"Einen Kurswechsel kann man nur dann machen, wenn man dem Steuermann sagt: "Reiß einmal das Ruder herum!" Oder man tauscht den Steuermann aus."

Foto: derstandard.at/pumberger

"Ich als Übermittler der Botschaft werde dann geprügelt, bekomme Drohbriefe, oder es werden weiße Kreuze an meine Haustür gemalt. Ich bin der Überbringer der Botschaft. Mit der Botschaft will man sich in Tirol immer noch nicht auseinandersetzen."

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Der Kabarettist und Autor Markus Koschuh beschäftigt sich in seinem Programm "Agrargemein" mit den Agrargemeinschaften in Tirol. Im Gespräch mit derStandard.at spricht Koschuh über die Verbindung der Politik mit den Agrargemeinschaften und seine Erfahrungen bei der Recherche und den Aufführungen des Kabarettsprogramms.

derStandard.at: Eines der Programme, die Sie vor der Tiroler Landtagswahl spielen, heißt "Landtagsmahl". Wie bekömmlich war der letzte Landtagswahlkampf?

Koschuh: Mir hat es den Magen nicht verdorben, aber ich habe schon manchmal beklommen lachen können. Es ist schaurig, was in Tirol passiert. Man hat es gut geschafft, die hintergründig brodelnden Themen wie in einem Druckkochtopf zu verschließen und so die Wahl in trockene Tücher zu bringen. Lediglich das Thema Agrargemeinschaften ist immer wieder einmal hochgekocht.

derStandard.at: Und was war besonders versalzen?

Koschuh: Wenn ich mir das Demokratieverständnis der ÖVP anschaue, die es in einer Landtagssitzung verhindert hat, dass 20 von 36 Abgeordneten ein Gesetz über die Agrargemeinschaften beschließen dürfen, dann ist das wirklich ein arges Versalzen der Demokratiesuppe. Das ist ganz undemokratisch gewesen von Landtagspräsident Herwig Van Staa.

derStandard.at: Wie würden Sie einem Nichttiroler erklären, was die Agrargemeinschaften sind?

Koschuh: Die ÖVP Tirol hat vor einigen Jahrzehnten erkannt, dass es immer weniger Bauern gibt. Dann ging man an den Machterhalt - und in Tirol hat der Macht, der Grund besitzt. Eilig wurden sogenannte "Agrargemeinschaften" gegründet, und eine Landesbehörde hat diesen Agrargemeinschaften Gemeindegrundstücke ins Eigentum übertragen. Die Gemeinde Ischgl etwa stand über Nacht ohne einen Quadratmeter Grundbesitz da. Heute betreiben diese Agrargemeinschaften Gewerbegebiete, Schottergruben und sogar eine Autobahnraststätte. Dieses höchstgerichtlich kritisierte Vergehen an der Verfassung gehört repariert.

derStandard.at: Sehen Sie in naher Zukunft eine Möglichkeit dazu?

Koschuh: Im Landtag hätte man ein Rückübertragungsgesetz beschließen können, das die gesamte Opposition und die SPÖ eingebracht haben. Es waren 16 dagegen und 20 dafür, dass man es auf die Tagesordnung hievt. Mit diesem Gesetz hätte man Rechtssicherung herstellen können. Das hat man verabsäumt, weil die ÖVP gesagt hat, das sei ein Wahlkampfgag. Den Wahlkampfgag spielt die ÖVP seit fünf Jahren.

derStandard.at: Was bedeutet es für Gemeinden, die die Gründe nicht selbst nutzen können?

Koschuh: Wenn ich Bürgermeister einer solchen Gemeinde bin, bin ich Bürgermeister ohne Grund und Boden. Ischgl ist ein brutales Beispiel. Der ehemalige Bürgermeister Erwin Aloys hat einmal gesagt, dass er Bürgermeister ohne Grund und Boden sei, weil alles an die Agrargemeinschaft geflossen ist - Schwimmbad, Musikpavillon, alles. Das hat dazu geführt, dass es in den Gemeinden Schattenregierungen gibt. Wenn der Bürgermeister Bauerweiterungen will, muss er zur Agrargemeinschaft betteln gehen, und wenn die das gutheißt, passiert es - mit einer Abgeltung. Da ist immer Geld im Spiel. Es gibt gewählte Volksvertreter, die sollten auch einen Spielraum haben, Dinge umzusetzen.

derStandard.at: Inwieweit untergräbt das demokratische Strukturen?

