Die Brüder Schlumpf waren fanatische Auto-Sammler. Doch die Gier trieb sie und ihr Elsässer Textilimperium in den Ruin. Vor einigen Jahren wurde ein Teil der Sammlung wiederentdeckt. Eine Ausstellung in Kassel zeigt nun die verschorften Schönheiten

Vermodert, verrostet, ausgeweidet, mit klaffenden Wunden in den Flanken, so stehen sie da, gleich einem düsteren Menetekel auf das Ende des Industriezeitalters. Das Mondäne, das Heilsversprechen, die schillernde Souveränität des Automobilismus der frühen Jahre - das wird hier in Kassel nicht gefeiert.

Stattdessen erzählen die 40 Exponate die hier in einer ehemaligen Spinnerei vor sich hin wesen, von der Vergänglichkeit, davon, dass selbst die technisch kühnsten und schönsten Hervorbringungen der Automobilgeschichte dem Verfall geweiht sind.  Da wächst einem einst elegischen Bugatti das Gekröse aus dem Motorraum, von der opulent belederten Sitzbank ist nur noch ein Gerippe übrig. Der vorwärtsstrebende Edelsinn, der einstige Besitzerstolz. Alles Klump. Vor dem Rost, dem treuen Schnitter, sind sie am Ende alle gleich. Egal, ob Bugatti Roadster, Maybach oder Maserati.

Bloß: Ist das Kunst? Oder einfach Krempel? An der Schnittstelle dieser Fragen ist die seit Anfang Mai laufende Ausstellung "Schlafende Automobilschönheiten" angesiedelt. Eine Schau, die nicht zuletzt darauf abzielt, Mythen avant la Lettre zu entblättern, Geschichte sichtbar zu machen und sie nicht hinter aufwändig restaurierten, auf den Paradiermeilen der betuchten Oldtimer-Gemeinde ausgeführten Hochglanz-Karosserien zu verstecken. Kassel: Das ist der Alb des wattestäbchenbewehrten Spaltmaß-Freaks. Hier darf bloß der Schorf glänzen. Es ist keine Geschichte der Sieger, die hier erzählt wird.


Mercedes W 154 II Silberpfeil von 1939. Im Werk angekauft, nie wieder aufgebaut.

Es ist - nicht zuletzt - die Geschichte eines außergewöhnlichen Scheunenfunds, den vor einigen Jahren zwei deutsche Oldtimer-Liebhaber ausgerechnet in den Katakomben des größten Automuseums der Welt, dem Musée national de l'Automobile, im elsässischen Mulhouse gemacht haben. Heinz W. Jordan, Vertriebsleiter bei einem Energieunternehmen und Dietrich Krahn, Urologe mit Altblech-Faible, stiegen damals mit dem Museumskurator in den Keller des Hauses hinab und stießen auf eine seit Jahren vor sich hin gammelnde Zombie-Truppe: 150 mehr oder weniger vergessene Fahrzeuge aus der legendären Collection Schlumpf, jener Sammlung, deren Großteil ein paar Etagen höher toprestauriert und millionenteuer jährlich über 200.000 Besucher anlockt.

Dabei war dieser gigantische Fuhrpark einst zusammen getragen worden, um genau zwei Personen zu erfreuen: die beiden Textilmagnaten Hans und Fritz Schlumpf. Sie begründeten eine der herrlichsten Automobilsammlungen der Welt. Doch dann drifteten die beiden Chrom-Junkies Richtung Realitätsverweigerung ab, kauften ab 1961 wie von Sinnen den Markt leer. 

Ein Mord in Paris

Bei der in der Nachbarschaft angesiedelten Edel-Marke Bugatti herrschte quasi Vollständigkeitsanspruch, ansonsten griff man gerne zu sündteureren Raritäten. Nur Amerikaner kamen den Schlumpfs nicht ins Haus, da war man etwas eigen. Im Laufe der Jahre verfielen die beiden Exzentriker in einen Sammelrausch. (Fritz hatte ab Ende der 1960er besonders viel Zeit: Seine Frau erschoss in Paris ihren Liebhaber und kam für acht Jahre hinter Gitter.)

