Richard Gerstls ehemals verschollenes Selbstbildnis erzielte neuen Künstlerweltrekord.

Foto: Im Kisnky

Unerbittlich, das war Richard Gerstl nicht nur in der Ablehnung des zeitgenössischen Kunstbetriebes. Am 4. November 1908 hatte der damals gerade mal 25-jährige Künstler den Freitod und selbst dabei eine radikale Herangehensweise gewählt. Möglich, dass seine Liebschaft mit Mathilde, der Ehefrau seines Freundes Arnold Schönberg, ein Auslöser gewesen sein mag. Das Ende der Liaison würde Gerstls unbändige Zerstörungswut rückblickend nur unzureichend erklären: Er zündete alle seiner im Atelier befindlichen Kunstwerke an, rammte sich ein Messer in den Körper und erhängte sich - vor einem Spiegel.

Auf dem internationalen Kunstmarkt haben Arbeiten Richard Gerstls Raritätenstatus. Ein paar Privatsammler dürfen ein Werk ihr eigen nennen, das meiste wird hingegen in institutionellen Sammlungen bewahrt, etwa im Leopold Museum oder in der Österreichischen Galerie Belvedere.

In einschlägigen Kunstpreisdatenbanken finden sich demnach keine zehn Einträge, 395.000 Euro für eine 1907 ausgeführte Landschaftsstudie markierten bislang den Höchstwert, den ein Wiener Privatsammler exakt 100 Jahre später im Zuge der 64. Kinsky-Auktion bewilligt hatte.

Im Herbst vergangenen Jahres hielt das an der Freyung angesiedelte Auktionshaus einen Beratungstag ab und betrat eine ältere Dame das barocke Palais. Mit dabei hatte sie die Erbschaft ihrer vor langem verstorbenen Mutter in Form eines knapp 37 mal 34 cm großen Gemäldes, das einen jungen Mann zeigte. Der Zustand des Bildes war an Experten-Maßstäben bemessen katastrophal, an manchen Stellen wähnte man gar Schimmel. Die Ränder waren unregelmäßig beschnitten, womit wahrscheinlich war, dass es sich um einen Ausschnitt aus einem größeren Gemälde handelte. Unter der Schmutzschicht der Rückseite fanden sich dagegen interessante Hinweise, konkret ein Stempel (Nachlass Richard Gerstl (1883 bis 1908), Neue Galerie Wien", die Unterschrift "Dr. Kallir" sowie der Vermerk "Nr. 24 Selbstbildnis (Ausschnitt)".

Eine Entdeckung, die den Adrenalinspiegel der Kinsky-Experten in die Höhe trieb. Auch weil Selbstbildnisse des Künstlers einen besonderen Stellenwert im OEuvre Gerstls haben. Wenige Monate vor seinem Freitod hatte er mit einer berührenden Serie begonnen: "Sie dokumentieren sehr unmittelbar und wirklichkeitsgetreu", mal mit pointillistischem, dann wieder mit realistischem Vokabular, "die Spurensuche seiner Person", wie es Klaus Albrecht Schröder einmal formulierte.

Ja, bestätigt Diethard Leopold auf Anfrage, man hätte das diese Woche im Zuge der Meisterwerkauktion im Kinsky offerierte Selbstporträt gerne für die "Sammlung Leopold 2" erworben, hatte sich aber ein preisliches Limit gesetzt. Nur einer war Dienstagabend ganz offensichtlich bereit, deutlich mehr zu investieren: Richard Nagy, der aus London angereiste Kunsthändler, setzte sich mit einem Meistbot von 320.000 Euro gegen seine Konkurrenten durch. Inklusive Aufgeld markiert dies mit brutto 400.000 Euro nun den neuen Künstlerweltrekord.

Den höchsten Zuschlag der Sitzung verzeichnete man jedoch bei 437.500 Euro (Kaufpreis) für Egon Schieles Kohlezeichnung einer Liegenden, gefolgt von 412.500 Euro, die der Linzer Kunsthändler Walter Freller für Alfons Waldes Bergstadt (um 1927) bewilligte. Am Ende des Abends notierte man, exklusive der unter Vorbehalt erteilten Zuschläge (835.000 Euro), eine Verkaufsquote von etwa 60 Prozent und einen Umsatz von 4,64 Millionen Euro. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 27./28.4.2013)