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Wer überwacht die Überwacher? Die Datenschutzbehörden sind hoffnungslos unterbesetzt, sagt Johann Čas. (Credit)

Auf mittlerweile über eine Million hat sich die Zahl der Überwachungskameras in Österreich erhöht, schätzt die Arbeitsgemeinschaft Daten. Die genaue Zahl ist wegen der Dunkelziffer selbst den Behörden nicht bekannt. Zudem sind exponierte Gewerbe wie Banken oder Juweliere sowie Hausbesitzer von der Meldepflicht ausgenommen. Nicht registriert werden müssen auch analoge Aufzeichnungsarten oder Panorama-Webcams, die die Bilder zwar ins Netz übertragen, nicht aber speichern.

Gerade durch den Terroranschlag beim Boston-Marathon haben die Forderungen nach mehr Überwachung wieder zugenommen. derStandard.at sprach mit Johann Čas vom Institut für Technikfolgenabschätzung in Wien (ITA) über die gesellschaftliche Akzeptanz von Überwachungssystemen, den schleichenden Verlust der Privatsphäre und die Tendenz zur Kontrolle durch Private.

derStandard.at: Schon lange, bevor es flächendeckende Videoüberwachung gab, argumentierten die Befürworter mit der Erhöhung unserer Sicherheit. Sind wir heute sicherer?

Čas: Man muss in dieser Frage zunächst zwischen der objektiv messbaren Sicherheit und dem subjektiven Sicherheitsgefühl unterscheiden. Es gibt sicher Fälle, wo die Überwachung einen oder beide Faktoren erhöht. Generell trifft diese Aussage aber sicher nicht zu. Es ist eher zu beobachten, dass eine Verschiebung krimineller Handlungen von überwachten hin zu unüberwachten Plätzen stattfindet. Der Nettoeffekt ist ziemlich gering bis nicht vorhanden.

derStandard.at: Das Argument der Gegner lautet, dass wir für die Überwachung unsere Freiheit aufgeben. Haben wir das getan?

Čas: Es geht mit jeder Art der Überwachung eine Einschränkung der Freiheit und ein Eingriff in die Privatsphäre einher. Wer weiß, dass er kontrolliert wird, passt seine Handlungen und Aussagen automatisch an gewünschte Normen an. Wir bewegen uns hier in einem heiklen Bereich, wo die Bevölkerung schon unter einem Generalverdacht steht.

derStandard.at: Vor einigen Technologiesprüngen waren es noch Menschen, die überwachten. Blockwarte konnten aber schon rein logistisch nicht alles lückenlos durchleuchten. Heute ist das mit automatischer Gesichtserkennung, Vorratsdatenspeicherung und GPS-Bewegungsprofilen leicht möglich. Bringt die künstliche Intelligenz eine neue Dimension in die Sache?

Čas: Selbst in riesigen Spitzelstaaten waren gewisse Bereiche ausgeklammert, etwa im privaten Bereich. Heute kann man durch den technischen Fortschritt bei der Überwachung auch Privates nur mehr schwer verheimlichen. In der nächsten Technologiegeneration, bei den sogenannten smarten oder intelligenten Systemen, treffen selbstlernende Maschinen Urteile über unser Verhalten und stufen es entweder als "normal" oder als "nicht normal" ein. Das tritt der Menschenwürde gefährlich nahe.

derStandard.at: So sehr Datenschützer vor den Datenkraken warnen, so gern scheinen die Menschen immer mehr freiwillig preiszugeben - vor allem in sozialen Netzwerken. Schaufelt sich der Bürger das Grab für seinen gläsernen Sarg selbst?

Čas: Manchen Personen ist es relativ egal, was andere von ihnen wissen. Die haben kein Problem damit, ihre privaten Daten in sozialen Medien zu veröffentlichen oder sich nackt am Strand zu bewegen. Anderen ist das ein schwerwiegender Eingriff in die Selbstbestimmung. Das Problem bei der Überwachung ist, dass sie alle gleich trifft und nicht freiwillig geschieht. Wenn wir uns nur nach den Freigibigen orientieren und jede neue Technologie widerstandslos in Kauf nehmen, besteht die Gefahr, dass wir uns schlafwandelnd in einen Überwachungsstaat begeben.

derStandard.at: Überwachung handelte lange Zeit von der Beziehung zwischen kontrollierendem Staat und kontrolliertem Bürger. Heute rüsten zunehmend Privatpersonen und Unternehmen mit Kameras auf. Gibt es einen Grund, warum ich meinen Mitbürgern gegenüber weniger skeptisch sein sollte als gegenüber dem Staat?

Čas: Sie sollten auch einem überwachenden Nachbarn nicht mehr Vertrauen entgegenbringen als einem überwachenden Staat. Es ist lediglich eine andere Art von Eingriff, die hier stattfindet - vielleicht nicht gestützt von einem Gewaltmonopol, wie es der Staat hat. Das Wissen über private Dinge kann Personen aber erpressbar machen und sogar Existenzen gefährden, ohne dass Gesetze gebrochen werden.

derStandard.at: Anonymous veröffentlichte vor kurzem E-Mails aus dem Innenministerium, wonach bei der Polizei Passwörter zur ÖBB-Videoüberwachung herumgereicht wurden. Normalerweise ist dafür die Anordnung eines Staatsanwaltes nötig. Kann man dem Missbrauch überhaupt einen Riegel vorschieben?

Čas: Durch technische und legistische Vorkehrungen kann man ihn vielleicht einschränken. Ausschließen wird man den Missbrauch aber nie können. Technik an sich ist verwundbar und die Menschen sind verführbar.

derStandard.at: Werden Verstöße gegen das Datenschutzgesetz zu oft als Bagetelldelikte abgetan?

Čas: Das Problem an der Nichteinhaltung liegt wohl in der mangelnden Kontrolle. Wenn ganz Österreich von zwanzig Verkehrspolizisten kontrolliert würde, hätten auch die Geschwindigkeits- oder Promillegrenzen keine Konsequenzen. Die Datenschutzbehörden sind hoffnungslos unterbesetzt und können schon jetzt den gemeldeten Fällen nicht mehr adäquat nachgehen.

derStandard.at: Wir bräuchten mehr Überwacher der Überwacher?

Čas: Das könnte man so sagen. Wichtiger wäre es aber, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme - insbesondere die Arbeitslosigkeit - an ihrer Wurzel anzugehen, um Kriminalität und Verbrechen vorzubeugen. Heute geht die Tendenz eher dahin, den Mangel an sozialer Sicherheit durch ein Übermaß an Überwachung zu kompensieren. Wenn man an dieser Strategie festhält, bleibt es wohl unvermeidlich, Überwachungstechnologien gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, um sozialen Unruhen und politischer Instabilität zu begegnen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 30.4.2013)