Pizza ist dem Kampanier heilig, selbst (oder gar erst recht?) wenn die Zubereitung vom traditionellen Kanon abweicht.

Foto: Wolfgang Jelinek
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Enzo Coccia gilt als Paradeiser-Fetischist.

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Coccias Lokal: "Pizzaria (sic!) La Notizia".

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"Da Attilio" in Neapel.

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"Pepe in Grani": Franco Pepe ordiniert als "Professore Pizza" im neapolitanischen Vorort Caiazzo und knetet ausschließlich per Hand.

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Pizzamachen ist leicht: Germteig, Tomaten und ab in den Ofen. Mozzarella und Basilikum zum Pimpen.

Pizzamachen ist schwer: Frühmorgens Mehle mischen und mit einer dem Wetter angepassten Dosis Sauerteig oder Germ, Salz und Wasser ansetzen. Kneten. Den "Punto di Pasta", also die ideale Teigkonsistenz treffen. Laibchen formen, reifen lassen, alle paar Stunden tätscheln. Den Kuppelofen mit Buchen- und Eichenholz füttern. Das Laibchen zum Fladen drücken, diesen über den Handrücken schlagen und ein Rähmchen formen. Händisch zermalmte Rassetomaten drüber - und das ist erst der Anfang.

Pizza ist in aller Munde (!). In Neapel sowieso: mit Tomaten, Knoblauch und nichts (Marinara) oder mit Tomaten, Käse und Basilikum (Margherita), zum Libretto (Bücherl) oder Fazzoletto (Tücherl) gefaltet. Immer seltener als Pizza fritta mit Ricotta und Speckstückerln gefüllt und ölgebacken, wie dies einst Sophia Loren in Vittorio De Sicas "L'Oro di Napoli" vorzuführen wusste. Oder die siebzigjährige Fernanda heute in ihrem "Basso", einem dunklen Kellerlokal in der neapolitanischen Altstadt.

Einstige Arme-Leute-Speise

In Oberitalien nehmen sich gar Sterneköche des warmen Lappens an. Massimiliano Alajmo (Le Calandre, drei Sterne, Padua) ließ sich seine "Pjzza" gleich patentieren. Eine Art Riesenkrapfen, dampfgegart, mit Hydrolyse, Maillard-Reaktion und allem Pipapo. Bei der Füllung bleibt er dem Original verpflichtet: Paradeiser, Mozzarella, alles DOC, DOP und Slow.

30 Euro und mehr kann so für die einstige Arme-Leute-Speise verlangt werden. Im "I Tigli" etwa verteilt der vom Guide Gambero Rosso zum Pizza-Landessieger gekürte Simone Padoan "Shabu Shabu di Branzino" Quinoa und Soja-Sesam-Sauce unter dem Mozzarella. Aber auch Gänsestopfleber mit Sprossen, Zitronensalat mit Schweinsbackerl-Schinken oder Beef tartare mit Schokolade und fassgelagertem Edelbrand - nennt sich dann Pizza Promille.

Detto Gabriele Bonci vom "Pizzarium" in Rom: Der belegt seine Pizzaschnitten schon länger und unter großer Anteilnahme mit Burrata und Forellenkaviar oder Mortadella und Bohnenpüree. Ja, die Norditaliener.

Bei Stockfisch besser austreten

Der Vizepräsident des Vereins der echten neapolitanischen Pizza (AVPN), Lello Surace, kann solchem "Krimskrams" ("Cianfrusaglie sopra"), der im Norden als Belag firmiert, nichts abgewinnen. Die Vera Pizza Napoletana mit ihrem weltkulturerblichen Dogma aus Weizenmehl Typ 00, dreierlei Tomaten, zweierlei Mozzarella und kaltgepresstem Olivenöl ist der natürliche Feind der Pizza Hawaii oder Bismarck (Speck mit Ei). Wenn in einem Außenbezirk Neapels einer Stockfisch unter den Käse schiebt, tritt er deshalb besser aus dem offiziellen Verein aus.

