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Das Herz vereint elektrochemische und mechanische Funktionen und ist eines der komplexesten Organe im Körper.

Foto: REUTERS/Desmond Boylan

Ein elektrischer Impuls breitet sich aus. In rasender Geschwindigkeit springt er von einer menschlichen Zelle zur nächsten. Die Impulse formen sich zu einer elektrischen Welle, die sich über das ganze Organ legt. Die Erregung strömt durch die Muskelfasern und löst eine mechanische Kontraktion aus. Der ganze Muskel verformt sich, zieht sich blitzartig zusammen und dehnt sich wieder aus. Das Herz hat geschlagen. Blut wird durch den Körper gepumpt, und im Sinusknoten des Organs entsteht der nächste Impuls.

Im Herzen greifen elektrochemische und mechanische Prozesse schnell und präzise ineinander. "Keinem menschlichen Geist ist es möglich, sich die Millionen parallelen Vorgänge vorzustellen, die im Herzen ablaufen", sagt Gernot Plank vom Institut für Biophysik an der Med-Uni Graz. Um sich ein genaues Bild machen zu können, müssen Plank und sein Team Supercomputer bemühen.

In dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Spezialforschungsbereich Mathematische Optimierung mit Anwendungen in den biomedizinischen Wissenschaften arbeiten sie an Simulationen des Herzens. Der Prozess eines Herzschlags wird dabei in zigtausende kleinste Zeiteinheiten zerlegt, für die jeweils der Zustand kleinster räumlicher Einheiten des Organs berechnet wird.

Die gegenseitige Beeinflussung der Zellen, die miteinbezogen werden muss, hat einen enormen Rechenaufwand zur Folge. Dadurch "entstehen enorme Gleichungssysteme mit 30 bis 100 Millionen Unbekannten, die hunderttausende Male gelöst werden müssen", erklärt Plank. Die Simulation eines einzigen Herzschlags wird so zu einer monumentalen Rechenaufgabe, die im Supercomputer, auf 16.000 Rechenkerne verteilt, immerhin noch einige Minuten in Anspruch nimmt. Im Zuge ihres Projekts "Magics" greifen die Grazer Forscher über die europäische Supercomputerorganisation Prace (Partnership for Advanced Computing in Europe) auf den französischen Großrechner Curie zu.

Modell der Zelle als Basis

"Durch die postgenomische Biologie steht uns ein enormer Wust an Daten zur Verfügung", sagt Plank, Daten, die Forscher in originalgetreue virtuelle Abbilder, sogenannte In-silicio-Simulationen biochemischer Prozesse oder ganzer Organe integrieren können.

Die Simulationen basieren auf Zellmodellen als kleinster Einheit, die von Mathematikern und Biologen gebaut werden, und subzelluläre Funktionen vom Ionenfluss durch Zellmembranen über den Kalziumstoffwechsel bis zur Zellatmung beinhalten. Mehrere Millionen Zellen werden bei den Simulationen verschaltet. "So wie man anhand eines Wassertropfens nicht verstehen kann, wie ein Tsunami entsteht, kann man auch das Herz nicht verstehen, wenn man nur eine einzelne Zelle darstellt", sagt Plank.

Die anatomischen Daten über die physische Verformung resultieren aus dem bildgebenden Verfahren einer Magnetresonanztomografie (MRT). Die elektrische Funktion kann man über ein Standard-EKG abschätzen, erklärt Plank. Genauer und aufwändiger sind Mapping-Techniken, bei denen Katheter im Herzen elektrische Potenziale aus dem Herzinneren ableiten. Hat man ein virtuelles Modell geschaffen, muss es "parametrisiert" werden. Es sei keine leichte Aufgabe, ein derart komplexes System so einzustellen, dass sich ein reales, biologisches Herz in allen Funktionen und Eigenschaften genau abbildet.

Individuelle Elektroschocks

Ziel ist es, diagnostische und therapeutische Erkenntnisse von den virtuellen Herzen ableiten zu können. Sie sollen beispielsweise dazu dienen, Nebenwirkungen von Medikamenten zu prophezeien oder sogenannte implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) auf die individuellen Eigenschaften eines Herzens einzustellen. Wenn ein plötzlicher Herztod droht, geben diese Geräte im Körper gezielt Stromstöße ab, um den Muskel schnell wieder in Gang zu bringen.

Die ICD sind allerdings noch ungenau: Ein Großteil der abgegeben Elektroschocks ist unnötig und für viele Patienten sind sie äußerst schmerzhaft. "Mithilfe der Simulationen sollen die elektrischen Felder, die die ICDs produzieren, individuell 'ihren' Herzen angepasst werden, um mit möglichst wenig Energie sicher zu defibrillieren", sagt Plank. "Im besten Fall sind die Stromstöße dann schmerzfrei." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 17.04.2013)