Jasper Sharp, österreichischer Biennale-Kommissär.

Foto: Standard/Heribert Corn

Wien – Biennale von Venedig, stolze Urmutter aller Biennalen, gegründet 1895 – und schon die allererste war eine Erregung, weil der junge Maler Giacomo Grosso nackte tanzende Weibsbilder ausgerechnet um eine Totenbahre drapierte. Wiewohl frivol, wurde das Bild wenigstens in einem Seitentrakt der ehemaligen Reithalle in den Giardini aufgehängt. Und verursachte den Besucher-Megastau. Jeder wollte natürlich sehen, was sie nicht sehen sollten.

Biennale, "Sehschlacht am Canal Grande" , wie Alfred Schmeller, pointierter Kunstessayist und zwischen 1969 und 1979 Direktor des Wiener 20er-Hauses, schrieb. Immer wieder krisengebeutelt, in Geldnöten, infrage gestellt, verteufelt – wie etwa in Tommaso ­Marinettis Futuristischem Manifest: Venedig sei "Anziehungspunkt für alle möglichen Dummköpfe der Welt, ein mit Edelsteinen bestücktes Auffangbecken für kosmopolitische Abenteurerinnen" , wütete er, "herabgewürdigt durch den kleingeistigen unehrlichen Handel" . Aber ­genau deshalb war
die Biennale­ auch ge­gründet worden: um einen Markt für zeitgenössische Kunst zu schaffen.

Bis in die 1960er-Jahre war die in den Pavillons ausgestellte Kunst verkäuflich, abgerechnet wurde über ein zentrales Verkaufsbüro, das zehn Prozent Provision kassierte. Gustav Klimt, über dessen extravagante Hängung auf weißen Wänden die Kritiker 1910 schockiert von einem "Karneval in der Aufbahrungshalle"  schrieben, verkaufte sein Gemälde Judith II an die Ca' Pesaro in Venedig. 1936 deckte sich Mussolini bei den Österreichern ein.

Und 1962 war Friedensreich Kunterbunt Regentag Hundertwasser ein Verkaufsschlager. Ein US-Sammler hätte am liebsten den ganzen österreichischen Pavillon leergekauft. Nachzulesen in dem Buch Österreich und die Biennale von Venedig 1895–2013, das am Montag in der Wiener Secession präsentiert wird: exakt einen Monat, ehe am 29. Mai im Hoffmann-Pavillon in den Giardini von Venedig die Ausstellung von Mathias Poledna eröffnet wird.

Biennale-Kommissär Jasper Sharp hat nämlich nicht nur diesen Biennale-Beitrag ausgewählt und kuratiert, sondern er hat sich die Aufgabe gestellt, auch dessen (Entstehungs-)Geschichte zu dokumentieren; und anhand von Werk- und Transportlisten, Ausstellungsplakaten, Briefen und Fo­tos zu erforschen, welche österreichischen Künstler wann und in welchem Kontext an der Biennale teilgenommen haben, wer die jeweiligen Kommissäre waren.

Das Mammutprojekt führte Sharp und sein Team in Archive auf der ganzen Welt. "Ich habe" , sagt Sharp, "unlängst eine Notiz wiedergefunden, die ich bei meinem ersten Besuch im Archivio Storico in Venedig angesichts der Materialfülle gemacht habe: Ist es überhaupt möglich, dieses Buch in dieser kurzen Zeit zu machen?"

Es war. Das Ergebnis des Informationsfindungsprozesses ist ein mehr als 500 Seiten starkes Werk über Österreichs Kunstgeschichte der letzten 120 Jahre.

Standard: Was war die Gründungsidee der Biennale?

Sharp: Ich denke, drei Dinge waren wesentlich: der Gedanke der Weltausstellung, die Secessionisten in München, Berlin und Wien sowie die Salons in Paris und London. Die Biennale hat von allem etwas: von den Salons die Ästhetik, von den Secessionisten den Verkaufsaspekt und von der Weltausstellung die idealistische Vision und natürlich die Pavillons.

Standard: Nationale Pavillons gab es nicht von Anfang an. Warum wurden sie errichtet?

Sharp: Stimmt, zunächst gab es nur den Zentralpavillon. Die nationalen Pavillons entstanden, weil sich die italienischen Künstler beschwert hatten, dass es zu viele internationale Künstler gab. Sie wollten mehr Platz. Also ­hatte der damalige Generalsekretär Antonio Fradeletto die großartige Idee, die Länder einzuladen, eigene Pavillons zu bauen. Das hatte mehrere Effekte: Die Italiener hatten mehr Platz, und es garantierte die Kontinuität der Biennale. Denn die Länder investierten Geld, kauften Grund, bauten, mussten das erhalten.

Standard: Wie viele Pavillons gab es, als Österreich 1934 seinen eröffnete?

Sharp: 15. Heute sind es in den Giar­dini insgesamt dreißig. Der erste Pavillon war 1909 der deutsche.

Standard: Stand der Architekt des österreichischen Pavillons von Anfang an fest?

Sharp: Es gab schon sehr früh Entwürfe, die meisten von Josef Hoffmann, doch beispielsweise auch von Pasqualin & Vienna, Emil Hoppe & Otto Schönthal oder Robert Kramreiter. Der ursprüngliche Entwurf des heutigen österreichischen Pavillons stammt auch von Robert Kramreiter. Josef Hoffmann ergänzte diesen Entwurf etwa mit den geriffelten Wandflächen der Hauptfassade.

Standard: Blieb Hoffmann dem Pavillon verbunden?

Sharp: Zwischen 1948 und 1956 war er Kommissär, etwa 1948 auf der vermutlich spannendsten Bi­ennale der Geschichte, wo er Wo­truba und Schiele zeigte. Kurz vor der Eröffnung 1956 starb er, und Josef Musil übernahm kurzfristig die Leitung des Pavillons. Wir ­fanden das sehr knapp gehaltene Telegramm des damaligen Unterrichtsministers Heinrich Drimmel an den Biennale-Präsidenten: "Josef Hoffmann è morto."

Standard: Was passierte während des Zweiten Weltkriegs mit den Pavillons?

Sharp: Die Pavillons der sogenannten "Feindesländer"  wie USA, Frankreich, Großbritannien wurden vom italienischen Militär übernommen: Bodenstreitkräfte, Marine, Luftwaffe statt Avant­garde. Weil Mussolini mit Franco kollaborieren wollte, bekam ein spanischer Künstler den Preis. Im Jahr, als Ungarn auf deutscher Seite war, ging der Preis an einen ungarischen Maler. Alle Ideale wurden korrumpiert, deretwegen man die Biennale gegründet hatte. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 26.4.2013)