Möglicherweise leiden all diese Diskussionen, ob der österreichische Bürger nun mehr "direkte Demokratie", mehr politische Mitsprache will (aber von den verstockten Altparteien nicht bekommt) unter einem kräftigen Missverständnis.

Möglicherweise will ein Großteil des Wahlvolks gar nicht mehr Partizipation am politischen Prozess. Die meisten Leute wollen vielleicht nur gut regiert werden: halbwegs effizient, halbwegs ehrlich, halbwegs korruptionsfrei, halbwegs lösungsorientiert, halbwegs gerecht, auch halbwegs unterhaltend. Sie verlangen etwas, wofür es den Terminus technicus "good governance" gibt (der übrigens genauso in der Unternehmensführung wie in der Regierungspolitik gilt).

Der aktuelle Bürgerverdruss speist sich aus der Erkenntnis, dass die gegenwärtige politische Klasse keine "good governance" abliefert. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass nun sehr viele Bürger die Sache selbst in die Hand nehmen wollen. Dieses Motiv gibt es zwar häufig, wenn es um überschaubare, an der Lebenswirklichkeit bestimmter Bürger orientierte Fragen geht.

Das Volksbegehren "Veto gegen Temelín" etwa erreichte 2002 immerhin rund 915.000 Unterschriften und steht auf Nummer sechs der Rangliste. Jedoch scheinen überwölbende, abstrakte Themen wie "Mehr Demokratie" geringere Sogkraft auszuüben. Das aktuelle Volksbegehren "Demokratie jetzt!", initiiert von honorigen Altpolitikern, erreichte mit rund 70.000 Unterschriften und dem 37. Platz das zweitschlechteste Ergebnis bisher.

Es liegt aber nicht nur am mangelnden Interesse der Bürger an solchen Überbau-Themen. Manche Ideen für "mehr direkte Demokratie" sind einfach nicht gut. Ein Kernpunkt dieses Volksbegehrens war die Einleitung einer Volksabstimmung, deren Ergebnis verpflichtenden Charakter hat, wenn mehr als 350.000 Unterschriften erreicht werden. Das Land hätte demnach mit " Ja"/ "Nein" über die Inhalte von Jörg Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren von 1992 (417.000 Unterschriften) abstimmen müssen. Bei "Ja" wäre das dann ohne weitere Debatte zum Gesetz geworden.

Oder das 2004 von der oberösterreichischen SPÖ initiierte " Pensionsvolksbegehren" mit 628.000 Unterschriften. Das Motto dieses Volksbegehrens war: "Gegen Pensionsraub und für gerechte Pensionen". Da soll man dann mit "Ja" oder "Nein" stimmen.

Dieser Automatismus, den die ÖVP stark propagiert (allerdings erst bei 650.000 Unterschriften), die SPÖ schwächer, bedeutet nicht nur Aushöhlung des Parlaments und der repräsentativen Demokratie; er ist auch unpraktikabel und kontraproduktiv. Wie soll man eine komplexe Materie wie Pensionsreform in ein binäres System von "Ja"/"Nein" pressen? Wer garantiert, dass ein daraus resultierendes Gesetz nicht sitten-, menschenrechts-und verfassungswidrig ist? Oder auch nur ein populistischer Unfug? Wozu gibt es dann noch Regierung und Parlament?

Die Krise des gegenwärtigen Regierungssystems muss anders bekämpft werden. Davon demnächst mehr. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 24.4.2013)