Die Wiener Polizei nimmt auch heuer 450 Polizisten auf.

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Diese Hürden müssen beim Sporttest gemeistert werden. GS steht für Grundstufe, das untere Limit. LS bedeutet Leistungsstufe und garantiert die höchste Punkteanzahl.

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Das Vergütungsmodell. Nach zwei finanziell mageren Jahren in der Polizeischule steigt der Verdienst auf über 2.000 Euro brutto.

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Wien - Ein Schmetterling, der charmant die Schulter schmückt, ist kein Problem, vier Buchstaben auf der Hand sind es hingegen schon: A.C.A.B. zum Beispiel. "Das ist eine Symbolik, die mit unserem Beruf nicht vertretbar ist", sagt Erich Pollinger, Gruppeninspektor bei der Wiener Polizei, auch zuständig für Rekrutierung. A.C.A.B. steht für "All Cops are Bastards". Eine Parole als ideologisches Programm, zu finden auf der Hand einer Bewerberin. Die Kandidatin, erzählt Pollinger im Gespräch mit derStandard.at, wurde abgelehnt. Eine Anekdote, die durchaus symptomatisch ist. Zur Polizei wollen zwar viele, alleine die Richtigen sind nicht leicht zu finden.

40 Prozent scheitern beim Deutschtest

Die Wiener Polizei bemüht sich derzeit offensiv um Bewerber, qualifizierter Nachwuchs ist rar. Kein rein polizeispezifisches Problem, allerdings: Nur einer von sieben Kandidaten schafft das mehrstufige Aufnahmeverfahren für die Polizeischule. Neben körperlichen Voraussetzungen sind auch intellektuelle vonnöten. Und daran scheitern viele, alleine beim Deutschtest rasseln 40 Prozent durch. Das Level: Vierte Klasse Hauptschule. "Das Bemerkenswerte ist", wundert sich Kontrollinspektor Peter Brandstetter, "dass auch Studenten und Maturanten durchsausen". Seine Beobachtung: Das Niveau sinke - ganz allgemein. PISA lässt grüßen.

Tattoos "passen nicht zur Uniform"

Ein weiteres Selektionskriterium - neben Deutschkenntnissen - sind Tattoos und Piercings. Sie dürfen nicht sichtbar sein, wenn Polizisten in ihrer Uniform stecken. Der Gradmesser: kurzärmelige Hemden. Ganz egal, ob das jetzt ein Schmetterling, ein Kätzchen oder ein Totenkopf ist. Die Regeln sind streng, Ausnahmen gibt es nicht. Jene, die es mit einer Karriere bei der Polizei ernst meinen, lassen sich ihre Tattoos mit Laser entfernen, berichtet Oberstleutnant Friedrich Kovar. Der Grund für die Strenge? "Es passt nicht zur Uniform." Derzeit, denn: "Vielleicht ist es in 25 Jahren egal, wenn man eine Tätowierung auf der Stirn hat."

Bewerber werden durchleuchtet

Nicht egal sind auch Vorstrafen, Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz oder etwa Führerscheinentzug aufgrund Alkoholkonsums. Der Leumund muss passen. Ein Auge zudrücken könne man maximal, wenn das Delikt schon viele Jahre zurückliege, wie Kovar erläutert. Jugendsünden haben ein anderes Gewicht als spätere Vergehen: "Wir sind nicht päpstlicher als der Papst." Durchleuchtet wird auch die finanzielle Situation von Bewerbern. "Laufende Exekutionen oder Schulden interessieren uns natürlich schon", sagt Kontrollinspektor Brandstetter, der gemeinsam mit Kovar die Bewerbungen analysiert, "wir bekommen das im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung heraus". Finanzielle Nöte würden zu anfällig für Korruption machen.

Intime Fragen

Um sich ein umfassendes Bild von Jobkandidaten zu machen, wie es heißt, wird bereits im Bewerbungsbogen sehr detailliert gefragt. Etwa nach der "Erkrankungsvorgeschichte". Mit Fragen zu Selbstmordversuchen, psychiatrischen Behandlungen, aber auch nach dem Auftreten von Geschlechtskrankheiten. Das kurzfristige Konsultieren eines Psychiaters ist noch kein K.O.-Kriterium, wie Brandstetter versichert, etwa wenn es um Depressionen in der Jugend oder die Verarbeitung von Traumata geht. "Wenn man plausibel machen kann, dass man aufgrund akuter Belastungssituationen in Behandlung war, bestehen keine Bedenken." Ganz generell gehe es darum, Risiken schon im Vorfeld zu minimieren. Speziell bei Waffenträgern.