Koschuh: Das untergräbt sie sehr brutal und führt zu tiefen Gräben in den Gemeinden. Ich war vor ein paar Tagen in Jerzens und habe "Agrargemein" gespielt. Dort gibt es zwei ÖVP-Listen, die eine heißt "Miteinander Füreinander", die andere heißt "Unser Jerzens". Die eine ist die ÖAAB-Liste, die andere die Bauernbund-Liste. Und die bekriegen sich. Die Gemeinde ist überschuldet, die Jerzener Agrargemeinschaft Tanzalpe schreibt aber jedes Jahr Gewinne. Wenn man es rückübertragen würde, könnte man ab dem nächsten Tag Gebühren senken oder einen Spielplatz bauen - was in Jerzens ein Thema ist. Diese Agrargemeinschaft Tanzalpe ist aus Gemeindegrund entstanden, das schludrige Flurverfassungsgesetz ermöglicht es, dass man auf Zeit spielt. Das führt zu tiefen Gräben, die Risse gehen durch die Familien.

derStandard.at: Inwiefern tragen die Agrargemeinschaften dazu bei, dass die ÖVP diese mächtige Position hat?

Koschuh: Geld regiert leider die Welt, die Agrargemeinschaften sind ein dankbares Konstrukt. Aber wenn sie aus Gemeindegrundstücken entstanden sind, fängt es an, ein bisschen zu stinken. Wenn man sich anschaut, wie Agrargemeinschaften zu Geld gekommen sind, dann haben diese aufgrund ihres finanziellen Hintergrundes eine gestärkte Machtposition im Bauernbund, der lange Schutzpatron über diese Agrargemeinschaften war. Der ehemalige Bauernbund-Chef und Landesrat Anton Steixner hat das lange verteidigt. Erst nach dem Verfassungsgerichtshof-Urteil 2008 hat auch er erkennen müssen, da müssen wir zurückrudern und einen gesetzeskonformen Zustand herstellen - mit Tempo 100 war er aber nie unterwegs.

derStandard.at: Wie trägt das Thema Agrargemeinschaften dazu bei, dass Listen aus der ÖVP entstehen?

Koschuh: Das war im Jahr 2008 der Fall mit der Liste Dinkhauser. Die anderen Abspaltungen haben mit den Agrargemeinschaften wenig zu tun, sie sind auch mit der ÖVP an sich sehr unzufrieden. In Tirol werden nur Budgets fortgeschrieben. Es gibt wenige kreative Ansätze, es herrscht in vielen Bereichen Stillstand. Das ist der eigentliche Grund, warum Vorwärts Tirol entstanden ist.

derStandard.at: Es gibt tausende Agrargemeinschaften. Wie viele davon entstanden aus Gemeindegrund?

Koschuh: Es gibt in Tirol rund 2.000 Agrargemeinschaften, an manchen Orten auch mehrere. Matrei in Osttirol hat 17 Agrargemeinschaften. Von diesen rund 2.000 Agrargemeinschaften sind ungefähr 250 bis 270 aus Gemeindegrundstücken entstanden. Bei diesen war aber ganz viel Grund im Spiel. Das sind 200.000 Hektar, die von den Gemeinden zu den Agrargemeinschaften verschoben wurden. Da ist sicher auch Ödland oder Gebirge dabei, wenn ich im Schnitt aber nur einen Euro annehme als Preis, bin ich bei zwei Milliarden Euro Grundwert, der da im Spiel ist. Das zeigt auch, wie viel Entlastungspotenzial für verschuldete Gemeinden da ist. Neustift im Stubaital hat beispielsweise eine Pro-Kopf-Verschuldung von 1.400 Euro. Die Agrargemeinschaft Neustift hat 2,5 Millionen Euro Rücklagen. Wenn ich das gegenrechne, sind die Schulden von heute auf morgen halbiert. Man sieht an diesem Beispiel, welche Dimensionen im Raum stehen.

derStandard.at: Sie haben das Programm nicht nur im Treibhaus in Innsbruck gespielt, sondern auch in ländlichen Gemeinden. Wie ist es dort aufgenommen worden?

