"Die Anzahl an Ehrendoktoraten ist nicht wichtig, sondern von wo sie kommen": Carl Djerassi.

Foto: Karen Ostertag / Albertina

Nicht nur biografisch eine großzügige Geste: "Blau Mantel", 1940. Eines der Werke Paul Klees, die Carl Djerassi der Albertina schenkte. 

Foto: VBK, Wien 2009

In den kommenden Tagen werden gleich zwei Ehrendoktorate an Carl Djerassi verliehen. Die Universität für angewandte Kunst in Wien würdigt am 23. April den Kunstsammler und Kunstförderer Djerassi, der u. a. eine Künstlerkolonie in der Nähe von San Francisco gründete, in der bisher mehr als 2.000 Künstler unterstützt wurden. Und die Sigmund-Freud-Privatuniversiät verleiht dem 89-Jährigen, der als Chemiker die erste Antibabypille entwickelte, am  29. April das Ehrendoktorat für Psychotherapiewissenschaft "in Anerkennung seiner richtungsweisenden wissenschaftlichen Leistungen, die das Leben der Frauen (...) von gesellschaftlichen Zwängen befreit haben".

STANDARD:  Auf wie viel Ehrendoktorate kommen Sie insgesamt?

Djerassi: Mit dem Ehrendoktorat der Freud-Privatuniversität sind es 30. Aber die Anzahl ist nicht wichtig, sondern von wo sie kommen. Und die letzten fünf sind von österreichischen Universitäten. Etwas spät, aber natürlich freue ich mich sehr darüber.

STANDARD:  Welche Bedeutung hat die Sammelleidenschaft an sich?

Djerassi:  Ja, warum sammelt man? Das ist eine Frage, die ich mir in dieser eher späten introspektiven Phase meines Lebens immer häufiger gestellt habe. Ich glaube, am besten habe ich das in einem lyrischen Zweizeiler getroffen: "Warum sollte man sonst sammeln / Wenn nicht, um eine Leere zu füllen?" Ich habe früher jahrzehntelang Kunst gesammelt, und der Grund, warum ich damit aufgehört habe, ist nicht nur, dass an meinen Wänden kein Platz mehr ist, sondern weil ich zu dem Schluss gekommen bin, dass die direkte Förderung künstlerischen Schaffens inzwischen sinnvoller ist als der Erwerb eines vollendeten Werkes.

STANDARD:  Sie sind besonders als Sammler der Werke von Paul Klee bekannt. Welche Beziehung entwickelt man zu einem Künstler, von dem man mehr als 150 Arbeiten besitzt?

Djerassi:  Privatsammler äußern sich nicht gerne zu diesem Thema, vermutlich weil eine solche Sammlung in den meisten Fällen eine gewisse Intimität, eine persönliche Beziehung, ja sogar einen stummen Dialog mit dem Künstler darstellt, was öffentliches Vorzeigen unangebracht erscheinen lässt. Im Grunde handelt es sich um eine Liebesgeschichte, bei der oft der Partner bereits verstorben ist. Ich glaube auch, dass der ernsthafte Sammler zum Interpreten des betreffenden Künstlers wird. Und wenn ein beträchtlicher Teil des Schaffens eines Künstlers in einer Sammlung konzentriert ist, sollte sie der Öffentlichkeit zugänglich sein.

STANDARD:  Sie haben Ihre Klee-Sammlung zu gleichen Teilen dem San Francisco Museum of Modern Art und der Albertina geschenkt. Letzteres ist – auch biografisch gesehen – eine großzügige Geste.

Djerassi:  San Francisco ist die Stadt, die mir als Flüchtling aus dem nationalsozialistisch gewordenen Österreich schließlich Heimat wurde; Wien ist meine Geburtsstadt, mit der ich mich in meinen späten Lebensjahren allmählich wieder ausgesöhnt habe. Aber ich habe immer betont,  dass "versöhnt" weder "vergeben" noch "vergessen" bedeutet, sondern nur, dass es weitergeht.

STANDARD:  Sie werden im künstlerischen Bereich geehrt. Ist die Beschränkung auf Ihren Status als "Mutter" der Pille  überwunden?

Djerassi:  Ja, so scheint es, aber dafür hat es sehr lange gebraucht, auch weil ich im Grunde überall ein Außenseiter bin. Für die Naturwissenschafter habe ich mein angestammtes Gebiet verlassen, und was ich jetzt tue, schätzen die früheren Kollegen nicht so hoch ein wie die Naturwissenschaft. Und für die Literaten und Kunstschaffenden bin ich ein Eindringling. An der Angewandten werden jetzt zum ersten Mal auch in Österreich diese Leistungen hervorgehoben, und das freut mich natürlich sehr. Auch das Doktorat der Sigmund-Freud-Privatuniversität fällt in diese Kategorie, denn da werde ich nicht für meine Forschungen in der Chemie geehrt, sondern hoffentlich unter anderem für die autopsychoanalytischen Aspekte meines literarischen Werks.

STANDARD:  Haben Sie eine besondere Beziehung zu Freud?

Djerassi:  Oh ja, auch in meiner Biografie. Freud besuchte das Leopoldstädter Communal-Real-und-Oberymnasium in der Taborstraße, das später um die Ecke in die Sperlgasse umzog. Als ich zehn Jahre alt war, kam ich in dieselbe Schule, nur dass sie inzwischen in Sperlrealgymnasium umbenannt worden war. Und wie schon zu Freuds Zeiten waren zwei Drittel der Schüler Juden. Freud schloss "unsere" Schule mit 17 Jahren ab; ich musste mit noch nicht einmal 15 Jahren Wien verlassen. Freud hatte die Betragensnote "musterhaft", während ich nie über ein "befriedigend" hinauskam. Übrigens hat mein Vater als bulgarischer Medizinstudent in Wien bei Freud einige Vorlesungen besucht.

STANDARD: Und Ihre Einstellung zur Psychoanalyse selbst?

Djerassi:  Ich habe früher von Psychotherapie nie viel gehalten. Vermutlich war das ein Fall von unangebrachtem psychischem Machismo, da ich glaubte, alle Probleme selbst lösen zu können. Aber als serienmäßiger Autobiograf und auch als Schriftsteller musste ich unweigerlich zum Analytiker (nämlich als Autor) und Analysand (bezüglich der Stellvertreter in meinen Geschichten) zugleich werden.  (Walter Grünzweig, Album, DER STANDARD, 20./21.4.2013)