Washington/Wien - Kaum zwei Ökonomen haben die wirtschaftspolitische Debatte in den vergangenen Jahren so geprägt wie sie: Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Die beiden Volkswirte an der renommierten Harvard University haben in einem Buch 2009 und in einer Reihe von Arbeitspapieren danach eine Kernthese entwickelt: Schulden sind schlecht für das Wachstum.

Mehr noch, die beiden etablierten eine "magische Grenze". Ab 90 Prozent Verschuldung, gemessen an der Wirtschaftsleistung, falle das Wachstum drastisch, um mehrere Prozentpunkte, so die Harvard-Ökonomen in Studien 2010. Doch Thomas Herndorn, Michael Ash und Robert Pollin, drei Wirtschaftsforscher an der University of Massachusetts Amherst, kritisieren die Arbeit massiv.

Vorwurf der Verzerrung

"Fehler, selektive Auswahl der verfügbaren Daten und unkonventionelle Gewichtung" hätten den Zusammenhang von Schulden und Wachstum in der Studie massiv verzerrt. Konkret geht es um die Erfahrung der Industrienationen zwischen 1946 und 2009. "Unsere wichtigste Erkenntnis" , so die Forscher im diese Woche veröffentlichten Forschungspapier, " ist, dass bei sauberer Berechnung die durchschnittliche reale Wachstumsrate von Ländern mit einer öffentlichen Verschuldung von über 90 Prozent 2,2 Prozent ist, nicht -0,1 wie RR (Reinhart und Rogoff, Anm. ) behaupten." Damit seien die Wachstumsraten von Ländern mit hohen Schulden kaum niedriger als bei weniger verschuldeten Staaten.

So habe die besondere Methode der Gewichtung die Daten verzerrt. Allein die Episode von hoher Verschuldung und schwerer Rezession in Neuseeland 1951 sei für ein Siebentel des Ergebnisses von Reinhart und Rogoff verantwortlich, schreiben die Kritiker. Konkret fordern die Ökonomen um Pollin daher, dass die eingeschlagene Austeritätspolitik in der Eurozone und den USA neu bewertet werden müsse. "Es ist ein Fakt, dass die Befunde von RR falsch sind." Die Politik hatte die Nachricht der beiden renommierten Volkswirte Reinhart und Rogoff aufgegriffen. So zitierte etwa der republikanische Abgeordnete Paul Ryan im Streit um das US-Budget die Studie von Reinhart und Rogoff.

Die beiden Volkswirte haben am Mittwoch auf die Kritik reagiert. Tatsächlich sei ihnen ein Fehler unterlaufen, der allerdings nichts an der grundlegenden These ändere. Denn auch die Daten der Kritiker zeigten, dass Volkswirtschaften mit hohen Staatsschulden langsamer wachsen. Auch wenn das Ergebnis nicht so drastisch ist wie gedacht. (sulu, DER STANDARD, 18.4.2013)