Der Silicon-Valley-Unternehmer Eric Ries ist der Begründer der "Lean Startup"-Bewegung und Autor des gleichnamigen Buchs. Konzept von "Lean Startup" ist es, ein schlankes junges Unternehmen aufzubauen und dessen geringe Ressourcen effizient einzusetzen. Das Ziel: Mit minimalem Risiko schnell ein funktionierendes Unternehmen aufzubauen.

Unter Tech-Start-ups im Silicon Valley erfreut sich die Lehre heute großer Beliebtheit, und Ries selbst half dabei, die beiden erfolgreichen Start-ups There und IMVU nach dem Prinzip aufzubauen.

Aus dem Buch von Ries lassen sich auch einige Fehler ablesen, die viele Gründer nach Auffassung von Ries begehen.

1. Fehler: Management-Methoden eines Konzerns anwenden

Das Management eines großen Konzerns besteht im Wesentlichen daraus, Kennziffern für den Erfolg auszumachen und zu definieren, Pläne zu erstellen, wie sich die Kennziffern verbessern lassen und dann die Fortschritte der Pläne zu überwachen.

Auch Start-ups müssen Erfolgskennziffern definieren und die angestrebte Verbesserung überwachen – doch Pläne spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle. Start-ups fehlt es an verlässlichen Erfahrungswerten, um ernsthaft planen zu können – sie bewegen sich in einem Umfeld voller Unsicherheiten. Ries rät daher, Start-ups sollten weniger planen und möglichst flexibel sein. Die richtigen Kennzahlen müssen gefunden werden – doch wie sie erreicht werden, das sollten Start-up am besten am echten Markt testen und nicht in Plänen mit Meilensteinen und Marktprognosen.

2. Fehler: Fokus auf die falschen Ziele

Das Ziel jeder Unternehmung muss es letztlich sein, ein Geschäftsmodell zu finden, das dauerhaft funktioniert. Laut Ries lassen sich zu viele Start-ups von diesem Hauptziel ablenken, da es oft andere Ziele gibt, die einfacher zu erreichen sind und dem Ego schmeicheln: Aufmerksamkeit in der Presse, hart und ausdauernd arbeiten oder möglichst ausgefeilte Meilensteinpläne zu erreichen, können nur Mittel zum Zweck sein und sind niemals Selbstzweck. Das alles muss sich dem Ziel unterordnen, wie ein Start-up Kunden gewinnt und Geld verdienen kann. Dazu muss das Unternehmen herausfinden, was die Kunden wollen und wofür sie zu zahlen bereit sind.

3. Fehler: Trockenübungen mittels Marktforschung statt Lernen durch echte Kunden

Trockenübungen mit Fragebögen und Fokusgruppen bringen nach Auffassung von Ries wenig. Stattdessen rät er zur Methode des validierten Lernens mit echten Produkten und echten Kunden – nach dem Vorbild des wissenschaftlichen Ansatzes: Hypothese formulieren, sie am Markt testen, anpassen und erneut testen. Nur wenn sich eine Hypothese als richtig erweist, hat das Start-up ein nachhaltiges Geschäftsmodell gefunden. Ries nennt das BML-Schleifen, bestehend aus den drei Phasen "Build, Measure, Learn" – also Produkt bauen, messen, lernen. Jeder BML-Durchlauf bringt dabei Erkenntnisse – und je schneller die Phasen durchlaufen werden, desto schneller nähert sich das Start-up einem nachhaltigen Geschäftsmodell.

Falls die Entwicklung des echten Produkts zu teuer sein sollte, um es zu testen, nennt Ries Zappos als Beispiel – den Online-Schuhversandhandel aus den USA, der Vorbild für das deutsche Zalando war. Die Hypothese des Start-ups, Kunden wären dazu bereit, Schuhe online zu kaufen, überprüfte Zappos mittels einer Fake-Website, auf der Kunden angeblich Schuhe bestellen konnten. Die Kunden bissen an – und die Hypothese war bestätigt. Ähnlich ging auch der Online-Speicherdienst Dropbox vor. Statt einen Prototypen zu entwickeln, drehte das Start-up anfangs lediglich ein Video, das zeigte, wie der Dienst funktionieren sollte – und ermöglichte den Besuchern der Website, sich per E-Mail informieren zu lassen, sobald der Dienst verfügbar ist. Viele trugen Ihre E-Mail-Adresse ein – die Hypothese der Nachfrage nach dem Dienst bestätigte sich.

4. Fehler: Zu lange an der falschen Idee festhalten

Nicht wenige Gründer haben das Idealbild eines Unternehmers, der fest an seine Idee glaubt – und an ihr festhält trotz aller Widrigkeiten. Auch wenn ein gewisses Durchhaltevermögen als Gründer sicher nicht falsch ist, lässt sich in Wahrheit relativ schnell feststellen, ob das Start-up überhaupt erfolgreich sein kann.

Ries macht dazu zwei Hypothesen aus, die sich relativ früh bestätigen müssen: Die Werthypothese besagt, dass das Unternehmen einen Nutzen für die Kunden bietet. Sie wird dadurch bestätigt, dass das Produkt Early Adopter – also frühe Anwender – findet, die es nutzen.

