Ob Hugo Chavez in seinen letzten Wochen geahnt hat, dass es nach seinem Ableben verdammt knapp um den Fortbestand seiner Revolution bestellt sein könnte? Sei's drum. Sieg ist Sieg: Venezuela hat sich für dieses ekstatische Feuer, für dieses elementare Gefühl von Freiheit und für das Andenken Hugo Chavez' entschieden. Für den charismatischen ehemaligen Busfahrer Nicolás Maduro, den vom verstorbenen Volkshelden Chavez bereits favorisierten ehemaligen Außenminister des Landes.

Das ist zunächst einmal ein überwältigender Beweis, dass Freiheit eben nicht zuallererst eine Freiheit des Marktes, der Marktwirtschaft ist; nicht die Freiheit, Geld zu scheffeln, Arbeiter und Angestellte miserabel zu bezahlen und mit den an der Steuer vorbei geschleusten Überschüssen am Finanzmarkt obszönes Monopoly zu spielen.

Es riecht nicht nach Schwefel in Caracas

Ausgerechnet am Ausgangspunkt der Eroberung des amerikanischen Kontinents, im heutigen Venezuela, da wo Kolumbus erstmals amerikanisches Festland betrat, befreit sich das Volk und geht seinen eigenen Weg. Und was Castro von seiner befreiten Insel aus nie wirklich gelang: Die Befreiungsbewegung ist längst übergeschwappt auf den gesamten südamerikanischen Kontinent. Bunt. Grell. Manchmal fröhlich, aber immer mit dieser Glut der Gewissheit im Herzen, Teil einer außergewöhnlichen Zeit zu sein. Befreiung füllt zwar nicht den Magen, aber Völlerei gab es in den Jahrhunderten zuvor auch nicht. Der Unterschied ist, dass man dabei nicht mehr einer Minderheit beim Fressen zuschauen muss.

Die Satten, die Profiteure, sind die ersten Verlierer der Chavez-Revolution. Und das macht eine überwältigende Mehrheit glücklich in diesem glücklichen Venezuela. Das Ende vom Anfang hing an einem seidenen Faden. Angeblich an wenigen, hunderttausend Wählern. Und die postwendend eingeklagten Unregelmäßigkeiten kennt man ja schon aus den Staaten, als Sohn Bush ebenfalls knapp über Al Gore triumphierte und auch hier Stimmen nachgezählt werden sollten. Die Sache ist also auch hier nicht exemplarisch. Es riecht nicht nach Schwefel in Caracas.

Wird Obama gratulieren? Jedenfalls nicht als erster. Die engen Freunde Venezuelas sind auch die ersten an der Revolutionstorte: "Ruhm für das tapfere venezolanische Volk, das das Joch besiegt hat. Glückwunsch Präsident Maduro. Comandante Chávez: Venezuela kehrt nie mehr in die Vergangenheit zurück", twitterte Ecuadors Staatschef Rafael Correa. Und Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner folgte sofort: "Glückwünsche an den neuen Präsidenten Nicolás Maduro. Andenken und Dankbarkeit für immer an den Freund und Genossen Hugo Chávez."

Ja, die USA müssen sich hinten anstellen. Waren sie doch 2002 offen auf Seiten der Opposition, als Putschisten Chavez, den amtieren Präsidenten eines souveränen Staates zu stürzen versuchten, aber am Kampfgeist und Willen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung scheiterten. Besonders bitter für den internationalen Marktimperialismus: Venezuela ist im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern Lateinamerikas in der Lage, seine Auslandsschulden zu bezahlen und daher nicht gezwungen, sich den Regelungen des Internationalen Währungsfonds zu unterwerfen.

Hohe Lied der Freiheit

Und es ist natürlich ebenfalls abenteuerlich, sich über das Gebaren eines Hugo Chavez aufgeregt zu haben. Wer die banale Ektase der Freiheit wirklich auf fragwürdigem Niveau erleben will, der sollte eine US-amerikanische Wahlveranstaltung irgendwo außerhalb der großen Städte besuchen oder sich an ein paar ausgewählte US-Präsidenten des letzten 50 Jahre erinnern. Nun vergleichen Sie mal als Europäer den banalen Vierte-Juli-Patriotismus mit einer Pro-Chavez-Demonstration vor dem Präsidentenpalast Miraflores in der Hauptstadt Caracas und wagen Sie ein Urteil gegen diese Menschen.

Sicher ist eines: Egal, was der Nachfolger Chavez' nun falsch machen wird, so wie auch Chavez viele Fehler eingeräumt hat. Die errungene Selbstbestimmung der Völker ist für die Menschen dort eine solche Großtat für den südamerikanischen Kontinent, dass ihre Geduld den neuen Präsidenten, den Erben Chavez durch die Amtszeit tragen wird. Da kann man den guten Mann nur wünschen, dass er seine Geheimdienste im Griff hat, dass er sich auf seine kubanischen und anderen Freunde verlassen kann und dass es den mächtigen Unterstützern der Opposition auch bei Maduro nicht gelingen wird, seine Arbeit zu boykottieren, zu unterwandern oder auch nur zu diskreditieren. Viva Maduro. Glückwunsch Venezuela.