Was Angaben wie, wann die letzte gynäkologische Kontrolle war und ob diese regelmäßig stattfinden, für eine Relevanz haben, ist allerdings fraglich. Argumentiert wird das mit einer möglichen Schwangerschaft einer Bewerberin, Fragen danach sind beispielsweise bei der Polizei erlaubt. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft, wo sie im Bewerbungsprozess nichts zu suchen haben. Hier läge ein Diskriminierungsgrund vor. Ist eine Kandidatin schwanger, wird sie nicht zum polizeilichen Sporttest zugelassen. "Das Risiko wäre zu groß."

21 Liegestütze für unter 30-Jährige

Neben der schriftlichen Prüfung, dem Aufnahmegespräch und der ärztlichen Untersuchung ist der Sporttest der letzte Teil der vierstufigen Selektion. Männer unter 30 Jahren müssen beispielsweise 21 Liegestütze schaffen, um in die höchste Stufe, die Leistungsstufe, zu kommen. Der 3.000 Meter-Lauf sollte in 13 Minuten und 42 Sekunden bewältigt werden. Bei über 55-Jährigen reduziert sich die Anzahl der Liegestütze auf 15 und die vorgegebene Zeit für den 3.000 Meter-Lauf auf 18 Minuten und 21 Sekunden. Bei unter 30-jährigen Frauen beträgt das Limit für die Leistungsstufe zwölf Liegestütze bzw. 18 Minuten und 30 Sekunden für den Lauf.

Bewerbungen bis zur Pension

Dass es überhaupt einen nach dem Alter gestaffelten Leistungsnachweis gibt, ist erst einer Gesetzesänderung zu verdanken. Bis 1. Jänner 2012 lag das Alterslimit bei Bewerbungen bei 30 Jahren, die Körpergröße musste bei Männern 168 Zentimeter betragen, bei Frauen waren es 163 Zentimeter. Gut, dass diese Schranken gefallen sind, findet man bei der Polizei. Altersdiskriminierung ist somit passé. Bewerber mit Baujahr 1960 und drunter sind zwar auch jetzt nicht die Regel, können aber theoretisch vorkommen. "Es gibt viele, die sich umorientieren. Wir hatten einen mit Jahrgang 1955", erzählt Oberstleutnant Kovar von gelernten Bäckern, Schlossern, Frisören, Piloten oder einer Tierärztin, die sich spät für den Polizeiberuf entschieden.

Zwei Jahre lang am Hungertuch

Von Leuten mit Lebenserfahrung, die vorher bereits in der Privatwirtschaft tätig waren, könne die Polizei nur profitieren, ist Kovar überzeugt. So sicher der Job auch ist, Polizisten sind pragmatisiert, ein Problem für Spätberufene ist die Bezahlung. In der Grundausbildung, die erfolgreiche Bewerber zwei Jahre lang absolvieren müssen, winken monatlich 1.177 Euro brutto. Mit Zulagen gehen sich gut 1.000 Euro netto aus. Schafft man nach den zwei Jahren die Dienstprüfung, wartet als Dienstort eine Polizeiinspektion – und das doppelte Gehalt. Mit Zulagen und Überstunden. Wer in der Hierarchie nach oben will, dem steht die Sicherheitsakademie offen, eine akademische Ausbildung an der Fachhochschule in Wiener Neustadt.

Rekrutierung nach Punkteanzahl

Bewerben kann man sich in Wien permanent. Genauso wie in den letzten vier Jahren werden auch heuer 450 Polizisten aufgenommen, dann ist der Masterplan 2.250 - die Zahl steht für die neu geschaffenen Stellen seit dem Jahr 2009 - abgeschlossen. Bei der Rekrutierung hilfreich, zumindest temporär, seien Sendungen wie das Reportageformat "Die Wega", das auf ATV läuft oder die "CopStories" im ORF, berichten die Beamten. Aufgabe der Polizei sei es, die TV-Bilder auf den Boden der Realität zu bringen.

Reüssieren Bewerber beim Aufnahmeverfahren, kommen sie auf die Kandidatenliste für die Grundausbildung. Auch wenn offensiv um Leute mit Migrationshintergrund und Frauen geworben wird, Protektion ist ausgeschlossen, wird betont. Die Reihung erfolge strikt nach der Punkteanzahl, die die Bewerber im Aufnahmeprozess erreichen. In den Bundesländern ist der Standard tendenziell höher als in Wien, Rekrutierungen finden hier nur nach Ausschreibungen statt.

Selbst geschriebene Befunde

Genommen werden nur die Besten, heißt es. Und da konstatieren die Polizisten noch viel Luft nach oben, denn zum Teil, wie Kovar, Brandstetter und Pollinger unisono meinen, habe der Rekrutierungsprozess eine tragikomische Note, angesiedelt zwischen Kabarett und Trauerspiel. Bewerbungsbögen mit Kaffeeflecken, falsche Fotos auf dem Lebenslauf oder selbst geschriebene fachärztliche Atteste sind nichts Außergewöhnliches. (Oliver Mark, derStandard.at, 23.4.2013)