Jon sagt: "Wer zu den Fischen geht, muss leise sein." Also bitte: Lauerstellung einnehmen, in die Knie gehen, sachte ein Bein vor das andere setzen. Wer zu laut auftritt, hat verloren. Zwar nicht das Leben - aber doch den Fisch.
"Sie spüren die Erderschütterung", ist er überzeugt. Das sagt Jon übrigens in normaler Lautstärke. Flüstern sei nicht nötig, sagt er: "Fische hören nicht." Aber sie fühlen und sehen, meint der Guide am Owens River. Und das reicht fürs Erste, denn das Wasser ist glasklar. Schnell haben die Fische die Gefahrenquelle ausgemacht, jene drei merkwürdigen Figuren mit den Monsterschuhen, den Sackhosen und den langen, dünnen Staberln identifiziert und huschen unter die Steine.
Jon (35) ist seit 20 Jahren Fliegenfischer. Während der Hochsaison geht er viermal pro Woche mit Gästen ans Wasser, sonst arbeitet er im Restaurant und spielt Gitarre in einer Band.
"Clevere Burschen" seien sie eben, die Rainbow, Golden und Brown Trouts, die sich hier versammeln. Schon, aber zu ihrem Pech nur mit Kurzzeitgedächtnis ausgestattet. Fünf Minuten später glückt der Fangversuch.
Die Kulisse, vor der sich das abspielt, ist atemberaubend. 2200 Meter über dem Meeresspiegel mäandert der Owens River gemächlich durch die einzigartige Steppenlandschaft des Owens Valley, rund 30 Minuten südöstlich der kalifornischen Stadt Mammoth Lakes. Gräser, niedriges Buschwerk, mehr wächst hier nicht, von Osten blitzen die Berge des Yosemite-Nationalparks herüber, der Himmel ist dunkelblau. Und das beste: kein Mensch weit und breit.
Das ist nicht selbstverständlich. In Kanada gibt es Plätze, an denen die Fischer in Fünf-Meter-Abständen ihr Glück - natürlich meist umsonst - versuchen. Am Owens River trifft man vielleicht einmal einen Gleichgesinnten, der vor seinem Dodge ein Päuschen macht und die künstlichen Fliegen sortiert und studiert.
Morgens um sieben Uhr herrscht in der 7000 Einwohner zählenden Kleinstadt auf 2400 Metern Höhe hektische Betriebsamkeit. Alles macht sich fertig für Hiking, Biking, Fishing, Climbing, Hunting - Mammoth Lakes ist ein Outdoor-Paradies mit alpinem Charme: Austriahof, Jodler, Val d'Isère, Alpenglühen, Petra warten als Unterkünfte und Restaurants auf Gäste. Exquisiter ist das Westin Monache Resort - mit Kamin im Zimmer, großartigen Fernblicken und Sushi-Restaurant.
Im Winter zählt die Region zu den beliebtesten Ski-Destinationen der USA. Im Sommer ist Mammoth Lakes eine schwer unterschätzte Schönheit. Die Mehrheit zieht es in die westwärts gelegenen Nationalparks von Yosemite, Kings Canyon und Sequoia. Für Mammoth Lakes bleibt kaum Zeit, dabei ist das hier idealer Ausgangspunkt für Tagestouren, etwa ins faszinierende Death Valley oder in die Vulkanlandschaften des Mono Lake und auch in den Yosemite-Nationalpark.
Fischen kann man hier das ganze Jahr. Zumindest theoretisch, denn die Winter sind kalt: "So kalt, dass die Schnur friert", sagt Jon. Nur zwei Stunden am Tag ist es möglich, sonst gesundheitsgefährdend: Bis zu minus 30 Grad hat es im Winter, obwohl das Thermometer im Sommer auf 40 plus steigt.
Lebensqualität nach L. A. gepumpt
Das Wasser hat eine besondere Bedeutung im Owens Valley. Genau hier ist der Beginn des Los-Angeles-Aquädukts, das auf einer Länge von rund 375 Kilometern die 13 Millionen Einwohner mit Wasser versorgt. 13,7 Kubikmeter pro Sekunde werden hier vom Owens Valley in das San Fernando Valley nahe Los Angeles gepumpt. 1908 wurde das Bauwerk begonnen, innerhalb von sieben Jahren schlugen 2000 Arbeiter die Schneise ins Land, gruben rund 100 Staubecken und steigerten so die Lebensqualität des bis dahin dürren Los Angeles. Vom Owens Valley fließt das Wasser erst in offenen Kanälen, später durch ein Tunnel- und Pipeline-System bis L. A.
