Bevor Jun sein Ramen-Restaurant aufgesperrt hat, verbrachte er sechs Monate mit einem Tokioter Koch in einem Haus bei San Francisco: Sieben Tage die Woche taten die beiden dort nichts anderes, als an der perfekten Nudelsuppe zu tüfteln. Sie kochten Schweinsknochen, brieten Fleisch und marinierten Eier, sie aßen so lange nichts anderes als Ramen, bis Jun und der Koch zufrieden waren.

Heute betreibt er für seine japanischen Chefs drei Ramen-Restaurants in Kalifornien, die "L. A. Times" kürte sein Restaurant Men Oh Ramen unlängst zum besten Ramen-Lokal in Little Tokyo. So bin ich auch auf Jun gestoßen.

Der Eingang zu Yuns Reich.
Foto: Tobias Müller

Das Tolle am Essen in großen Städten wie L. A. und San Francisco ist die unglaubliche Vielfalt, die sich auf vergleichsweise engem Raum drängt. Aus der ganzen Welt bekommt man hier vielleicht nicht das Beste, aber doch schon ziemlich Gutes geboten. Ich habe in Thailand schon deutlich schlechteres Laab gegessen als hier, und in Italien muss man auch erst eine solche Pizza finden.

In Kalifornien besonders ausgeprägt ist der Einfluss der japanischen Küche – es gibt nicht nur Unmengen an japanischen Restaurants, roher, marinierter Fisch und fermentiertes Gemüse sind hier auf der Speisekarte jedes etwas ambitionierteren Restaurants zu finden. In L. A. haben sich so viele Japaner gesammelt, dass ein Stadtteil offiziell Little Tokyo heißt. Ihr derzeitiges kulinarisches Faible: Ramen. Glaubt man den Einheimischen, ist die Stadt im Nudelfieber. Ich habe also meine Tage in L. A. genutzt, um eine kleine Feldforschung zu unternehmen.

Generell ist die Bezeichnung "Ramen" ungefähr so aussagekräftig wie die Bezeichnung Spaghetti: Das Wort bezeichnet nur die Nudeln. Jede Region Japans kennt ihre eigenen Varianten der Suppen und der Saucen. Alle guten Ramen aber sind ein Lehrstück dafür, was man aus einer Nudelsuppe machen kann, wenn man mit Präzision, Liebe zum Detail und Sinn für Ausgewogenheit vorgeht: eine eigene Welt voll wunderbarer Aromen und Konsistenzen in einer Schüssel. Es ist ganz erstaunlich, wie viel Geschmack man in eine Suppe packen kann.

Foto: Tobias Müller
Ein Ramengericht hat vier essenzielle Bestandteile: Suppe, Nudeln, Fett und Würzsauce. Dazu kommen noch diverse Einlagen wie marinierte Eier, Fleisch und Gemüse.

Weil ihre Herstellung mehrere Tage dauert und der überzeugte japanische Koch keine Kompromisse kennt, servieren viele Ramenshops nur eine Art Ramen. Ich habe mich ein wenig durchgekostet und bin schließlich bei Jun gelandet.

Foto: Tobias Müller

Seine Suppe ist tief und schweinisch im Geschmack, ohne aufdringlich zu werden, ein Schuss ausgelassenes Schweinsrücken-Fett sorgt für den Extra-Kick; oben drauf liegt ein Stück würziger Schweinebauch, so weich, dass es mit den Stäbchen kaum anzuheben war; das Ei, eine beliebte Beigabe, ist zartsäuerlich mariniert, mit leicht alkoholischen Noten und einem schmelzend-cremigen Kern; und die Nudeln bieten mit ihrem Biss all diesen Geschmäckern die perfekte Bühne, um sich zu entfalten.

Ramen sind nicht das ideale Gericht für den Hausgebrauch: Sie brauchen ziemlich viel Zeit und werden idealerweise in großen Mengen hergestellt. Wer sich also dennoch daran versuchen will: So ungefähr wird es gemacht.

Die Suppe

Was in sie hineinkommt, schwankt von Ort zu Ort: In Tokio etwa sind Hühnerknochen die häufigste Basis, anderswo wird sie aus mehreren Tieren zusammengemischt. Jun kocht Tonkotsu-Shoyu-Ramen, eine Art, die sowohl in Japan als auch in L. A. groß im Kommen ist. Sie stammt aus der Provinz Tokushima. Die Gegend ist bekannt für ihre zahlreichen Schweinezuchten, weswegen die Suppe auf Schweineknochen basiert.

Foto: Tobias Müller

Die Variante setzt nicht unbedingt auf zarte Geschmäcker: Manche Lokale wie das Tsujita, das von der "L. A. Times" zum derzeit besten Ramen-Shop gekürt wurde, kochen für ihre Tonkotsu-Ramen die Knochen 60 Stunden lang – die resultierende Brühe ist irgendwo zwischen flüssig und fest angesiedelt und schmeckt eher nach püriertem Schwein als nach Suppe. Sehr gut, aber doch etwas heftig.

