Gibt es nicht Wichtigeres als die Umbenennung von Straßenzügen, weil die Namensgeber inzwischen fragwürdig erscheinen? Nachdem der Dr.-Karl-Lueger-Ring zum Universitätsring wurde, soll der Dr.-Karl-Renner-Ring nun zum "Parlamentsring" werden?

Es gibt allerdings so etwas wie Geschichtssymbolik und die Notwendigkeit der Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Heroen. Österreich hat eine Reihe historisch bedeutender Politiker mit ziemlichen Charakterdefiziten. Wie bewertet man das?

Lueger war ein bedeutender Wiener Bürgermeister, der Wien in die Moderne führte; aber auch ein ganz übler Demagoge und Antisemit. Karl Renner war ein bedeutender sozialdemokratischer Politiker, der die Erste und die Zweite Republik mitbegründete. Er war allerdings auch ein ziemlich schäbiger Opportunist und Antisemit - auch noch nach 1945.

Milde für "kleine Nazis"

Und so kann man der Reihe nach die Gründerväter unseres Staates aufzählen, Schwarze, wie Rote: Leopold Figl, Bundeskanzler und Außenminister der ersten Stunde, ein Liebling des Volkes: aber die Juden wollte er nicht wiederhaben in seinem Österreich, denn die seien schlauer als seine braven Bauern.

Julius Raab, der Staatsvertragskanzler, beschwerte sich über den Einfluss der Juden bei den Amerikanern. Adolf Schärf, späterer Bundespräsident, meinte, man könne doch die Kosten für die Unterbringung jüdischer Flüchtlinge in Bad Gasteiner Hotels gegen die jüdischen Rückstellungsforderungen aufrechnen.

Renner gelang es mit Schläue, Verschlagenheit und Unterwürfigkeit gegenüber Stalin, noch in den rauchenden Trümmern des Dritten Reiches den Staat wiederzuerrichten. Noch bei seinem ersten Auftreten als "Staatskanzler" am Ballhausplatz (30. 4. 1945) trauerte er dem Anschluss an Deutschland nach und versprach den "kleinen Nazis" Milde. Vom Schicksal der Juden kein Wort, später (als Bundespräsident) wollte er sie nicht mehr hereinlassen, solange "unsere eigenen Leute" Arbeit brauchen.

Demokratievernichter im Klub

Der Ringstraßen-Abschnitt vor dem Parlament müsste aus heutiger Sicht nicht unbedingt nach ihm benannt sein. Aber die Forderung zur Umbenennung kommt von der ÖVP, die selbst den Demokratievernichter Engelbert Dollfuß in ihrem Klub hängen hat. Von dem kann man nicht einmal sagen, er sei ein bedeutender Staatsmann gewesen.

Nach Bruno Kreisky, einem der bedeutenden Politiker der Zweiten Republik, ist eine kleine Fläche neben dem Kanzleramt benannt. Aber sein Schutz für den FPÖ-Obmann Friedrich Peter, Mitglied einer SS-Mordbrigade, mit übelsten Verdächtigungen gegen Simon Wiesenthal bleibt ein ewiger Schandfleck.

Was tun? Zum einen, künftig vorsichtiger zu sein mit der Benennung öffentlicher Flächen nach Politikern. Zweitens wahrscheinlich doch eine überlegte Revision von Ehrungen, die inzwischen fragwürdig erscheinen. Von Renner über Raab bis Kreisky - sie haben sich um das Land verdient gemacht. Aber sie hatten auch ihre dunkle Seite, und auch diese muss man wahrnehmen (können). (Hans Rauscher, DER STANDARD, 17.4.2013)