Zu viel Tagesfreizeit ist bekanntlich nicht gut: Was als kleiner Kick begann, endete mit Beschaffungskriminalität in großem Stil. So zweigten die fanatischen Sammler immer größere Teile des Betriebsvermögens in dunkle Kanäle ab, das bei Strohmännern wieder auftauchte, die im Ausland komplette Oldtimer-Kollektionen aufzukaufen hatten. Der Sehnsuchtsstoff wurde umgehend gen Elsass gekarrt.

Von der Leidenschaft zur Gier

Dort wurden die Neuerwerbungen eingelagert - und meist nie mehr gefahren. Stattdessen kommandierten die Schlumpfs Dutzende Bedienstete für Restaurations- und Wartungsarbeiten ab. Als die Nebenher-Industriellen ab Anfang der 1970er immer öfter in die Kassa griffen, gleichzeitig aber ausländische Konkurrenz der Textilindustrie immer stärker zusetzte, hatte es sich ausgeschlumpft. Auf die Gier folgte der Kollaps.


Fritz Schlumpf vor seinem Bugatti 41 Napolean Royale. In der Garage: hunderte Alternativen.

Ende 1976: Tagelang hatten Hans und Fritz Schlumpf in ihrer von den eigenen Arbeitern belagerten Villa ausgeharrt, bis ihnen die Gendarmerie einen Weg durch die Menge bahnte. Eilig flohen die beiden unscheinbaren Senioren (und Pass-Schweizer) von Mulhouse ins nahe Basel. Gerade noch rechtzeitig: Kurz darauf stellten die französische Behörden den Haftbefehl aus.

Zurück ließen die Bankrotteure ein nach jahrelanger Misswirtschaft zusammen gebrochenes Textilfabriken-Imperium, 20 Millionen D-Mark Schulden, 2000 Arbeitslose und einen Schatz: an die 500 Kostbarkeiten des Automobilbaus. Bugattis bis zum Abwinken, historische Rennwagen von Maserati, Mercedes. Elegische Limousinen von Maybach, Rochet-Schneider oder Rolls-Royce.

Ausbruch der "Schlumpfrevolution"

Unter größter Geheimhaltung hatten die angefixten Brüder ein leeres Großlager in eine 17.000 Quadratmeter große private Ausstellungshalle umbauen lassen, dort standen die meisten der prächtig restaurierten, teils millionenteuren Preziosen als die Arbeiter Anfang 1977 - die Ereignisse gingen als "Schlumpf-Revolution" in die elsässischen Geschichtsbücher ein - mehr durch Zufall die Edelgarage entdeckten.

Am 7. März 1977 besetzten die aufgebrachten Hackler das "Musée Schlumpf" das fortan den Namen "Museum der Arbeiter" trug. Sogleich machten die Gewerkschaften eine einfache Rechnung auf: 80 Millionen Franc - so wurde geschätzt - sei der exaltierte Fuhrpark wert, der Durchschnittslohn eines Arbeiters lag damals bei 1400 Franc monatlich. Bei Abverkauf der Sammlung könnten die Gläubiger bedient und viele schöne, gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Eine Milchmädchenrechnung, die man ohne die Politik gemacht hatte.

Der französische Staat stellte die gesamte Sammlung unter Denkmalschutz, kein Schräubchen durfte die Republik verlassen, an einen lukrativen Einzelverkauf gen Ausland war nicht mehr zu denken. Gleichzeitig deckten die Schlumpfs von ihrem Basler Exil aus die neuen Besitzer mit Rückgabe-Forderungen und Klagen ein.

Leichen im Keller

Am Ende sprang dann wieder einmal der Steuerzahler ein: 1980 sammelten die Stadt Mulhouse, das Département, der französische Automobilclub und allerlei Honoratioren 40 Millionen Franc ein, um die Sammlung zu erwerben. (Den Schlumpfs war das zu wenig, sie forderten 25 Millionen mehr, nach einem jahrelangen Rechtsstreit wurde ihnen das Geld schließlich hinterher geworfen.) Zwei Jahre später öffnete in Mulhouse das "Musée national de l'Automobile" seine Pforten, das fortan in weitläufigen Hallen das automobile Vermächtnis der mittlerweile verstorbenen Brüder feiert. 400 aufpolierte Schätze für Nostalgiker, insgesamt. Nur auf die 150 Leichen im Keller hatte man vergessen.


Keller des Automuseums von Mulhouse, bevor die beiden Deutschen kamen.