Koschuh: Überraschend gut. Es gab natürlich in den Gemeinden vorher Stunk. Es sind Plakate heruntergerissen worden, man erhält vereinzelt Drohanrufe, manche verlassen wutentbrannt den Saal. Wir sind dorthin gegangen wo es am meisten brennt, beispielsweise nach Mieders. Das ist jene Gemeinde, die 2006 alles ins Rollen gebracht hat mit einem Musterbescheid eines Behördenleiters, vor dem ich den Hut ziehe. Er hat 20 Jahre dabei mitgespielt, die Agrargemeinschaften zu schützen, und hat dann gesagt, er kann da nicht mehr mitmachen. Die Folge des Bescheids: Die Agrargemeinschaft Mieders musste der Gemeinde Mieders 200.000 Euro zahlen. Ansonsten war es so, dass, wenn Gemeinden relativ nahe beieinander waren, die Besucher aus Gemeinde A in die Gemeinde B zum Zuschauen gefahren sind und umgekehrt. Das war recht interessant zu sehen.

derStandard.at: Sie haben in den Gemeinden recherchiert, wie war da das Mitteilungsbedürfnis?

Koschuh: Es war anfangs schwierig, weil man in Tirol Angst vor der eigenen Courage hat. Eine ÖVP vermag natürlich die Karriere der Tochter oder des Sohnes im Landesdienst so oder so zu beeinflussen. Wenn ich mit Agrargemeinschafts-Obleuten geredet habe - die namentlich nicht genannt werden wollen -, haben ich ganz oft den Satz gehört: "Aber bitte, von mir haben Sie das nicht." Ich als Übermittler der Botschaft werde dann geprügelt, bekomme Drohbriefe, oder es werden weiße Kreuze an meine Haustür gemalt. Ich bin der Überbringer der Botschaft. Mit der Botschaft will man sich in Tirol immer noch nicht auseinandersetzen.

derStandard.at: Zeigen diese Drohungen auch, welche Brisanz in dem Thema steckt?

Koschuh: Das sind einzelne Irre, da ist sicher kein System dahinter, aber es zeigt ein bisschen das Klima.

derStandard.at: Kritiker sagen, dass die Umsetzung dieses Gesetzes eine Enteignung der Agrargemeinschaften wäre?

Koschuh: Es ist keine Enteignung. Es sind weder damals die Gemeinden enteignet worden, noch würden jetzt die Agrargemeinschaften enteignet. Der Verfassungsgerichtshof hat den Begriff des typischen und atypischen Eigentums geschaffen. Es würden im Fall der Rückübertragung an die Gemeinden beide Seiten Eigentümer bleiben, nur wären die Gemeinden wieder Hausherr und könnten sagen, was passieren soll. Und die Agrargemeinschaften wären Hausmeister. Man kann die Agrargemeinschaften auch nicht enteignen. Das wäre absurd. Man kann nur etwas enteignen, von dem ich weiß, dass es ihm gehört. Aber es gehört weder den einen noch den anderen. Es ist eine Tiroler Schildbürgercausa. Ich war immer der Meinung, dass ein Fahrrad dem oder dem gehört. In Tirol kann es beiden gehören.

derStandard.at: Ein Thema im Wahlkampf ist Wohnraum. Welche Rolle spielen die Agrargemeinschaften?