Die Wachstumshypothese ist die zweite Hypothese, die für das Funktionieren der meisten Geschäftsmodelle zutreffen muss. Sie besagt, dass das Produkt auch über den kleinen Kreis der Early Adopter hinaus Anklang findet – also einen großen Markt finden wird.

Ries nennt Facebook als ein Unternehmen, dem es sehr schnell gelang, beide Hypothesen zu bestätigen: Die Werthypothese bestätigte sich, weil schon die ersten registrierten Nutzer sich häufig anmeldeten und viel Zeit auf dem sozialen Netzwerk verbrachten. Die Wachstumshypothese bestätigte sich, weil sich an Colleges, an denen Facebook neu startete, binnen kürzester Zeit sehr viele Studenten anmeldeten. Meist waren es drei Viertel aller Studenten innerhalb von sechs Monaten – und das ohne Marketing-Ausgaben. Die frühen Erfolgsdaten stärkten das Vertrauen der Investoren, die schnell eine Millionenfinanzierung genehmigten.

Gelingt es nicht, beide Hypothesen zu bestätigen, kann eine Kehrtwende notwendig sein – Pivot nennt Ries das. Mögliche Konsequenzen sind beispielsweise, dass ein Start-up seinen Kernnutzen enger oder breiter fasst, auf eine neue Kundengruppe zielt oder seinen Vertriebskanal ändert. Wie immer lässt sich jede Änderung als Hypothese am echten Markt testen. Ries schlägt monatlich "Pivot-Meetings" vor, in denen Daten analysiert werden und somit überprüft wird, ob sich das Unternehmen auf dem richtigen Weg befindet.

5. Fehler: Zu langes Zögern

Ries glaubt, dass viele Start-ups zu lange damit warten, ihr Produkt am Markt zu testen. Ein Minimal Viable Product, wie er es nennt, also die am schnellsten realisierbare Minimalversion eines Produkts, sollte dazu dienen, herauszufinden, ob nach dieser Art Produkt überhaupt eine Nachfrage am Markt herrscht. Außerdem kann sich das Unternehmen so schnell erstes Feedback von echten Kunden holen. Ein Start-up muss eben sein Geschäftsmodell erst noch finden. Im Extremfall kann dieses Minimalprodukt auch nur ein Test sein – wie in den Fällen Zappos und Dropbox (siehe Punkt 3).

6. Fehler: Sich von schmeichelhaften aber irreführende Kennzahlen ablenken lassen

Ein Start-up benötigt die richtigen Kennzahlen, um den eigenen Erfolg zu messen. Allzu oft verlassen sich Gründer laut Ries aber auf Kennzahlen, die für den Erfolg unerheblich sind aber vor allem dem eigenen Ego schmeicheln. Er nennt diese Kennzahlen Vanity Metrics – Eitelkeitskennzahlen. Sie sehen gut aus, bringen das Geschäftsmodell aber nicht voran. Dazu gehören Aufmerksamkeit durch die Medien, Anzahl von Fans der eigenen Facebook-Seite, in das Start-up hineingesteckte Arbeit oder das Erreichen selbstgesteckter Meilenstein-Ziele. Am Ende entscheiden die Kunden am Markt über Erfolg und Misserfolg des Unternehmens.

Stattdessen sollten Gründer die richtigen Core Metrics herausfinden – die Kennzahlen, auf die es wirklich ankommt. Das könnte beispielsweise der Zuwachs an zahlenden Kunden oder die Weiterempfehlungsrate von Kunden sein. Mittels so genannter Kohorten-Analysen lassen sich auch frühe Nutzer mit später hinzugestoßenen Nutzern vergleichen und herausfinden, ob beispielsweise die Weiterempfehlungsrate gestiegen oder gesunken ist.

7. Fehler: Bei der Wachstums-Strategie verzetteln

Ist erst einmal der Markteintritt gelungen und es besteht eine Nachfrage nach dem Produkt, benötigt jedes Start-up eine Wachstumsstrategie. Ries sieht hier im Wesentlichen drei Möglichkeiten für schlanke Start-up zu wachsen:

1. Zufriedene Kunden halten
2. Virale Verbreitung des Produkts über Empfehlungen
3. Zahlende Nutzer, mit deren Einnahmen in klassische Marketingausgaben wie Werbung investiert werden kann

Grundsätzlich könne zwar jedes Geschäftsmodell auf mehreren Wachstumsmotoren fußen. Start-ups sollten sich aber auf einen der drei konzentrieren und diesen auf Hochtouren bringen, rät Ries. So lasse sich der Erfolg neuer Produktfunktionen bewerten: Nur wenn sie das Wachstum beschleunigen, sind sie sinnvoll.

Um das zu überprüfen, schlägt Ries einen sogenannten A/B- oder Split-Test vor: Zufällig ausgewählt erhält nur die Hälfte der Kunden eine neue Funktion. Anhand von Feedback und Kennzahlen wie der Weiterempfehlungsrate lässt sich nun herausfinden, ob die Neuerung sinnvoll war. (Stephan Dörner, WSJ.de/derStandard.at, 30.4. 2013)