Erst Heinz W. Jordan und Dietrich Krahn erkannten den Wert des Schrottplatzes, der, und das war den Altblech-Aficonados klar, nicht darin bestand, die Schätze wieder aufzupolieren. Vielmehr, da war man sich mit den Verantwortlichen des Museums rasch einig, sollte die Historie der Fahrzeuge nicht mit frischem Lack übertüncht, sondern der Verfall angehalten werden.

Ein riesiges Mumifzierungsprojekt, das nicht zuletzt konservatorische Maßnahmen erforderte, wie sie bis dahin bloß beim Erhalt von moderner Kunst, wie etwa Installationen oder Ready Mades, eingesetzt wurde. Beuys' Fettecke auf Automobil, quasi. 40 Fahrzeuge zogen die Restauratoren schließlich aus dem Fundus, um deren Verwesung zu stoppen. Im Schnellverfahren gab's die Edel-Patina nicht: Der handwerkliche Aufwand ist im Vergleich zu einer Komplettsanierung unwesentlich geringer.

Der Aufwand und damit eine außergewöhnliche Ausstellung ist nun in Kassel zu begutachten. Allein schon die Ankündigung hat bei der Hardcore-Hochglanz-Fraktion der Oldtimer-Bewahrer bereits für Aufruhr gesorgt. Für alle anderen sind diese Automobile  ehrbare Zeitzeugen der Vergangenheit. Wer im Leben keine Blessuren davon getragen hat, der hat nichts zu erzählen. (Stefan Schlögl, Fotos: Cité de l'Automobile, Angelika Emmerlinger; derStandard.at, 7.5.2013)

Ansichtssache:

Kellerkind: Ein Georges Roy von 1912. Der Hersteller nahm 1906 in Bordeaux den Betrieb auf, das Exponat gibt nur noch eine Ahnung jener Opulenz wider, mit dem die Wagen ausgestattet waren. 1930 knickte im Schatten der Weltwirtschaftskrise der Pkw-Markt weg, Georges Roy baute fortan Nutzfahrzeuge. Ein typisches Schicksal in jenen Tagen.

Foto: RFKOM

Ein Blick in die Katakomben des Cité de l'Automobile - Collection Schlumpf, dem französischen Nationalmuseum für Automobile im elsässischen Mulhouse. Für die einen eine Halle voller Krempel, für Heinz W. Jordan und Dietrich Krahn die Initialzündung für eine Oldtimerausstellung der besonderen Art.

Foto: Heinz W. Jordan

Fortan wurden die vergessenen Preziosen aus der Collection wiederbelebt. Oder besser gesagt: Der Verfall aufgehalten. Originalzustand heißt folglich: wie aufgefunden.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Vor allem die Marke Bugatti, im nahegelegenen Molsheim ansässig, war für die beiden Textilmagnaten Ziel der Begierde. Je seltener, je ausgefallener, umso besser lautete die Devise. Sogar bis hinter den Eisernen Vorhang reisten die Schlumpfs den Edel-Sportwagen nach. Als Bugatti Anfang der 1960er das Leben aushauchte, kauften die Industriellen kurzerhand das Inventar der Fabrik.

Foto: Heinz W. Jordan

Zwischen 1933 und 1944 gebaut war der Typ 57 einer der Höhepunkte aus dem Hause Bugatti. In unzähligen Varianten hergestellt, beansprucht ein 57 SC Atlantic von 1936 den Titel "Teuerstes Automobil der Welt". 2010 wurde das gute Stück für ein Höchstgebot, das zwischen 30 und 40 Millionen US-Dollar lag (genaueres weiß man nicht) versteigert. Das in Kassel gezeigte Exponat, Baujahr 1934, ist hingegen eher etwas für avancierte Leichenbeschauer.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

1964 kam eine Bugatti-Großlieferung in Mulhouse an: 30 piekfeine Exemplare aus der Sammlung Shakespeare. Manchmal ging den Elsässern mit dem Schweizer Pass Vollständigkeit vor Exklusivität: siehe dieser Bugatti 68B Roadster. Das Wägelchen mit de Fiat-Topolino-Unterbau erreichte immererhin 125 km/h.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Bei der Ausstellung in Kassel sind unterschiedliche Verfallszustände zu begutachten. Konkret ein noch relativ gut erhaltener Alfa Romeo 6C 1750 GS Roadster von 1931 und das Skelett eines nahen Verwandten, Baujahr 1932.

