tempo di Ciacona, beziehe sich direkt auf die d-Moll-Chaconne, die Fuge des zweiten Satzes und die lange, verlorene Melodiereihe des dritten auf die C-Dur-Sonate. Aber: "Sonst sind die beiden Herren natürlich sehr unterschiedlich drauf."

Ganz allein auf die Bühne zu treten: Ist das für den Weltstar Tetzlaff, der meist gemeinsam mit den größten Orchestern und den besten Musikern auftritt, eine Bürde? "Es ist etwas anderes. Ohren und Herz werden auf Feineinstellung justiert, es stellt sich eine spezielle Art von Konzentration her, eine Unbedingtheit. Man kommuniziert anders mit dem Publikum, es ist, wie zwischen Freund und Freund zu sprechen."  (Stefan Ender, DER STANDARD, 4./5.5.2013)