Jun bei der täglichen Suppenkontrolle.
Foto: Tobias Müller

Das Men Oh wählt einen Mittelweg. Wenn Sie ihm folgen wollen: Nehmen Sie etwas mehr Schweinsknochen, als in ihren Topf passen (siehe Foto), geben Sie ein wenig Knoblauch und Ingwer hinzu und gießen Sie das Ganze mit Wasser auf. Die Mischung lassen Sie mindestens 24 Stunden köcheln.

Die Sauce

Ramensuppen werden selbst kaum gewürzt und gar nicht gesalzen – stattdessen wird vor dem Servieren eine Würzsauce in jede Schüssel gekippt, bevor die Suppe eingegossen wird. Jeder Shop hat für seine Sauce ein eigenes Rezept, um das mitunter recht viel Aufhebens gemacht und Geheimnistuerei betrieben wird. Bis Sie Ihr eigenes haben, können Sie sich an das hier halten – von Jun wurde es inspiziert und für gut befunden.

Foto: Tobias Müller

Mischen Sie zwei Teile Wasser, zwei Teile Sake, einen Teil Sojasauce, einen Teil Mirin und einen Teil Zucker zusammen. Machen Sie am besten zwei Liter davon. Sie werden die Sauce nicht nur zum Würzen brauchen.

Das Fleisch

Generell gilt: je herzhafter die Suppe, desto herzhafter das Fleisch. Im Fall von Tonkotsu-Ramen (und vielen anderen Fällen) passt nichts besser als ein butterweich geschmorter Schweinebauch. Um ihn wirklich weich zu bekommen, sollte er mehrere Stunden köcheln oder bei 150 Grad im Ofen ziehen – mindestens vier, mehr können ihm aber auch nicht schaden. Manch Ramenmacher gart ihn gleich in der Suppe, das Men Oh aber kocht den Bauch in der oben beschriebenen (beziehungsweise einer ähnlichen) Sauce. Das Ergebnis ist einfach großartig. Wenn er gar ist, auskühlen lassen und in etwa halbfingerdicke Scheiben schneiden. Warm sollte er zum Schneiden zu weich sein.

Foto: Tobias Müller

Die Toppings

Was neben Fleisch oben auf der Suppe landet, ist eine Frage der persönlichen Präferenz. Wirklich wichtig ist meiner Meinung nach das Ei. Wer's gern ein wenig schleimig hat (und weitere Arbeit scheut), der schlägt es einfach roh in die heiße Suppe.

Foto: Tobias Müller

Ansonsten kann es auch kernweich gekocht, geschält und in oben genannter Sauce mindestens zwölf Stunden mariniert werden – ein üppig-würziger Genuss. Das Men Oh legt nebst Ei noch Bambussprossen und klein gehackte Frühlingszwiebeln drauf. Ein Blatt getrocknetes Seegras schadet ebenfalls bestimmt nicht.

Ramen-Einlagen: Vieles ist möglich, wenig muss sein.
Foto: Tobias Müller

Die Nudeln

Ramen-Nudeln können dick oder dünn, gerade oder gelockt sein, gemeinsam ist ihnen ihre Konsistenz: Sie sind elastisch mit Biss, ein wenig so wie feste Tagliatelle. Welche Nudeln jeweils zum Einsatz kommen, hängt von der Suppe ab. Jun nimmt für die seinen wenig Wasser, damit der Teig die Suppe gut aufsaugt und sich die Geschmäcker gut mixen. Zudem legt er großen Wert auf das Timing beim Kochen: Er besteht darauf, dass wenige Sekunden einen riesigen Unterschied machen.

Foto: Tobias Müller

Er kocht sie mit Stoppuhr, je nach Dicke 30 bis 90 Sekunden. Mir sind die Nudeln jedenfalls etwas härter lieber, weil sie dann einen schönen Kontrast zu all der Üppigkeit bieten. Probieren Sie einfach aus, was Ihnen passt. Im Men Oh werden sie zwar nach eigenem Rezept, aber doch extern gefertigt.

Das große Finale

Geben Sie einen Löffel ausgelassenes Schweinerückenfett, einen Löffel Würzsauce und ein klein wenig frisch gehackten Knoblauch in eine Schüssel. Kochen Sie die Nudeln, schütteln Sie sie ordentlich trocken und legen Sie sie ebenfalls in die Schüssel.

Foto: Tobias Müller

Gießen Sie das Ganze mit Suppe auf und belegen Sie es nach Lust und Laune mit Schweinebauch, Ei und was Sie sonst noch zur Hand haben. Verspeisen Sie es mit Stäbchen, Löffel und unter lautem Schlürfen – nicht, weil das als höflich gilt, sondern weil es anders kaum möglich ist. (Tobias Müller, derStandard.at, 21.4.2013)