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Der Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps wünscht sich mehr Unternehmergeist in Europa gegen die Probleme niedrigen Wachstums.

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Ronald Reagan und Margaret Thatcher gut gelaunt.

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Standard: Als Premierministerin hat Margaret Thatcher Großbritannien gespalten und ist als "Eiserne Lady" in die Geschichtsbücher eingegangen. Was bleibt von ihrer Wirtschaftspolitik übrig?

Phelps: In Wirtschaftsfragen hat sie intuitiv verstanden, an welcher Krankheit die britische Ökonomie in den 1980er-Jahren gelitten hat. Sie hat den Korporatismus bekämpft, diese tiefgreifende Invasion der Unternehmen und Märkte durch den Staat. Die meisten erinnern sich nur daran, wie sie den Streik der Minenarbeiter gebrochen hat. Aber sie hat genauso unermüdlich bekämpft, dass sich große Unternehmen beim Staat bedienen. Sie hat die Firmen gezwungen, sich neu und dynamischer aufzustellen, damit war sie eine viel scharfsinnigere Denkerin als Ronald Reagan.

Standard: Wie das? Die beiden gelten als gemeinsames Gespann einer Bewegung.

Phelps: Reagan hat keinen nachhaltigen Eindruck auf die US-Wirtschaft gemacht, aber Thatcher in Großbritannien schon. Seine wesentliche Idee war nur, dass die Wirtschaft von Steuersenkungen profitieren wird. Diese Analyse ist aber extrem oberflächlich. Niedrigere Steuern haben zu einer Lohnsteigerung und einem Anstieg des Wohlstands geführt. Aber gleichzeitig ist die Produktivität kaum gestiegen. Damit nimmt zwar der Reichtum zu, aber der muss von höheren fiskalischen Defiziten finanziert werden. Thatcher ist hier weitergegangen. Korporatismus, nicht die Steuern an sich, hat in ihren Augen die Dynamik in der Volkswirtschaft zurückgehalten. Das ist eine viel tiefschürfendere Analyse und dafür verdient sie jeden Respekt.

Standard: Aber Thatcher ist oft kompromisslos gewesen und hat damit polarisiert.

Phelps: Frau Thatcher hatte ein scharfes Profil und oft abgeschreckt. Ich erinnere mich daran, als sie den Befehl gab, das argentinische Kriegsschiff 1982 zu versenken, und über 300 Menschen unnötig den Tod fanden. Sie wurde auch deswegen abgewählt, weil sie abrupt Sozialwohnungen räumen wollte, ohne irgendeinen Ersatz anzubieten. Das hat sicherlich viele abgestoßen.

Standard: Thatcher und Reagan haben auch eine Politik gegen die in den 1980er-Jahren galoppierende Inflation eingeleitet.

Phelps: Da muss ich egoistisch sein. Denn gerade die intellektuelle Entwicklung in der Volkswirtschaftslehre hat dazu beigetragen. Damals wurde das Konzept der natürlichen Arbeitslosenrate eingeführt (strukturelle Arbeitslosigkeit, Anm.), von Milton Friedman und mir. Diese Arbeiten hatten einen enormen Einfluss auf die Zentralbanken weltweit. Die Notenbanker konnten nicht weitermachen und sich nur um die Stabilisierung der Nachfrage kümmern und bedenkenlos Inflation produzieren. Aber die Politik benötigte dafür mutige Personen. Paul Volcker (US-Notenbankchef von 1979 bis 1987, Anm.) war der Ritter ohne Furcht und Tadel, der bereit war, seinen Kopf hinzuhalten, und die Zinsen auf 16 Prozent angehoben hat. Er hat die Erwartungen hoher Inflation gebrochen, auch wenn das zunächst Wachstum kostete.

Standard: Heute steckt Europas Wirtschaft in einem Konjunkturtal fest. Wie kommt der Kontinent da wieder raus?

Phelps: Der Unternehmergeist, den die Reformen Thatchers in Großbritannien freigesetzt haben, wird in Europa akut benötigt. Der Kontinent ist in einem fürchterlichen Zustand. Wenn Sie den wichtigsten Grund für die schwache Performance und die hohe Arbeitslosigkeit in Europa ausmachen wollen, dann ist die Wurzel der kontinentale Korporatismus. Über Jahre ist Europa damit davongekommen, weil man sich neue Technologien aus den USA borgen konnte und damit produktiver wurde. Doch ab 1998 ist die Produktivität in Italien oder Frankreich nicht mehr gestiegen. Die Länder konnten nur ihren Wohlstand erhöhen, indem sie sich verschuldeten.

Standard: Sie befürworten also die aktuelle Politik der Austerität?

Phelps: Ist es Austerität, wenn man die Exzesse der vergangenen zehn Jahre rückgängig macht? Nehmen Sie das Beispiel Griechenlands. Das Land hatte niedrige Produktivität und niedrige Löhne. Sie haben aber hohe Transfers vom Staat und der Europäischen Union erhalten, schuldenfinanziert. Damit sind auch sie immer langsamer gewachsen, weil diese Flut an falschem Reichtum die Motivation, Kapital und Arbeit effizient einzusetzen, außer Kraft gesetzt hat. So etwas hat einen zerstörerischen Einfluss auf Innovation.

Standard: Aber auch die USA wachsen aktuell sehr schwach.

Phelps: Der Fall des Wachstums ist ein struktureller Trend, der von naiver Politik unterstützt wurde. Die 2000er-Jahre waren eine furchtbare Zeit der Wirtschaftspolitik. In Washington gibt es nur Keynesianer. Das ist ein ernstes Problem. George W. Bush hat enorme Schulden angehäuft, den Immobilienboom gestützt und Steuern gesenkt. Auch die USA ist in den Morast aus falschem Reichtum gerutscht. Jetzt werden wir dafür bestraft und wachsen langsamer. (Lukas Sustala, DER STANDARD; 13.4.2013)