Foto: RFKOM

Erwerbung aus dem Jahr 1964: Ein 1937er-Maybach mit 140 PS und einer einem Spohn-Aufbau. Die Ravensburger Karosseure verantworteten einige der schönsten Maybach-Limousinen.

Foto: Heinz W. Jordan

Peugeot BB von 1909. Nein, kein Irrtum der ansonsten sehr chromaffinen Sammler. Der Typ Bebe ist ein früher Job von Ettore Bugatti. Das flügelige Wägelchen wurde immerhin 3095 Mal gebaut.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

An der Schnittstelle von Kutsche zum Automobil angesiedelt: Ein Peugeot 16 von 1898. Stolze 8 PS besorgten dem Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Der Geschwindigkeitsrekord für Automobile lag in jenem Jahr übrigens bei 63 km/h.

Foto: Heinz W. Jordan

Mehr Antiquität als Auto: ein Rochet-Schneider von 1925 mit Torpedo-Karosserie und 32 PS. Im Jahr 1894 taten sich in Lyon Edouard Rochet und Théophile Schneider zusammen und betätigten sich als eifrige Kopisten. Ab etwa 1900 starteten sie mit Eigenentwicklungen durch. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stand Rochet-Schneider für französische Oberklasse, ein Pflichtprogramm für die Haute-Volée.

Foto: RFKO

Im Jahr 1910 zog Théophile Schneider weiter und gründete in Besançon das Unternehmen Th. Schneider. Die Firma verblich Ende der 1920er, übrig blieb dieser patinierte Th. Schneider 11700.

Foto: Heinz W. Jordan

40 Fahrzeuge wurden nach eingehender Prüfung und aufwändiger, aber dezenter Kosmetik Richtung Kassel expediert.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Ebenfalls zu bewundern: Klassisches Gekröse, unbehandelt.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Noch als Fahrzeug erkennbar: ein Maserati 4 CM von 1935. Der Monoposto mit dem per Roots-Kompressor forcierten 4-Zylinder-Reihenmotor war immerhin für 220 km/h gut. Nur 12 Exemplare wurden gebaut.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Blick ins Maserati-Cockpit. In den Jahren 1935 und 1936 eroberte der gezeigte Grand-Prix-Wagen mehrere Podest-Plätze.

Foto: Heinz W. Jordan

Das wohl wertvollste Exponat der Ausstellung: Ein Mercedes W 154 II Silberpfeil aus dem Jahr 1939. Kolportierter Preis, so er denn zum Verkauf stünde: 30 Millionen Euro. Die Schlumpfs kauften den Unfallwagen ab Werk und motteten ihn ein.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

1939 noch dominierte der Wagen noch die Rennszene: Fünf Siege in acht Rundstreckenrennen.

Foto: Heinz W. Jordan

Hilfreich dabei: ein 12-Zylinder mit zwei Roots-Kompressoren. 425 PS Leistung, Höchstgeschwindigkeit: 330 km/h. 14 Stück wurden gefertigt, bei Daimler kokettiert man mit einem Rückkauf des Wagens, hört man.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

1955 schraubte man in der Rennabteilung von Bugatti kurzerhand zwei 4-Zylinder zusammen und verbaute den Bastard quer im Heck. Keine gute Idee. Der in zwei Exemplaren gebaute T251 wurde bloß ein Mal eingesetzt und mangels Erfolg gekübelt.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Ziemlich profan wirkt hingegen dieser Bestseller aus dem Jahr 1954, ein Renault 4 CV. Der französische Volkswagen mit dem Heckmotor verkaufte sich bis 1961 über eine Million mal.

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD

Neben einigen Motorrädern verschlug es auch ein Motordreirad in die Sammlung Schlumpf, konkret eine La Nef von Lacroix et de Laville aus dem Jahr 1902. Die Firma wurde 1898 in Agen gegründet, ab 1903 nahm man eine Serienproduktion unterschiedlicher Dreiräder auf. 1914 war Schluss. Seit Anfang Mai ist die Rarität - gemeinsam mit anderen Versehrten der Automobilgeschichte - in Kassel zu begutachten.

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Ausstellung "Schlafende Automobilschönheiten" Kassel (bis 31. Juli 2013)
Cité de l'Automobile Mulhouse - Collection Schlumpf

Foto: Angelika Emmerling/AUTO BILD