Dass durch Digitalisierung die Kulturtechnik des Briefeschreibens am Aussterben sei, gilt heutzutage als Gemeinplatz. Höchste Zeit also, auf ein Signal der Hoffnung zu verweisen, das noch dazu aus Österreich kommt. Hierzulande sind Briefe sehr wohl noch von Bedeutung. Wenn zum Beispiel ein amtierender Bundeskanzler und ein designierter SPÖ-Parteivorsitzender einem Boulevardzeitungsherausgeber ihre bedingungslose Unterwerfung mitteilen wollen, tun sie das nicht per E-Mail. Und einer Finanzministerin reicht es nicht, sich nur in Wort und Tat in Brüssel lächerlich zu machen, die Sache muss auch mit Brief und Siegel festgehalten werden.

Gemein ist diesen Korrespondenzversuchen, dass in beiden Fällen das Briefgeheimnis - gewollt oder ungewollt - missachtet wurde. Andere Bürger unseres Landes nehmen das nicht so locker, im Gegenteil, sie meinen, dass Briefinhalt und Empfänger prinzipiell niemanden etwas angingen. Eine Ansicht, deren Gültigkeit demnächst vor Gericht verhandelt wird, denn in knapp drei Wochen beginnt der Untreue-Prozess gegen den selbsternannten FPÖ-Sponsor Gernot Rumpold. Ob seine Ehre also Untreue heißt, wird sich weisen. Ein reger Briefverkehr könnte bei der Klärung eine nicht unwichtige Rolle spielen. Berichtet doch Rumpolds ehemalige Sekretärin im Rahmen ihrer polizeilichen Einvernahme von " Geldkuverts, aufgrund deren Stärke ich davon ausgegangen bin, dass es eine größere Summe sein musste", und ergänzt, "dass einige Personen, über welche Interventionen vorgenommen wurden, mit Bargeld und nicht durch Überweisungen für ihre Tätigkeiten bezahlt worden sind."

Laut dieser Aussage dürfte Rumpolds Büro also eine Art Poststelle gewesen sein, bei der man sich feine Brieflein abholen konnte. An anderer Stelle des Verhörs wird die Sekretärin um eine Beschreibung der im Büroalltag vorstelligen Besucher gebeten und antwortet: "Eigentlich alle waren öffentlich bekannte Personen, außer die Putzfrau und der Postler." Eine Promi-Dichte der Sonderklasse also, die im weiteren Protokoll unter anderem so beschrieben wird: "Herr Pöchhacker - Firma Porr, Herr Meischberger - eher selten, Herr Gorbach, Herr Westenthaler, Herr Haider Jörg, Herr Scheuch Uwe ..."

Dass für alle Genannten die Unschuldsvermutung gilt, steht außer Frage, wäre doch der mögliche Empfang eines Briefes nichts Ehrenrühriges. Und selbst wenn darin Bargeld gewesen wäre, lassen sich dazu nur Vermutungen anstellen. Die gesonderte Erwähnung von "Putzfrau und Postler" etwa könnte bedeuten, dass es sich um weihnachtliche Trinkgelder gehandelt hat. Denkbar auch, dass Rumpold einfach seinen persönlichen Zuneigungen Ausdruck verleihen wollte, vielleicht gab es in den Umschlägen ja auch kleine Grußkarten. (z. B. "Merci, Hubert, dass es Dich gibt", "Für Uwe, zum Ansparen für eine neue Kfz-Versicherung in Ungarn" oder "Bei der Happy-Hour-Lokalrunde morgen im 'Stadtkrämer' auf mich anstoßen, Jörg!")

Oder aber Rumpold hat sich Karlheinz Grassers Schwiegermutter zum Vorbild genommen und wollte das "Geldveranlagungsgeschick" seiner Freunde testen. Dass in diesem Fall ein aufregend gefülltes Kuvert motivierender wirkt als eine langweilige Banküberweisung, versteht sich von selbst. (Florian Scheuba, DER STANDARD, 2.5.2013)