Auf DIN A4-Papier wissenschaftlich Formuliertes im einspaltigen Blocksatz über 600 Seiten laufen zu lassen und es lediglich durch komplexe Diagramme, Kurven und Formelkästen "aufzulockern" ist Folter.

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Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis.

Foto: Maxime-Verlag

Der Autor macht es auch den interessiertesten LeserInnen durch seine Fachsprache mehr als schwer, auch nur einen einzigen Absatz so zu inhalieren, dass er/sie unmittelbar danach erklären könnte, was da eigentlich stand.

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Manche Fragen sollte man einfach nicht stellen. Sich selbst nicht - aber schon gar nicht anderen Leuten. Denn die Gefahr, dass da einer steht oder sitzt, der tatsächlich und fundiert beantworten kann, warum ein Schiff schwimmt, ein Flugzeug fliegt oder ein Fahrrad nicht umfällt, ist eine reale Bedrohung - und zwar eine der Zufriedenheit mit dem eigenen Weltbild und dem eigenen Horizont.

Oder - und das ist das schlimmste - der eigenen Auffassungsgabe von Dingen, die dieser andere meist mit den Worten: "Also bitte, das ist doch eigentlich gaaaanz einfach..." zu erklären beginnt, irgendwann erwähnt, dass das "doch im Physikunterricht der Unterstufe sicher hinlänglich und deppensicher besprochen" worden sei - und er (es ist fast immer ein er) "echt nicht verstehe, wieso ein mutmaßlich intelligenter Mensch das nicht versteht".

Toll - aber unlesbar

Der Andere meint es gut. Immer. Und während er erklärt, wieso ein Flugzeug fliegt, ein Schiff schwimmt und ein Fahrrad nicht umfällt, ist auch alles logisch. Und klar. Aber wehe dem, der zehn Minuten nach dem Ende des Vortrages versucht, seinen Kindern (oder sich selbst) zu erklären, wieso... und so weiter. Manche Dinge, muss man einfach zur Kenntnis nehmen: Ein Schiff schwimmt - weil es schwimmt. Ein Flugzeug fliegt - weil es fliegt. Ein Fahrrad fällt nicht um - weil der/die Fahrer/Fahrerin radfahren kann. Und Punkt. Und Aus.

All das hat im Grunde nichts mit jenem Buch zu tun, das Peter Appeltauer gerade im Maxime-Verlag herausgebracht hat. Und dennoch ist genau das die Assoziation (oder ist es schon ein Trauma?), die "Das Kleingedruckte beim Radfahren" bei mir auslöste.

Bei mir und fünf radaffinen Testpersonen: Appeltauer - zum einen begeisterter Radsportler, zum anderen Physiker und studierter Automobilbauer, der beruflich (so der Klappentext des Buches) "die konstruktiven Grenzen des Leichtbaus in der Königsklasse des automobilen Motorsports" auslotete - legt da nämlich ein Buch vor, das unendlich kompetent, sach- und fachkundig ist, das vor Wissen und Details nur so strotzt - und schlicht unlesbar ist.

600 Seiten-Ziegel

Nicht nur für Normalverbraucher: unter den fünf Testlesern befanden sich auch ein promovierter Techniker im Solde der Materialforschungs- und Entwicklungsabteilung eines großen Autokonzerns - und ein AHS-Physiklehrer.

Beide legten den 600-Seiten-Ziegel im Telefonbuchformat nach kurzem Blättern mit einem "Puh, das schaff ich nicht" aus der Hand: Moniert wurde jedoch nicht die Kompetenz des Autors (ganz im Gegenteil!) - sondern der "Irrsinn, ein so spannendes und zur Zeit passendes Thema von einem so offensichtlich hochkompetenten Experten auf diese Art vermittelt zu bekommen: Bei diesem Buch wurde alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Schade." (der Lehrer).

Natürlich liegt das auf den ersten Blick an der Sprache: Der Autor macht es auch den interessiertesten DurchschnittsleserInnen durch seine Fachsprache schon mehr als schwer, auch nur einen einzigen Absatz so zu inhalieren, dass er/sie unmittelbar danach erklären könnte, was da eigentlich stand.

Folter

Darüber hinaus gibt der  Verlag per Layout und Gestaltung dem Leser und der Leserin aber ohnehin ziemlich sofort den Gnadenschuss: Auf DIN A4-Papier wissenschaftlich Formuliertes im einspaltigen Blocksatz über 600 Seiten laufen zu lassen und es lediglich durch komplexe Diagramme, Kurven und Formelkästen "aufzulockern" ist Folter - "so etwas passiert Menschen, die professionell Bücher machen, nicht einfach so. Ich schaffe keine drei Seiten. Ich unterstelle jetzt einmal, die wollen nicht, dass irgendjemand weiter kommt" (der Techniker).

Schade. Wirklich schade. Denn der Stuttgarter Autor hat da - und das ist absolut nicht zynisch oder sarkastisch gemeint - beim Zusammenstellen der Inhalte ganz ganz tolle Arbeit geleistet. Aber irgend jemand müsste daraus jetzt noch ein Buch machen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 23.4.2013)