Bild nicht mehr verfügbar.

Emir Hamad Bin Khalifa Al Thani bei US-Präsident Barack Obama am 23. April im Oval Office.

Foto: AP/Monsivais

Über die Hymne im orientalisch-sowjetischen Stil, die Mohamed Abdel Wahab 1960 komponierte, um die ägyptisch-syrische Union - ein Jahr später schon wieder Geschichte - zu feiern, können alte arabische Nationalisten heute ohnehin nur mehr weinen. Was aber Bassem Youssef, der geniale ägyptische Satiriker, in seiner Show aus "Meine geliebte Nation, meine große Nation" gemacht hat, ist umwerfend komisch und traurig zugleich: "Watani", meine Nation, hat er mit "mein Katar" ersetzt, und diesem verkaufen die Muslimbrüder gerade Ägypten: "Verkauft ihm die Pyramiden, wir bauen zwei neue", heißt es da.

Katar, das kleine Emirat mit nicht einmal 300.000 Einwohnern, ist nicht nur ein internationaler superreicher Großinvestor, sondern mausert sich politisch zum führenden Land in der Arabischen Liga. Die arabischen Revolten haben es aus der Nische ausbrechen lassen, in der es vorher mit seinen immer nur kurzfristig erfolgreichen Vermittlungsmissionen - von Darfur bis Libanon, von Jemen bis Palästina - agierte. Wurde Katar bis vor kurzem immer in einem Atemzug mit Saudi-Arabien genannt, so gibt es heute eine speziell katarische Politik.

Nicht zur Freude aller, was da und dort aufflammende antikatarische Proteste beweisen. Der erste Aufschrei, dass Katar sich mit seiner Finanzierung islamistischer Gruppen in innere Angelegenheiten mische, kam bereits Ende 2011 aus Libyen, wo sich Katar an den Nato-Einsätzen beteiligte - und mit einer Eliteeinheit Muammar al-Gaddafis Kommandozentrale Bab al-Aziziyah in Tripolis befreite. Im Syrien-Konflikt entstand mittlerweile eine Achse zwischen Muslimbrüdern und Katar, auf der die syrische Exilregierung gebildet wurde - ein Vorgang, bei dem auch Saudi-Arabien nichts mehr zu melden hatte.

Denn hier scheiden sich die Geister: Der derzeitige Höhenflug der Ikhwan, der Muslimbrüder, ist für Riad ein Anathema. Die konservativen Saudis hassen diese republikanischen Aufwiegler, sie machen sie für die Radikalisierung des Islam verantwortlich, die zum Jihadismus à la Kaida führte. In den Vereinigten Emiraten stehen Muslimbrüder wegen Putschplänen vor Gericht, in Kuwait werden sie der Agitation beschuldigt.

Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem "ikhwanisierten" Ägypten sind heute sehr angespannt. Die Kataris, obwohl eigentlich wahhabitisch-salafistisch wie die Saudis, haben hingegen mit den Muslimbrüdern kein Problem - und bringen dem wirtschaftlich auf der Kippe stehenden Ägypten acht Milliarden Dollar als Morgengabe.

Dem prominentesten aller Muslimbrüder, Youssef al-Qaradawi, bietet Katar ja seit Jahren mit Al ­Jazeera ein Podium, mithilfe dessen er international wirkt. Das Mitte der 1990er gegründete Mediennetzwerk spielte eine große Rolle dabei, Katar auf die politische Landkarte zu setzen. Der jetzige Aufstieg Katars fällt allerdings mit einem Niedergang Al Jazeeras zusammen: nicht nur, weil es mittlerweile Alternativen wie Al Arabiya gibt, sondern weil die arabischen Revolten die Mär von dessen "Unabhängigkeit" zerstörten. Die Diskrepanz zwischen der Berichterstattung über Syrien und über Bahrain hätte nicht größer sein können. Vor eineinhalb Jahren wurde Generaldirektor Waddah Khanfar von einem Mitglied der Emirsfamilie abgelöst: wenigstens ehrlich.

In der katarischen Außenpolitik  haben höchstens drei Personen das Sagen: Emir Hamad Bin ­Khalifa Al Thani selbst, dann "HBJ" - Hamad Bin Jassem, ein Cousin des Emirs, der sowohl als Premier als auch als Außenminister fungiert - sowie vielleicht noch Tamim, der Kronprinz. Dessen Mutter, Mozah, die zweite Frau des Emirs, die er bei Staatsbesuchen mitnimmt, hat zumindest eine wichtige ­"Public Diplomacy"-Funktion. Von gestrengen Salafisten wird sie wegen ihres mondänen Auftretens verteufelt.

Typisch für Katars Außenpolitik sind ihre antagonistischen Paare: das wahhabitische Land – das die Muslimbrüder umbuhlt; das erste Land der Region, in dem Israel ein Büro aufmachte – und dessen Emir einen Quasi-Staatsbesuch bei der Hamas im Gazastreifen absolviert; die Kooperation mit den USA – plus Jihadisten.

Das Kuwait-Trauma

Die Frage, warum Katar das alles tut und was es eigentlich damit bezweckt, kann man unter dem Strich so zusammenfassen: Sicherheit und Selbstbehauptung. Es dürfte eine Art Kuwait-Trauma sein, das der geografische Wurmfortsatz Saudi-Arabiens in sich trägt. Katars Irak heißt Saudi-Arabien. Als Sheikh Hamad 1995 seinen Vater wegputschte, blieb Riad lange auf dessen Seite. Die Beziehungen verbesserten sich erst ab 2007 und endgültig mit den arabischen Revolten, wo Saudi-Arabien und Katar an einem Strang zogen - wenn auch, wie gesagt, nicht völlig.

Katar schreibt sich aber nicht nur wegen Saudi-Arabien mit dicken Lettern auf die Landkarte. Mit dem machthungrigen Nachbarn Iran teilt Katar, größter Flüssiggaslieferant der Welt, ein Gasfeld: South Pars oder North Field, je nachdem, auf welcher Seite des Persischen Golfs man steht. Katars Iran-Rhetorik ist vorsichtiger als die seiner arabischen Nachbarn - bei der "Befriedung" der Schiitenrebellion in Bahrain hat es dennoch mitgemacht.

Umso wichtiger ist die Gastgeberrolle, die Katar für das US-Militär spielt - mit gleichzeitiger antiamerikanischer Tendenz Al Jazeeras, versteht sich. Wenn die USA den Afghanistan-Einsatz beenden, könnte die al-Udeid US Air Force Base - mit der längsten Landebahn im Nahen/Mittleren Osten - an Bedeutung verlieren. Aber es gibt immerhin noch die Fünfte Flotte und Camp Sayliya als Vorposten für US Centcom.

Mit Katar reden die USA auch über Syrien - Sheikh Hamad war vorige Woche in Washington. Eine Demokratisierung in der absoluten Monarchie ist dabei kein Thema: Noch lassen sich die Kataris ihre politische Freiheit mit Geschenken von der Wiege bis zum Grab ohne Protest abkaufen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 2.5.2013)