"Die Leute haben, von Job und Freizeit getrieben, subjektiv weniger Zeit. Darauf muss reagiert werden", meint Stephan Mayer-Heinisch. Der britische Multi Tesco ist für ihn ein Vorbild.

Foto: standard/urban

STANDARD: Was spricht dagegen, in Geschäften Sportartikel oder Elektronikgeräte zu testen und dann im Internet günstiger zu bestellen?

Mayer-Heinisch: gar nichts. Es gibt zwei Denkschulen. Die einen sagen, es ist Beratungsdiebstahl. Die anderen sehen es als Chance, um mit Kunden ins Geschäft zu kommen. Man sieht das Glas entweder halb leer oder halb voll. Ich hänge letzterer Schule nach.

STANDARD: Kunden sind dank Internetrechner oft besser informiert als Verkäufer in den Filialen ...

Mayer-Heinisch: Der Handel muss mit mehr Schulungen Paroli bieten und sich daran gewöhnen, gut ausgebildete Verkäufer auf Kunden loszulassen. Städte, Einkaufsstraßen und Center müssen zudem Mehrwert bieten. Schau ich mir in Wien die Meidlinger Hauptstraße oder Favoritenstraße an - ist da keiner; da geh ich lieber ins Internet, das ist sympathischer.

STANDARD: Werden Filialen im Einzelhandel zukünftig zu Logistikflächen der Webanbieter degradiert?

Mayer-Heinisch: Wenn ich das genau wüsste, dann hätte ich ein Beratungsunternehmen mit 100 Mitarbeitern und würde meine Füße in den Sand stecken. Ich glaube jedoch nicht, dass einer verschwindet und der andere komplett siegt. Wir werden mit zunehmender Geschwindigkeit viele Gewinner sehen, viele Irrwege und einen Haufen Verlierer. Kunden werden sich über verschiedenste Kanäle bedienen. Handel ist permanenter Wandel, wer sich dem nicht stellt, wird in die hintere Reihe verschoben.

STANDARD: Viele große Handelsketten stehen finanziell auf der Kippe. Die Verzahnung von stationär und online wurde offenbar verschlafen.

Mayer-Heinisch: Es hat der Kohlenhandel auch verschlafen, dass die Leute keine Kohle mehr brauchen. Es gibt keinen Konsum und Meinl mehr - und wie überall Vife und Schläfer. Wir haben mehr Singlehaushalte, viele steigen montags in den Flieger, kommen samstags zurück. Andere arbeiten nachts. Die Leute haben, von Job und Freizeit getrieben, subjektiv weniger Zeit. Darauf muss reagiert werden.

STANDARD: Was verstehen Sie unter angemessenen Reaktionen?

Mayer-Heinisch: In Zukunft wird es noch andere Wege geben, an Ware zu kommen, über Grenzen hinweg oder neue Zustellmethoden. Ich bin fasziniert, wie präzise Tesco in London in Zehn-Minuten-Slots Lebensmittel zustellt oder in der U-Bahn von Seoul die Wände vollschreibt, mit Waren, die während der Wartezeit bestellt werden können. Diese Ideen sind technologiegetrieben, könnten jedoch bald in den Alltag einfließen. Entscheidend sind ein offener Geist und Kapitalkraft der Unternehmen. Österreich hat hier Probleme: Viele haben eine dünne Kapitaldecke. Es ist Gefahr im Verzug, dass viel Wertschöpfung an ausländische Internetanbieter abfließen wird.

STANDARD: Aber kaum ein Onlinehändler macht derzeit Gewinn. Die Retourquoten sind enorm.

Mayer-Heinisch: Bei neuen Technologien gibt es lange Lernkurven. Es wird einer die Zauberformel finden, wie man damit Geld verdient.

STANDARD: Stichwort Amazon: Wie nachhaltig wirken Skandale rund um Dumpinglöhne nach?

Mayer-Heinisch: Bekommt eine Firma den Ruf, ein krummer Hund, ein Leuteschinder zu sein, ist das für Investoren, Partner, Kunden ein No-go. Sie haben das Recht zu wissen, ob sich Konzerne ordentlich verhalten. Der Kunde vergisst nicht immer schnell. Es gibt Skandale, die Jahrzehnte zurückliegen und an die wir uns gut erinnern. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 26.4.2013)