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Katherine Russell Zarnajew wollte die Welt kennenlernen.

Foto: AP Photo/Katie Zezima

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Trauer um den getöteten Polizisten am Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT: Eine Studentin nimmt Abschied. Die Zarnajew-Brüder sollen laut US-Behörden für den Mord verantwortlich sein.

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Sie wolle ans College und zum Friedenskorps, schrieb Katherine Russell ins Jahrbuch ihrer High School, 2007, als sie umreißen sollte, wie sie sich die nähere Zukunft vorstellt. So ähnlich dürfte es hunderttausendfach in Schuljahrbüchern stehen. Ein Freiwilligeneinsatz beim Peace Corps, um in Guatemala eine Bibliothek aufzubauen oder Aidskranke in Uganda zu betreuen, ist etwas, was viele junge Amerikaner als selbstverständlich ansehen, zumal im liberalen Nordosten, der Heimat der Kennedy-Familie, auf deren Initiative das Hilfswerk einst gegründet wurde. Katherine Russell, so kann man den Eintrag interpretieren, brannte darauf, die Welt kennenzulernen, fremde Kulturen, andere Denkweisen.

An der High School in North Kingstown, einem beschaulichen Städtchen im Küstenstaat Rhode Island, war sie bekannt für ihre Zeichenkünste; ihre Kunstlehrerin sprach von beachtlichem Talent. Sie spielte Saxofon und machte im Tanzclub mit. Alles Hobbys, die Freunde und Nachbarn sagen lassen, Katy sei, wie es ein wenig phrasenhaft heißt, ein All-American-Girl gewesen, was eigentlich nur bedeuten soll: völlig normal, nichts Auffälliges.

Kennenlernen in einem Nachtclub

2008 lernte das All-American-Girl Tamerlan Zarnajew kennen, in einem Nachtclub, in den eine Freundin sie mitgenommen hatte. Katherine, Tochter eines Arztes und einer Krankenpflegerin, studierte zu dieser Zeit Kommunikationswissenschaften an der Bostoner Suffolk University.

Man traf sich, kam sich näher. Irgendwann trennte sich Tamerlan von der portugiesisch-italienischen Geliebten, die er für ein Fotoessay über seine Boxerkarriere noch als Beleg dafür angeführt hatte, dass er Amerikaner nicht verstehe und deshalb keine amerikanischen Freunde habe. Am 21. Juni 2010, in der Moschee Masjid al-Quran in Dorchester in der Nähe von Boston, heirateten Katherine und Tamerlan. Ein Mädchen wurde geboren, Zahara, heute zweieinhalb.

Katherine verdiente Lebensunterhalt

Wenn man glauben darf, was Nachbarn über das Paar erzählen, dann war es vor allem Katherine, die den Lebensunterhalt der jungen Familie verdiente. 70 bis 80 Stunden pro Woche soll sie Alte und Behinderte in deren Wohnungen betreut haben, während sich Zubeidat, ihre Schwiegermutter, um die kleine Tochter kümmerte.

Aus praktischen Gründen wohnte das Paar bei seinen Eltern, an der Norfolk Street in Cambridge, nicht weit von der Eliteuniversität Harvard. Vielleicht lag es an Tamerlan, vielleicht eher an dessen Mutter, dass Katherine ihr Haar bald unter einem Kopftuch verbarg. Ob Zubeidat den Sohn zu religiöser Strenge anhielt oder ob es umgekehrt war, darüber kursieren unterschiedliche Versionen.

Scheidung der Schwiegereltern

Jedenfalls hielt Anzor, Zubeidats Gatte, von fünfmaligem Beten am Tag ebenso wenig wie von den weiten Gewändern, in die seine Frau sich auf einmal hüllte. Die Folge war, vor zwei Jahren, die Scheidung, einhergehend mit Anzors Rückkehr in die Kaukasusrepublik Dagestan. Und ob Katherine Russell, nunmehr Zarnajewa, auf Druck Tamerlans zum Islam fand, ob sie die Neugier auf neue Welten Gefallen an der bis dato fremden Religion gewinnen ließ, auch das bleibt vorerst unklar.

"Sie glaubt an die Lehrsätze des Islam, sie glaubt an den Koran", ließ Amato de Luca, ihr Anwalt, in einer sehr knappen Presseerklärung wissen. Von den Anschlagsplänen ihres Mannes, fügt der Advokat hinzu, habe sie zu keiner Zeit auch nur das Geringste gewusst. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 24.4.2013)