Verbirgt sich hinter Rückenschmerzen eventuell ein bösartiger Tumor? Bei etwa einem Prozent der Patienten ist das der Fall. Bei der Entscheidung, ob weitere tumordiagnostische Untersuchungen erforderlich sind, orientiert sich der Arzt an Risikofaktoren wie Alter, Gewichtsverlust, Dauer der Beschwerden, Erschöpfung oder Fieber.

Eine Heidelberger Forschungsarbeit stellt die Aussagekraft dieser Faktoren nun in Frage: Die Auswertung von acht klinischen Studien hat gezeigt, dass sich anhand einzelner Kriterien das Risiko für einen Tumor der Wirbelsäule nicht abschätzen lässt. Eine internationale Forschergruppe unter Leitung des Instituts für Public Health am Universitätsklinikum Heidelberg, die ihre Arbeit im Online-Fachjournal "The Cochrane Library" veröffentlicht hat, fordert weitere Studien, um aussagekräftige Kombinationen dieser Marker zu prüfen.

Risikopatienten herausfiltern

Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule sind häufig: Rund 70 Prozent der Bevölkerung trifft es mindestens einmal im Leben – häufig ohne diagnostizierbare Ursache. Bei ungefähr einem von 100 Betroffenen rühren die Schmerzen von einem Tumor her. Klinische Behandlungsleitlinien raten angesichts dieses geringen Anteils davon ab, sämtliche Patienten mit Rückenschmerzen vorsorglich zu röntgen oder im Kernspintomographen zu untersuchen. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten sind die meist aufwändigen Untersuchungen unnötig. Die Herausforderung für die behandelnden Ärzte besteht daher darin, Risikopatienten schon bei der Erhebung der Krankengeschichte und durch die körperliche Untersuchung herauszufiltern.

Die Leitlinien zur Behandlung von Rückenschmerzen empfehlen, dabei auf sogenannte "Red Flag-Kriterien" zu achten. Das sind beispielsweise ein Alter über 50 Jahre, Gewichtsverlust, keine Besserung der Beschwerden trotz Behandlung nach einem Monat, Erschöpfung, Fieber, Brustschmerz sowie eine vorangegangene Krebserkrankung. Treffen eines oder mehrere dieser Kriterien zu, sollte der Patient mit Hilfe bildgebender Verfahren genauer untersucht werden.

Ob die Red Flag-Kriterien aber tatsächlich dazu beitragen, Risikopatienten mit möglicher Kebserkrankung zuverlässig von Patienten mit unkritischer Krankheitsursache zu unterscheiden und so unnötige Untersuchungen zu vermeiden, ist bisher noch nicht ausreichend überprüft worden.

Wissenschaftler haben Daten aus acht Studien ausgewertet. 7.361 Patienten mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule waren einschlossen. 20 verschiedene Red Flag-Kriterien kamen zum Einsatz, die meisten dieser Charakteristika erwiesen sich - einzeln betrachet - als wenig aussagekräftig. Sie trafen häufig auch auf Patienten zu, bei denen kein Tumor festgestellt wurde. Lediglich eine vorangegangene Krebserkrankung erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass diese Patienten tatsächlich unter einem Tumor litten.

Unnötige Untersuchungen

Werden die Kriterien als Indikator für einen Tumor einzeln herangezogen, führt das zu vielen überflüssigen Untersuchungen, die selbst gesundheitsschädigend sein können. Die Datenlage ist jedoch noch dünn. In den ausgewerteten Studien wurde bei weniger als einem Prozent der Patienten eine Krebserkrankung der Wirbelsäule diagnostiziert.

"Tumoren des Rückenmarks oder Knochenmetastasen in der Wirbelsäule sind selten. Wir benötigen größere Studien, um die Aussagekraft der Red Flags abschließend beurteilen zu können", so Erstautor Nicholas Henschke,vom Institut für Public Health am Universitätsklinikum Heidelberg. Besonders die Kombination verschiedener Red Flags sollte in Zukunft genauer geprüft werden. (red, derStandard.at, 15.4.2013)