Ein junger Knochenbrecher bekommt Besuch von einer Unbekannten: Lee Jeong-jin (re.) und Cho Min-soo in "Pietà".

Foto: Festival Venedig

Wien - In einem heruntergekommenen, alten Viertel von Seoul fristen kleine Handwerker in ihren windschiefen Geschäftslokalen, hinter scheppernden blechernen Rollläden und bei schlechter Beleuchtung ein ärmliches Dasein. Nicht wenige von ihnen lassen sich zwecks vorübergehender Verbesserung der Lage auf einen riskanten Handel ein: Sie erhalten von einem Geldverleiher Kredit, wenn sie zur Besicherung ihrer Schulden eine Unfallversicherung unterzeichnen. Werden sie dann mit den Rückzahlungen säumig, kommt ein übellauniger junger Mann vorbei und sorgt für einen Unfall.

Ende der Auszeit

Mit Pietà, seinem achtzehnten Kinofilm, meldete sich der koreanische Filmemacher Kim Ki-duk vergangenen Herbst endgültig aus einer selbst auferlegten Auszeit zurück. Diese hatte er in dem Selbstporträt Arirang (2011) dokumentiert. Es zeigte den heute 52-Jährigen als Eremiten in einer einfachen Hütte, wo er neben der Bewältigung des Alltags über sein Werk und das Filmemachen als solches sinnierte. Das zentrale Motiv seiner Arbeiten, der Komplex Schuld und Sühne, kam auch dabei nicht zu kurz - nachdem eine Schauspielerin bei einem Dreh fast zu Tode gekommen wäre, hatte der Regisseur einen Zusammenbruch. In Pietá ist dieses Motiv jetzt neuerlich Dreh- und Angelpunkt der Erzählung.

Dem jungen Knochenbrecher (Lee Jeong-jin) stellt sich eines Tages eine Frau (Cho Min-soo) in den Weg. Er versucht sie abzuschütteln, aber auch von körperlichen Malträtierungen lässt sie sich nicht beirren. Stattdessen gibt sie sich bald als seine leibliche Mutter zu erkennen. Als jene Frau, die ihren Neugeborenen einst verlassen hatte und nun Verantwortung übernehmen will - auch für das gegenwärtige elende Leben, das ihr Sohn (deshalb) führt.

Die Aufnahmen in den schmutzigen Ladengässchen, im Brachland am Flussufer oder in Betonskeletten wirken nahe am Dokumentarischen. Die Konfrontationen der beiden Hauptfiguren spitzt Kim dagegen immer wieder in stilisierten, melodramatisch anmutenden Groß- und Nahaufnahmen zu. Dazwischen greift der Regisseur auf altbekannte Drastik zurück: Egal ob der Held morgens im Bad über blutige Hendlinnereien stolpert oder ein Türblatt hart auf die Hand im Türspalt klatscht, ob es Ohrfeigen hagelt oder ein schon am Boden Liegender noch einen extra Schienbeinbruch zugefügt bekommt - auch der Zuschauer wird in Pietà nicht geschont.

Allerdings bleiben Sinn und Zusammenhang all dieser ausgestellten Grauslichkeiten diesmal ein wenig zu vordergründig. Der schöne Konnex von Schuld und Schulden gerät bald ins Hintertreffen zugunsten von eher bescheidenen Variationen auf das Mutter-Sohn-Thema, bei denen die klassische - katholisch abgesegnete - Rollenverteilung weitgehend intakt bleibt.

Von verhängnisvoll aneinandergebundenen Charakteren hat Kim Ki-duk in früheren Filmen schon zwingender und weniger klischeehaft erzählt (The Isle, 2000, oder Bin-jip, 2004). Nichtsdestotrotz hat Pietá auch vehemente Fürsprecher gefunden - nicht zuletzt in der Jury der Filmfestspiele von Venedig, die dem Regisseur vergangenen September für sein Spielfilm-Comeback umgehend den Hauptpreis zuerkannte. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 24.4.2013)