Kriemhild mit Engel: Iréna Flury, R. Kinkel.

Foto: Rita Newman

"Uns ist in alten maeren wunders vil geseit": Der "Nibelungen" Anfang gehört im Theater im Zentrum einem Paar geflügelter Engel. Gerald Maria Bauer (Regie) und Thomas Birkmeir verdankt das trostloseste Heldenlied der Deutschen eine neue Zukunftsperspektive. "Ruodi" und "Siegi" sind Brünnhilds und Kriemhilds ungeborene Söhne. Als Zeugen überwachen sie den Ausgang einer Sage, deren versöhnlich stimmendem Schluss sie ihr Leben verdanken.

Das "Minnen" steht ganz klar im Mittelpunkt der von Bauer schmissig erzählten Handlung. Siegfried (Johannes Gaan) platzt als tumber Terrorist in die Wormser Gesellschaft, deren Personal (Ute, Gunter, Hagen) einem apokryphen Shakespeare-Königsdrama entliehen scheint. Kriemhild (Iréna Flury), mehr noch aber der sportiven Brünnhild (Sara Livia Krierer) eignet eine würdevolle Kratzbürstigkeit. Der Disput der Königinnen auf den Stufen des Wormser Doms eskaliert prächtig. Regisseur Bauer gelingt hier sogar ein kleiner szenischer Essay über die Manipulation des Volkswillens. Von kühner Mimen Witzen mögt Ihr nun Wunder hören sagen:

Die Wormser spucken zwanghaft auf den Boden, wenn die Rede auf "Ausländer" kommt. Siegfried, dem das Schwert Balmung locker in der Scheide sitzt, wird als nützlicher Idiot gebraucht und nach erledigter Aufgabe hinterrücks gemeuchelt.

Das Ensemble zeigt sich spielfreudig und schüttelt die Bonmots nur so aus den Ritterwämsern. Allein der Schluss mit seinem Aufruf zur allseitigen Menschheitsverbrüderung (und Verschwesterung!) ist ein wenig dunstig geraten. Das ist der Nibelungen Not nicht: Im Theater der Jugend wird ein uralter Stoff neuartig und hochwertig erzählt. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 20./21.4.2013)