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Junge Musliminnen sind der "Motor der Entwicklung". 

Foto: REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Wien - Jeder zweite gläubige Muslim in Österreich ficht einen Konflikt aus, und zwar zwischen den Vorschriften seiner Religion und den staatlichen Gesetzen. Immerhin noch 38 Prozent sind es bei den weniger Gläubigen oder Nichtgläubigen.

Das ist unter anderem das Ergebnis einer Studie, die dem STANDARD vorliegt und die von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) in Auftrag gegeben wurde. Erarbeitet haben sie Politikforscher Peter Ulram, Pastoraltheologe Paul Zulehner und Meinungsforscher Peter Hajek.

Befragt wurden - je nach Teilbereich - 396 bis tausend Musliminnen und Muslime. Neun von zehn der Befragten bezeichnen sich selbst als sehr oder eher gläubig - während sich 73 Prozent der Muslime selbst als religiös einschätzen, tun dies nur 38 Prozent der Christen in Österreich.

Speziell nach möglichen Konflikten zwischen dem staatlichen und islamischen Recht befragt, meinen 74 Prozent der tausend Befragten (500 mit türkischem Migrationshintergrund, 500 mit bosnischem), das österreichische Recht sei auch für gläubige Muslime angemessen.

25 Prozent wollen "tragende Rolle" für Islam

Befragt nach der Rolle des Islam, wollen 25 Prozent, dass der Islam in der Gesellschaft eine tragende Rolle spielt. Eine kleine Gruppe, nämlich fünf Prozent, wünscht sich, dass der Islam die Rechtsordnung und den Staat dominiert. Das beziehe sich jedoch vor allem auf das Familien- und Erbrecht (acht Prozent), weniger auf das Strafrecht (drei Prozent), erläutert Forscher Peter Ulram.

Alarmierend scheinen die Antworten auf die Frage nach der Benachteiligung: So fühlen sich sechs von zehn Muslimen in Österreich wegen ihrer Religion benachteiligt (15 Prozent immer oder meistens, 46 Prozent eher schon). Interessant: Das Benachteiligungsgefühl nimmt mit steigendem Alter zu.

Jüngere fühlen sich eher in Österreich zu Hause

Denn je mehr sich Muslime in Österreich zu Hause fühlen, umso seltener fühlen sie sich persönlich benachteiligt. Und je jünger die Befragten, desto eher fühlen sie sich in Österreich zu Hause: 35 Prozent der unter 30-Jährigen nämlich völlig, 29 Prozent der über 50-Jährigen überhaupt nicht. Gesamt gesehen fühlen sich in Österreich 58 Prozent völlig und eher zu Hause, eher weniger oder überhaupt nicht 41 Prozent. Wichtig bei der Frage nach gelungener Integration und Heimatgefühl ist auch das Bildungsniveau.

Eine große Differenz gibt es zwischen der Selbstwahrnehmung der muslimischen Bevölkerung und der Fremdwahrnehmung durch die einheimische Bevölkerung. Zu diesem Schluss kommt Paul Zulehner. So würden neunzig Prozent der Muslime den Islam als friedliche Weltreligion sehen, hingegen tun das nur um die 40 Prozent der Österreicher.

Kurz will "Zusammentreffen erleichtern"

Die Frage, die sich für die Zukunft stelle, sei laut Zulehner: "Wie kann man einander besser kennenlernen?" Eine angemessene Politik könne dazu führen, dass beide Kulturen voneinander lernen und sich eine "dritte neue Kultur" in Österreich entwickelt.

Staatssekretär Kurz verwies darauf, dass das Dialogforum Islam weiterarbeiten werde. Außerdem werde am Mittwoch eine Rot-Weiß-Rot-Fibel präsentiert, die "Neuzuwanderern von Anfang an vermittelt, wie Österreich tickt", erklärt Kurz. Klar sei aber: Die Kommunikation müsse verbessert, das Zusammentreffen erleichtert werden. "Je weniger man sich kennt, desto schlechter ist das Bild", betont Zulehner.

Kurz ergänzt: Ein Beispiel für gelungenen Austausch sei der jährliche offene Tag der Moscheen - viele Menschen würden durch das Besuchen des sonst verschlossenen Ortes die Angst davor verlieren, was da im Verborgenen passiert, sagt Kurz.

Junge Musliminnen "integrationsfähiger" als Burschen

Deutliche Unterschiede gibt es zwischen erster und zweiter Generation. Als besonders integrationsfähig gelten junge Musliminnen - im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants. "Sie sind ein Musterbeispiel dafür, wie Integration funktionieren kann", sagt Zulehner - und dabei entwicklungsbereiter als österreichische Frauen.

Das liege daran, dass für viele Migration mit Freiheitschancen verbunden sei. Die jungen Musliminnen würden so den "Motor der Entwicklung" bilden. Junge Muslime hingegen täten sich schwerer, hier gebe es ein "besorgniserregendes Potenzial durch eine Identitätssuche", sagt Zulehner.

Integrationsfiguren fehlen

Es fehlten Integrationsfiguren, die "ihren Glauben wie auch die österreichischen Vorstellungen unter einen Hut bringen", ergänzt Kurz. Ein Viertel der Befragten wurde in Österreich geboren, über die Staatsbürgerschaft verfügen 63 Prozent. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, 23.4.2013)