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Südkoreanische Studenten in Militäruniform üben für den Ernstfall, sollte Nordkorea einen Krieg mit seinem Nachbarn vom Zaun brechen. Wirklich daran glauben wollen aber nur wenige – auf beiden Seiten der Grenze. 

Foto: APA/EPA/Barbara Walton

Ein Büro im ersten Stock eines vierstöckigen Hauses in der Nähe des Präsidentenpalasts in Seoul. In kleinen kabinenartigen Arbeitsplätzen sitzen Journalisten über Computertastaturen gebeugt und schreiben. Viele von ihnen sind Flüchtlinge aus Nordkorea. Anders aber als die meisten ihrer gut 20.000 Leidensgenossen, die es nach Südkorea geschafft haben, unterhalten sie nach wie vor enge und vor allem regelmäßige Kontakte in das sonst so abgeschottete Land im Norden.

Park Geon-hyeong (Name geändert, Anm.) erzählt davon, wie es momentan in Nordkorea aussieht. Lange lebt er noch nicht in Südkorea: Im Oktober 2010 ist er aus Nordkorea geflohen. Erst vor ein paar Tagen hat der 32-Jährige wieder Einblick in das bekommen, was vor der Weltöffentlichkeit verschlossen ist. Er arbeitet für DailyNK, eine Internetseite, die Informationen über Nordkorea publiziert, die nicht die nordkoreanische Zensur und Propagandamaschine durchlaufen haben.

Seine Quellen: "Otto Normalbürger" in Nordkorea. Zwar gibt er zu, es handle sich um eher besser situierte Nordkoreaner, doch die hätten mehr Einblick ins Land als jeder andere. "Das ist deren Alltag, über den sie uns berichten", erklärt Park. "Für unsere Kontakte in Nordkorea sind diese Informationen nichts Besonderes."

Die Kontakte, die Park im Norden hat und die ihm berichten, was die Offiziellen in der Stadt wieder haben verlauten lassen oder wie die Nahrungsmittelversorgung ist, sind Freunde aus der Zeit, als er noch dort lebte. Und Militärs. Bekannte aus zehn Jahren Wehrdienst in der Armee. Doch auch die seien keinesfalls vor der maroden Wirtschaftslage des Landes sicher. Zur Elite gehören sie nicht. Das Geld, das aus Südkorea für ihre Reportertätigkeit nach Nordkorea geht, können sie gut gebrauchen. "Einige von denen müssen Familien oder Frauen ernähren", sagt Park. Er sagt es nicht, aber was Park meint, ist: In Nordkorea nimmt man, was man kriegen kann.

Mehr Mobiltelefone

In den letzten zwei Jahren hat nach Berichten von Nordkorea-Reisenden die Versorgung mit Mobiltelefonen im Land deutlich zugenommen. Der ägyptische Telekomkonzern Orascom hat dem Regime ein Mobilfunknetz aufgebaut. Telefonieren im Land funktioniert, der Kontakt zur Außenwelt hingegen nicht, zumindest nicht per Handy. Doch mit der fortschreitenden Verbreitung von Informationen per Mobiltelefon flitzen die Infos nun nur so durchs Land. Der Cousin in Pjöngjang berichtet von den Vorgängen in der Stadt, vom Reispreis beispielsweise. Wenige Sekunden später ist dem Kontakt in der Grenzregion zu Nordkorea klar, dass die Preise in Pjöngjang wieder einmal weit unter denen in den ländlichen  Provinzen liegen. Die Information geht nach Seoul und wird dort publiziert.

Ähnlich kommen Informationen ins Land. Die Grenzregion ist weit besser versorgt mit Nachrichten als die Teile im Landesinneren. "Die Kontakte nach Nordkorea sind regional beschränkt", erklärt Daniel Pinkston. Er ist stellvertretender Projektdirektor der International Crisis Group, einer NGO, die sich weltweit für Konfliktprävention und -vermeidung einsetzt. Sein Büro hat der stämmige Mann im fünften Stock eines Büroturms, unweit des DailyNK-Büros. "Wie weit die Informationsverbreitung in Nordkorea fortgeschritten ist, ist schwierig zu sagen", sagt er. Pinkston geht davon aus, dass es Risse im System gibt und die Menschen über immer mehr Informationen verfügen. "Sie werden zusehends desillusionierter, wenn es um Regierungsinformationen geht", sagt er.

Laut Park von DailyNK wissen die Menschen sogar weitestgehend über die aktuelle Lage auf der Halbinsel Bescheid. "An der Grenze zu China wissen sie, dass der Industriekomplex Kaesong geschlossen worden ist", erklärt Park. "Aber es kümmert wenige. Für die meisten Menschen in Nordkorea ist das einfach zu weit weg von ihrem Leben."

Wie in Südkorea hat man sich auch im Norden an die immer wieder aufflammende Kriegsrhetorik gewöhnt. "Auch in Nordkorea glaubt niemand an einen Krieg." Doch von den aktuellen Berichten über einen angeblich geplanten Raketenabschuss Nordkoreas aus Anlass des 101. Geburtstages von Staatsgründer Kim Il-sung haben die Menschen im Land noch nichts gehört. "Die Medienkanäle des Regimes richten sich an unterschiedliche Zielgruppen", erklärt Pinkston. Der Abschuss einer Rakete ist für den internen Zusammenhalt nicht so wichtig. Deshalb wird intern vor allem über die Schlagkraft der Armee berichtet."

Wer aber den Journalisten von DailyNK und ihren Kontakten in Nordkorea glauben schenkt, weiß, dass selbst die Militärangehörigen im Land wissen, in welch desolater Lage ihre Einheiten sind und dass ein Krieg mit dem Süden und den USA für den Norden einem Selbstmord gleichen würde.

Für Pinkston ist klar: "Pjöngjang handelt letztendlich rational. Sie wollen überleben. Ich denke nicht, dass Nordkorea Bestrebungen machen wird, einen Präventivkrieg gegen seine Nachbarn zu führen." (Malte E. Kollenberg aus Seoul /DER STANDARD, 15.4.2013)