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Graf Zdenko von Borotin (Ignaz Kirchner, li.) schwankt im Kasino unter der Last der eigenen Familiengeschichte: Ein Räuber (Johann Adam Oest, re.) deckt Zusammenhänge auf.

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Wien - Vorneweg das Schöne: Franz Grillparzers vielbelächeltes Trauerspiel Die Ahnfrau ist ein Machwerk von unmittelbarer Wirksamkeit. Das südböhmische Geschlecht der Borotins ist dem Untergang geweiht. Die Urmutter der Sippe erhebt sich aus ihrer Gruft, um Unglück oder Frevel anzuzeigen. Grillparzers Jugendwerk lebt ganz entschieden von Doppelbelichtungen. Denn die Sünderin hasst die Produkte ihrer Fehltritte. Zugleich zeigt sie sich (Sven Dolinski), nobel verschleiert und im durchsichtigen Fummel den Gebärden des Ausdruckstanzes verpflichtet, anhänglich.

Zugleich herrscht auf der zugigen Burgfeste aber auch ein Aroma verdrängter Lüsternheit. Der Bruder minnt unwissend die Schwester, und diese lässt sich die Avancen wohl gefallen. Im Kasino am Schwarzenbergplatz gleicht Berta ihrer Urgroßmutter wirklich aufs Haar. So hat es sich der junge Grillparzer gewünscht, dem Hamlets stummes Vatergespenst vor Augen stand oder Macbeths Bankettgast Banquo.

Regisseur Matthias Hartmann hat die Rollen beider Damen mit jungen Herren besetzt, deren einer (Maik Solbach als fistelnde Berta) unrasiert ist. Diese Entscheidung verbreitet sofort eine Atmosphäre des Unernstes. Hartmann hat sich und seinen Schauspielern das selten gespielte Stück als Lockerungsübung genehmigt. Hätte diese szenische Etüde mit viel Kerzenlicht und grollenden Gitarrensaiten (Musik: Karsten Riedel) Augen, sie würde unentwegt ins Publikum blinzeln. Man wirbt um Einverständnis: Er kann schon etwas, der Grillparzer. Man hält ihn sich aber auch vom Leib. Gespenster? Ich bitte Sie!

So spielt man die jugendlichen Überspanntheiten des späteren Hofrats vom Blatt. Hartmann ist aber auch ganz vernarrt in das eigene Zeigen. Die Schauspieler betreten die Kasino-Halle, der alte Graf (Ignaz Kirchner) greift hoch hinauf und ruft: "Gotische Halle!" Man soll sich wohlfühlen dürfen in Südböhmen, wo ja eigentlich Schnee liegt und ein ganzes Geschlecht während weniger Nachtstunden zugrunde geht.

Die bald sechsköpfige Mannschaft klemmt sich hinter Textpulte. Nur Berta (Solbach) liegt auf einer Holztreppe hingestreckt. Kastellan Günther (Johann Adam Oest) entzündet ein wahres Meer von Kerzen. Der Tisch ist bereitet, Kirchner fängt an zu rezitieren. Die ein wenig dumpfige Atmosphäre fortschrittlichen Deutschunterrichts macht sich breit. Und weil sich viele Generationen vor uns über der Lektüre der Ahnfrau die Gesäße wundgesessen haben, reicht ein Berg aus Holzsesseln bis unter die Decke (Bühne: Volker Hintermeier).

Ganz langsam nur, fast schüchtern geraten die Schauspieler ins Spielen. Kirchner gibt einen ironisch aufgelegten Dunkelmann von Grafen, der mit dem Gehstock die Prinzipien der Familienplanung unterstreicht. Berta darf ihren Lebensretter heiraten. Vor Freude und um Papa in den Schlaf zu wiegen, zupft das Töchterchen auf den Sprossen der Sessellehne die Harfe.

Ironie ohne Absichten

Mit Deutungsabsichten haben sich Hartmann und sein Team erkennbar nicht getragen. Ins Auge sticht eher die Mokanz des Unternehmens. Oest wirft als schrulliger Kammerdiener bedeutsame Blicke um sich. Das Inzestgeheimnis der Familie Borotin sollte eigentlich ausreichen, sie ins mythologische Merkbuch einzutragen, gleich unter die unglückseligen Nachkommen des Tantalos. Hier freut man sich über Rezitationsübungen und die eigene Ironie. Man beweist, dass Grillparzer einen famosen vierhebigen Trochäus zu schreiben verstand.

Oliver Masucci legt den verlorenen Räubersohn Jaromir als verwegenen Helden mit flackerndem Blick an. Er spricht die Regieanweisungen der Einfachheit halber gleich mit. Der Einsatz der Filmkamera erzeugt ein paar schöne Überblendungen. Wie überhaupt gesagt werden muss: Handelte es sich hierbei um das Erzeugnis einer Mittelbühne, man wäre schlichtweg von den Socken. So schießt man mit Staatstheaterkanonen auf Spatzen. Mittel des epischen Theaters werden aufgeboten, um nichts zu zeigen. Freudiger Freundschaftsapplaus auf der Tribüne. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 16.4.2013)