Koschuh: Wenn man Bauland mobilisieren will, brauche ich Grundstücke, über die ich als Gemeinde verfügen kann. Wenn diese momentan den Agrargemeinschaften übertragen worden sind, wenn man diese Grundstücke von der Agrargemeinschaft kaufen muss, die eigentlich mir gehören, dann verteuert das das Bauen in Gemeinden. Wenn man den Gemeinden den Grund zurückgibt, wird das Bauen billiger. Das ist ein Hebel, um Bauen billiger zu machen. Ein anderer ist die Bauordnung.

derStandard.at: Neben den Agrargemeinschaften ist auch die Listenvielfalt Thema im Wahlkampf. Eine Tiroler Spezialität?

Koschuh: In Tirol hat man sich immer schon - vor allem auf Gemeindeebene - davor gescheut, SPÖ oder ÖVP im Listennamen zu haben. Die aktuelle Situation ist eine Besonderheit, weil wir in Tirol einen besonders schwachen Landeshauptmann haben, der es nicht geschafft hat, die ganzen Bünde zu einen. Diese Aufsplitterung zeigt auch, dass ganz viele sich nicht mehr mit der ÖVP identifizieren wollen. Das ist ein großes Zeichen der Schwäche, wir haben fünf Listen, die der ÖVP zuzuschreiben sind.

derStandard.at: Was bedeutet das für die ÖVP?

Koschuh: Das ist ein innerparteilicher Zerfallsprozess. Bei der Wahl zum Landesparteiobmann am ÖVP-Parteitag sind die WahlhelferInnen mit transparenten Plexiglasurnen durch die Bierbänke marschiert und haben die schon vorgedruckten Stimmzettel mit Günther Platter eingesammelt. Sieben haben sich getraut, seinen Namen zu streichen, darum hat er nur 98,3 Prozent der Stimmen erhalten. Von einer geheimen Wahl war das weit entfernt.

derStandard.at: Erklärt sich das durch die Nervosität?

Koschuh: Natürlich. Man rührt noch einmal Beton an, will die Reihen schließen und ein möglichst gutes Wahlergebnis erzielen, das man medial transportieren kann. Das ist ein Schmafu. Die ÖVP ist komplett zerstritten und zersplittert.

derStandard.at: Es ist aber nicht nur die ÖVP in der Landesregierung, sondern auch die SPÖ. Welche Rolle sehen Sie für die SPÖ?

Koschuh: Die SPÖ war immer ein dankbarer Regierungspartner der ÖVP. 2003 hat sie eine absolute Mehrheit gehabt, hat die SPÖ dazugeholt - auch um Konflikte zwischen den Bünden abzufedern. Die SPÖ ist immer noch auf die Regierungsseite umgefallen. Die SPÖ hat sicher auch einigen Dreck am Stecken, manchmal konnte sie ein Korrektiv sein, das muss man ihr auch zugestehen. Seit einem halben Jahr, seit man sich von Hannes Gschwentner gelöst hat, ist es anders. In der SPÖ ist ein bisschen eine Aufbruchsstimmung zu spüren.

derStandard.at: Was wird sich nach Landtagswahl ändern?

Koschuh: In Tirol wird sich geändert haben, dass 65 Prozent zur Wahl gegangen sind, ich fürchte, das es weniger werden. Die Politikverdrossenheit ist hoch in Tirol. Vielleicht wird sich ändern, dass man sich mehr zuhört. Es wird vielleicht ein Günther Platter nicht mehr Landeshauptmann sein. Ansonsten wird sich in Tirol leider so schnell nichts ändern.

derStandard.at: Sie sagen in ihrem Programm: "Der Karren ist im Dreck, Tirol muss neu geboren werden." Was muss dafür passieren?

Koschuh: Einen Kurswechsel kann man nur dann machen, wenn man dem Steuermann sagt: "Reiß einmal das Ruder herum!" Oder man tauscht den Steuermann aus. Für einen radikalen Wechsel in Tirol müsste es zu einer Regierung ohne ÖVP kommen, oder es gibt einen starken Koalitionspartner, der der ÖVP auf die Finger klopft. Es wäre nichts Schlimmes, wenn die ÖVP ein paar Jahre in Opposition ist. Die Berge in Tirol werden weiter stehen. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 27.4.2013)