Die Freiheit der Wissenschaft ist ein Grundrecht im Verfassungsrang. Und das ist gut so, sollte diese Freiheit doch nur durch gleichwertige Rechte und nicht durch Bigotterie eingeschränkt werden dürfen. Doch da hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein neuer Wert in der Gesellschaft etabliert, für den es mittlerweile Konsens ist, dass er auch die Freiheit der Wissenschaft einschränken können muss: der Tierschutz.

Denken wir an Tierversuche, die unserer Meinung nach ausschließlich der Neugier dienen aber keinerlei Schutz von Mensch oder Tier vor Krankheiten zu bieten die Perspektive haben. Beispiele dafür wären die Schweineversuche in Vent, in deren Verlauf man mehrere Dutzend dieser Tiere im Schnee vergrub, um ihren Lawinentod studieren zu können. Oder Telemetriegeräte, die in der Freiheit gefangenen Wildgänsen einoperiert wurden, um deren Vitalfunktionen zu messen, während sie sozial interagieren. In einem weiteren Versuch wurden Wühlmäuse gentechnisch verändert, um eine monogame Unterart promiskuitiv zu machen und umgekehrt. Solche Tierversuche konnten bisher gar nicht verboten werden, weil die Freiheit der Wissenschaft grundsätzlich über tierschutzethischen Bedenken steht. Würde ein Tierversuch ausschließlich aus Tierschutzgründen verboten, wäre eine Berufung zum Verfassungsgerichtshof zwingend erfolgreich. Umgekehrt in Deutschland, wo Tierschutz seit über 10 Jahren Verfassungsrang genießt, und die Ablehnung eines Antrags für Tierversuche an Primaten bei der Berufung zum Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe von diesem bestätigt wurde – mit explizitem Hinweis auf die Verfassungsbestimmung Tierschutz.

Seit 17 Jahren versprochen

Aus diesen Gründen organisierten Tierschutzvereine bereits im Jahr 1996 ein Volksbegehren, in dem die Forderung nach einem Staatsziel Tierschutz im Verfassungsrang zentral war. 460.000 Menschen unterschrieben das Begehren im März desselben Jahres, damals setzte man noch ernsthafte Hoffnungen auf dieses Mittel der direkten Demokratie. Doch – heute würden wir sagen: erwartungsgemäß – wurde nichts dazu im Parlament entschieden, wenn auch die Parteien grundsätzlich signalisierten, zu diesem Schritt bereit zu sein. In der fernen Zukunft, allerdings.

2003 griffen die Tierschutzorganisationen, allen voran der Verein Gegen Tierfabriken (VGT), das Thema wieder auf. Nach einer intensiven Kampagne beschloss am 27. Mai 2004 das Parlament einstimmig, die Regierung aufzufordern, den Schutz des Lebens und Wohlbefindens der Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen in der Verfassung zu verankern. Trotz dieser Einstimmigkeit geschah allerdings nichts, der zuständige Verfassungskonvent versandete. Und just an demselben Tag, an dem der VGT eine neue Kampagne zur Durchsetzung des Beschlusses beginnen wollte, am 21. Mai 2008, kam es zum Überfall durch die SOKO-Tierschutz mit einer 3-jährigen Verfolgung, die mit einem mittlerweile rechtskräftigen Freispruch endete.

3 Petitionen und 1 Bürgerinitiative später

Drei weitere Petitionen und eine Bürgerinitiative wurden danach in den Petitionsausschuss des Parlaments eingebracht. Der Verfassungsausschuss wurde damit befasst und gründete Anfang Februar 2012 einen Unterausschuss, der aber wegen eines Veto der ÖVP nie konstituiert wurde. „Das Thema ist auf dem Abstellgleis", kommentierte ÖVP-Wissenschaftsminister Töchterle. Doch die Tierschutzorganisationen ließen sich nicht einschüchtern und mobilisierten einmal mehr ihre Kräfte. Zuletzt musste aufgrund öffentlichen Drucks die Präsidiale, das höchste Gremium des Parlaments, bestehend aus den drei Nationalratspräsidenten und den Clubchefs der Parteien, das Veto der ÖVP überstimmen und die Konstituierung des Unterausschusses am 17. Oktober 2012 erzwingen. Doch seitdem ist noch immer nichts geschehen, es gab keine einzige inhaltliche Sitzung.

Wenn es um Tierschutz geht, muss die ÖVP zu jedem einzelnen Schritt gezwungen werden. Einmal sollen zuerst Kinderrechte in die Verfassung, bevor wir von Tierschutz sprechen dürfen, dann ist es die Heiligkeit der Ehe. Alle Staatsziele außer Tierschutz können einzeln behandelt werden, nur wenn es um Tierschutz geht, ist zuerst ein vollständiger Staatszielkatalog vonnöten, wie ÖVP-Verfassungssprecher Gerstl erklärte.

Die Geduld der Tierschutzorganisationen und ihrer insgesamt 400.000 Mitglieder ist zu Ende. Nach 16 ½ Jahren darf es hier kein Versteckspiel mehr geben. Die Formulierung der Staatszielbestimmung Tierschutz wurde bereits am 27. Mai 2004 entschieden, jetzt geht es nur um die formale Umsetzung. Das wird unserer Vertretung im Parlament doch wohl gelingen, immerhin hat die ÖVP nicht einmal eine für ein Verfassungs-Veto ausreichende Minderheit. Doch heutzutage scheint an der ÖVP, trotz ihrer insignifikanten Stimmenzahl, bei Tierschutzentscheidungen kein Weg vorbei zu führen. Hintergrund dürfte sein, dass die Verhinderung von Tierschutzbelangen der ÖVP ein größeres Anliegen ist, als der Umsetzung derselben Anliegen dem Rest der Parteien. (Leserkommentar, Sascha Schmid, derStandard.at, 18.4.2013)