Enzo Coccia ist so ein Neapolitaner. In einer Welt, in der die Erde eine Scheibe ist, segelt er bis an die Ränder. In seiner "Pizzaria (sic!) La Notizia" gibt's zum handgeknüpften Bier etwa "Mignon"-Pizza mit Lardo di Colonnata, Pesto Genovese, Alba-Trüffel, Büffelwurst oder Brokkoli. Enzo darf das. Er kennt sein Handwerk so gründlich, dass die Küche bei ihm "Laboratorio" heißt. Dort pflegt er Hefen, mischt Mehle und spielt mit Feuchtigkeiten und Temperaturen. Alles zum Ruhme des Teiges. Wolkig leicht muss er sein, weizenduftend, zartbissig und mit schwarzen Bläschen besprenkelt. Bereitwillig zeichnet Enzo Diagramme auf die Servietten, um zu illustrieren, wann der Germteig seinen Höhe(!)punkt überschreitet. Das ist aber noch lang nicht alles: Das Wichtigste am "Kulturgut Pizza", so Coccia, seien ja eigentlich die "Pummarole", die Paradeiser. Ob aus San Marzano, Corbara, Piennolo oder Pachino, ob frisch, halbgetrocknet, gebacken oder eingedost: Stundenlang kann er über solche Details monologisieren.

Pizzamachen ist Enkelsache

Auffällig oft sind es Pizzaioli der dritten Generation, die den Backlappen aus den Tiefen traditionsfester Familienpizzerien ins Experimentelle heben wollen. Die neuen neapolitanischen "Pizzartisti" sind zwischen Teig- und Mozzarellakugeln groß geworden, patschten frühzeitig auf ihrem Germbatzen herum und belegten ihn nach Gusto. Ihr Vorbild war der Opa mit seiner "Passione" und seiner Prinzipientreue, was Tradition, Qualität und Arbeitsethos angeht.

Gino Sorbillo etwa haut täglich über 1000 Pizzen raus - jede eine Zierde ihrer Rasse. "Opa" war in seinem Fall jedoch Tante Esterina, die arbeitsame Älteste von 21 Pizzabäckerkindern. Wenn Gino nicht den Pizzaschieber schiebt, Pizza unterrichtet oder im Ausland Teig wirbelt, experimentiert er in Esterinas elegant zum Pizzastudio umgebauter Wohnung herum. Mit verschiedenen Feuerholzsorten (Kastanie und Kirsche), verschiedenen Backtemperaturen und mit einem, räusper, gasbefeuerten Pizza-Ofen. "Der macht die Pizza mobil", meint er. "Und unabhängig vom Holz, also etwa in der Wüste." Ginos Brillenblick wird träumerisch.

Pizza, Forschung und Gastfreundschaft

Ein echter Enkel ist auch Franco Pepe; er nennt sich Brotmacher. Und gibt seinem Lokal im Vorort Caiazzo "Pepe in Grani" den Untertitel "Pizza, Forschung und Gastfreundschaft". Beim "professore" gibt's keine Maschinen, seine Pizze sind reine Armarbeit. Die Mehle und Mahlgrade, mit denen er in seinem Labor herumstaubt, sind geheim, seine Sauerteiglaibchen suhlen sich zwölf bis 24 Stunden in kühlen Holzladen, bevor sie geplättet werden.

Franco Pepe hat den Pizzateig nach Art der Alten - das Familienlokal liegt einen Steinwurf entfernt - zu neuen, luftigen Höhen geführt, um dem Belag besser huldigen zu können. Ihm kommen nur Früchte der caiatinischen Heimaterde auf den Fladen: Trüffeln, Schwarzschweinwurst, Origano, Oliven, Mozzarella - alles von um die Ecke. Für Kreativität ist dennoch Platz - so rekonstruiert er neapolitanische Nudelklassiker zu Pizza: Aglio, Olio, Peperoncino etwa, Pasta Ceci mit Kichererbsen vom Nachbaracker oder Pasta Patate. Pepe hat einen ausgestorbenen Dorfkäse, den Conciato Romano zu neuem Leben erweckt. Den verpizzt er - Gipfel der Extravaganz - mit frischen Feigen. So weit der Enkel. Man darf gespannt sein, wie ultra der nach dem Opa benannte Sohn Stefano noch gehen wird. (Una Wiener, Rondo, DER STANDARD, 26.4.2013)