Das Wasser, das abgezapft wird, fehlt dem Boden, der immer mehr verödet. Früher gab es hier funktionierende Agrarwirtschaft, heute ist das Land staubtrocken. Innerhalb von nur sieben Jahren war der Owens Lake leer, einst ein 280 Quadratkilometer großer See, an seiner tiefsten Stelle fünfzehn Meter tief. Dampfschiffe brachten Gold, Borax und Silber in den Norden.
Der legendäre William Mulholland leitete das Projekt, er und der Bürgermeister von Los Angeles, Fred Eaton, wollten nichts weniger als eine Weltmetropole, und dazu brauchte es Wasser. "There it is. Take it", soll Mulholland bei der Eröffnung im November 1913 gerufen haben. Der Rest ist bekannt.
Nicht alle jubelten ihm zu. Eaton habe sich die Wasserrechte erschlichen, meinten Farmer und sprengten um 1924 Leitungen. Das Ganze ging als kalifornische Wasserkriege in die Geschichte ein.
Inzwischen gibt es Bemühungen der Renaturisierung, dem Owens Valley soll Wasser zurückgegeben werden. Ob dort jemals wieder Bäume blühen, ist freilich ungewiss. Im vergangenen Jahr war es besonders trocken, denn der Winter blieb schneelos. Das ist äußerst ungewöhnlich, bis zu zwei Meter ist die Schneedecke für gewöhnlich dick.
Hand gegen die Sonne: Maifliegenzeit, lautet Jons Diagnose. Dass es dafür noch zu früh ist, ist nicht weiter ungewöhnlich und reine Definitionsfrage. Die Gegend kennt er wie kaum jemand, und deshalb weiß er: In spätestens 30 Minuten landen die Fliegen auf dem Wasser, und dann ist im Fluss der Bär los. Rundherum schnappen die Fische nach den fetten Leckerbissen und nach allem, was danach aussieht, auch nach den künstlichen Fliegen des Fischers. 20 Minuten später ist wieder alles vorbei.
Der Hot Creek gilt unter Fliegenfischern als der schwierigste Fluss in der Region Mammoth Lakes. Das Bachbett ist mit Gras verwachsen, und die Fische kommen kaum an die Höhe. In den Becken mit dem heißen Wasser aus geothermischen Quellen konnte man früher baden. Jetzt ist das hier nicht erlaubt. Die Geysire schossen hoch und waren gefährlich heiß. Doch die Gegend ist voll mit Natur-Whirlpools, man muss nur wissen, wo man in der Einöde richtig abbiegen muss, oder dem Geruch folgen: Das schwefelhaltige Wasser ist leicht auszumachen. Jon gibt gerne Auskunft.
Oberhalb von Mammoth Lakes fließt der San Joaquin am Fuße der Minaret Mountains. Der Abschnitt des Parks gefiel schon Ronald Reagan, der es liebte, mit dem Pferd hindurchzureiten. Überflüssig zu sagen, dass ein geplanter Straßenbau genau deshalb nie zustande kam.
Gutes Auftreten hilft bekanntlich auch beim Fliegenfischen. Darüber sind sich alle einig, abgesehen davon herrscht aber ein Glaubenskrieg bezüglich des Verhaltenskodexes. In Österreich sind Hilfsmittel wie Bissanzeiger verpönt. Dafür haben heimische Fliegenfischer kein Problem, das Tier zu töten und die Beute zu verzehren. Ein völliges No-Go etwa in Kanada. Schweizer rümpfen die Nase über die Verwendung von Keschern in Gebirgsbächen. Der Amerikaner ist da unkomplizierter, lediglich der Widerhaken wird abgezwackt - womit wiederum Österreicher kein Problem hätten, bevor die Fliege ins Wasser geht.
Im Owens River geht man zielstrebig wie nirgendwo ans Wehr: Jon bindet an seine Schnur nicht nur eine, sondern gleich zwei Fliegenlarven, er beschwert sie zudem mit Blei und hängt einen Bissanzeiger dazu. "Das erhöht die Chancen", grinst er. Der Erfolg gibt ihm recht. (Doris Priesching, DER STANDARD, Rondo, 26.4.2013)