Mit Theaterglatze im richtigen Leben: Schauspieler Philipp Hochmair spielt sich in "Der Glanz des Tages" auch ein wenig selbst.

Foto: Stadtkino
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Wien - Unterschiede zwischen den Männern gibt es zuhauf, doch sie haben auch gewisse Gemeinsamkeiten. Den Applaus eines begeisterten Publikums wissen beispielsweise beide zu schätzen. Philipp, Bühnenschauspieler, ist am Hamburger Thalia-Theater gerade in die Rolle von Georg Büchners Soldat Woyzeck geschlüpft. Sein Onkel Walter dagegen hat lange Jahre beim Zirkus gearbeitet und dort nicht nur Messer geworfen, sondern auch mit Bären gerauft. In der Garderobe sagt Philipp zu Walter, er wäre auch ein guter Woyzeck, wirke er doch selbst ein wenig wie dieser "gequälte Mensch".

In Der Glanz des Tages, dem neuen, auf der Diagonale mit dem Hauptpreis prämierten Film des österreichischen Regieduos Tizza Covi und Rainer Frimmel, dreht sich alles um Fragen von Spiel und Realität, um Rollen und Identitäten und darum, welche Implikationen aus der Begegnung mit realen oder imaginären Anderen erwachsen. Und das betrifft keineswegs nur die Erzählung. Denn Covi und Frimmel, deren Spielfilme stets einen dokumentarischen Kern aufweisen, haben ihre Figuren aus realen Menschen heraus entwickelt.

Philipp Hochmair ist tatsächlich ein gefragter Theaterschauspieler, der lange zwischen großen Bühnen in Wien und Hamburg gependelt ist, und es war dieser pausenlose Wechsel von Bühnenfiguren, der die Filmemacher zuallererst fasziniert hat. In seinem "Onkel" Walter Saabel, dem mittlerweile pensionierten Zirkusmenschen, trifft Philipp auf ein ebenso reales Gegenüber - bloß dass dessen mehr mit körperlichen Kunststücken verbundene Profession eine praktischere Persönlichkeit geformt hat: Als Artist, sagt Walter, hat er "keine Zeit für Flausen" - und so geradeheraus agiert er auch.

Die Reibung, die aus den beiden Temperamenten und Lebensmaximen hervorgeht, macht einen beträchtlichen Teil des Charmes von Der Glanz des Tages aus. Walter, der immer noch ein frei vagabundierendes Dasein führt und gerne von seinen legendären Zeiten in der Manege erzählt, quartiert sich bei Philipp ein und folgt ihm dann auch nach Wien. Während der Schauspieler in der Beschäftigung mit seinen Rollen völlig aufzugehen scheint - Walter unterstützt ihn beim Einstudieren der Parts -, geht dieser mit Offenheit an seine Umwelt heran. Die Gleichung des Films zielt jedoch auf keine spezifische Wertung ab. Philipp ist süchtig nach Bühnenfiguren und deren Leidenschaften, wogegen Walter an den weniger exponierten Stellen des Lebens schon genug Herausforderungen findet.

Messer und Moral

Covi und Frimmel vermögen ihren Figuren auf unvoreingenommene Weise nahezukommen - eine Qualität ihres künstlerischen Zugangs, der die vorgefundene Realität in die Stoffentwicklung miteinbezieht und schon Filmen wie La Pivellina besondere Glaubwürdigkeit verliehen hat. Der Glanz des Tages verweist nun stärker als die sozialrealistisch geprägten Arbeiten davor auf die eigene Form zurück; er wirkt artifizieller und gebauter, ohne an Überzeugungskraft einzubüßen. Sie zeigt sich beispielsweise im pointiert gesetzten Detail: In einer der komischsten Szenen trainiert Walter seine Messerwerferkunst ausgerechnet an einer Statue, die das Burgtheater von Philipp anfertigen ließ; die latenten Spannungen zwischen den beiden werden daraufhin eine neue Qualität annehmen.

Der Film belässt es nicht beim spiegelbildlichen Porträt, sondern setzt das Spiel in Relation zu einer moralischen Handlung. In der Nachbarwohnung von Philipp lebt eine Familie aus Moldawien, mit zwei Kindern, deren Mutter nicht nach Österreich zurückkehren durfte. Diese Alltagssituation veranlasst ein großherziges Manöver, das die Frage nach Identität und Zugehörigkeit noch einmal anders stellt. Vorbereitet wird es ganz unaufgeregt. Ein batteriebetriebener Pinguin watschelt über den Tisch, fällt er nicht hinunter, geht alles gut. Ein schönes Bild für den leisen Einfallsreichtum dieses Films.  (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD,  20./21.4.2013)